Jahresregister 2023

Schwerpunkte

spw 257 – 04/23

Zukunft des Sozialstaats

In den Debatten des Bundesparteitages und der Rede von Olaf Scholz klang immerhin deutlich an, dass der Sozialstaat auch eine ökonomisch produktive Rolle einnimmt, die nicht allein durch Transfers die private Nachfrage stützt, sondern wertschöpfend und transformativ wirkt. In spw wird diese Wertschöpfung im Diskurs über soziales und nachhaltiges Wachstum diskutiert. Gleichwohl besitzen die Sektoren der sozialen Dienstleistungen in der Regierungspolitik eine im Vergleich zur ökologischen Modernisierung der Industrie und öffentlicher Infrastrukturen nachgeordnete Bedeutung oder werden als nachgelagerte Bereiche betrachtet, die von der Wertschöpfung der exportgestützten Industrie und öffentlicher Umverteilung lediglich profitieren. Neben den jahrzehntelang vernachlässigten Investitionen in personenbezogene soziale Dienste, die heute unter Personalmangel und Arbeitsdruck leiden, wird die Bedeutung des Sozialstaates für die ökologische Transformation noch vielfach unterschätzt. Zum einen können soziale und gesellschaftliche Infrastrukturen bis hin zu öffentlichen Unternehmen den Arbeitsmarkt demokratischer gestalten und Beschäftigungsangebote bereitstellen. Zum anderen können sie zu einem sozial-ökologischen Wachstum beitragen. Schließlich kann der Sozialstaat Risiken durch den Strukturwandel der Beschäftigung, die Kosten des Klimawandels u. a. durch Überflutungen oder die Kosten der Transformation hin zu erneuerbaren Energien abfedern. Hierdurch können Verunsicherungen in Milieus vermindert werden, die sich eher durch die Transformation bedroht sehen und Menschen in anderen Milieus für diese mobilisiert werden. Wie schwierig ein Regieren mit entgegengesetzten fiskalpolitischen und ökonomischen Ordnungsvorstellungen ist, zeigt der Umgang der Bundesregierung mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeshaushalt. Dieser gefährdet dringend benötigte öffentliche Investitionen. So wichtig die Distanzierung von der Schuldenbremse und das Bekenntnis zum Sozialstaat durch den SPD-Bundesparteitag waren, so schwer wirkt die die 2009 als Verfassungsänderung verankerte wirtschaftspolitische Fehlentscheidung fort. Strukturelle Fragen der Finanzierung öffentlicher Aufgaben bleiben unbeantwortet.

spw 256 – 03/23

Die EU im geopolitischen Wandel

Wir leben in geopolitisch turbulenten Zeiten; im Nahen Osten eskaliert die Lage, nachdem die palästinensische Hamas eine Welle beispielloser Gewalt gegen die israelische Bevölkerung entfesselt hat, und während der Krieg Russlands gegen die Ukraine unvermittelt anhält und sich keine realistischen Perspektiven eines baldigen Friedens abzeichnen. Die globale Dominanz des Westens der letzten Jahrzehnte ist ernsthaft in Frage gestellt; China fordert die USA als globale Hegemonialmacht heraus; die USA stehen vor einem Wahljahr, an dessen Ende wieder Donald Trump als Präsident ins Weiße Haus einziehen könnte. Die Staaten des globalen Südens unter Führung der sich erweiternden BRICS-Staaten demonstrieren neues Selbstbewusstsein. Kein Wunder, dass in diesem Kontext politische Kräfte von links bis konservativ die Antwort auf diese Herausforderungen in einer gestärkten europäischen Souveränität oder wahlweise sogar in einer größeren strategischen Autonomie Europas sehen. Was genau soll das bedeuten? Irgendwie mehr Europa, irgendwie mehr Unabhängigkeit von der Weltwirtschaft und insbesondere von China? Ohne grundlegende Reformen der geopolitischen und geowirtschaftlichen Ordnung bei gleichzeitiger vollständiger Wahrung des eigenen wirtschaftlichen Wohlstandes? Der vorliegende Schwerpunkt liefert dazu Antworten.


spw 255 – 02/23

Gute Arbeit in Zeiten der Transformation

Die Jungsozialist*innen in der SPD brachten auf ihrem im Juli 2023 in Bremen veranstalteten „Kongress der Arbeit“ ihr Grundverständnis zum Ausdruck, demnach Erwerbsarbeit einen wesentlichen Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe und Selbstermächtigung darstellt. Arbeitszeitverkürzung, ein entschiedenes Vorgehen gegen die Ausbeutung von Frauen und migrantisierten Menschen, das Gelingen der Transformation der Wirtschaft und ihre Bedeutung für die Arbeitswelt sind wichtige Herausforderungen, denen sich dieser Kongress gewidmet hat. Mit dem vorliegenden Schwerpunkt möchten wir dazu beitragen, die Debatten rund um die Transformation stärker zu verknüpfen und damit fruchtbar für linke Politik zu machen.


spw 254 – 01/23

Städte für alle erneuern – Perspektiven fortschrittlicher Stadtentwicklung

Die Entwicklung der Städte in Deutschland ist derzeit sowohl von hohen Mieten und Immobilienpreisen, verstopften Verkehrsadern wie auch Mängeln in der Infrastruktur generell und schleppender Energiewende bei Gebäuden geprägt. Soziale Unterschiede verbinden sich mit kulturellen Differenzen, in manchen Städten spitzen sich so Konflikt- und Problemlagen zu. Die starke Tradition einer sozialdemokratischen Politik der Stadtentwicklung steht also vor neuen Herausforderungen, die im vorliegenden Heftschwerpunkt skizziert werden. Sollen große Wohnkonzerne enteignet werden? Wie kann die Energiewende in den gebauten, alten Städten unseres Landes vorangetrieben werden, ohne dass massive soziale Verwerfungen damit einhergehen? Wie konsequent soll die Verkehrswende zulasten des individuellen Autoverkehrs vorangetrieben werden? Wie kann man neue Formen des Bauens und Wohnens über die bloße Eigentumsfragen hinaus fördern, so dass die Stadt ein Ort für alle sozialen Gruppen und Schichten bleibt beziehungsweise wieder wird?