Jahresregister 1999

Schwerpunkte

spw 110 – 06/99

Politik im Wandel

Jedes Schwerpunktthema hat seine eigene Entstehungsgeschichte. Als die Redaktion vereinbarte, sich in einem der kommenden Hefte mit dem Strukturwandel des politischen Systems und seiner Parteien zu befassen, war noch nicht ausgemacht, dass Rot-Grün wirklich eine Mehrheit bei den Wahlen im September 1998 erhalten würde. Gerade bereiteten wir den zeitgleich zur Wahlanalyse stattfindenden Schwerpunkt ,,Macht, Demokratie, Protest“ vor. Es zeichnete sich ab, dass das Wahlergebnis – wie immer es im einzelnen ausgehen würde – ein weiterer Beitrag zur Veränderung des politischen Systems und seiner Parteien darstellen könnte. Seinerzeit kreiste unsere Debatte um die Teilaspekte ,,Partei – Gesellschaft – Staat“, ihr Verhältnis zur Sozialstruktur der Bundesrepublik und der Rolle der Sozialdemokratie im Besonderen.


spw 109 – 05/99

Kommunale Politik

Wenn nach der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen die Kommunalpolitiker monieren, daß die massenhafte Wahlenthaltung, die zu dieser historischen Niederlage der SPD geführt hat, ein Wahlboykott gewesen sei, mit dem die Wählerlnnen die Politik der Bundesregierung abstrafen wollten, haben sie damit Recht. Doch in diesem Verhalten offenbart sich auch, daß die Kommunalpolitik es nicht verstanden hat, ein eigenständiges, kommunales Profil zu entwickeln, das die Wählerlnnen dazu gebracht hätte, eine profilierte sozialdemokratische Kommunalpolitik zu wählen. Ist damit die in der SPD sehr verbreiteteThese bestätigt, daß Kommunalpolitik eher unpolitisch ist, daß auf kommunaler Ebene sowieso nur pragmatisch verwaltet statt perspektivisch gestaltet werden kann?


spw 108 – 04/99

Frauen-Zukunft

Jetzt soll er also da sein: der neue Aufbruch für die Frauenpolitik. Die SPD ist angetreten, ,,die politischen und kulturellen Verkrustungen der letzten 16 Jahre“ zu überwinden. Wie sieht die Bilanz nach 8 Monaten rot-grüner Regierungstätigkeit aus? Über Frauenpolitik werde wieder gesprochen, sagt Frauenministerin Christine Bergmann (SPD) im Gespräch mit der spw. Da wundert sich die politisch interessierte Frau. Ihre – freilich durch die Medien vermittelte – Sichtweise ist eine ganz andere. Bundeskanzler Schröder sprach zu Beginn seiner Amtszeit von der Frauenpolitik als ,,Gedöns“ und machte unmissverständlich klar, dass für ihn wichtigere Projekte auf der politischen Agenda stehen. Die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigung hat zunächst die Belange von Frauen in keiner Weise berücksichtigt. Beim Bündnis für Arbeit kommen Frauen nicht vor. Die Rentenanpassung trifft Frauen besonders hart und auch die Auswirkungen des Bundesverfassungsgerichts-Urteils zu Ehe und Familie bringen keinen Fortschritt in der Frauenpolitik.


spw 107 – 03/99

Schöne neue Weltordnung

,,Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger; heute abend hat die NATO mit Luftschlägen gegen militärische Ziele in Jugoslawien begonnen. Damit will das Bündnis weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte unterbinden und eine humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindern. (. . .) Wir führen keinen Krieg (. . .).“ Bundeskanzler Gerhard Schröder am Abend des 24. März 1999.

Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels zählen wir die 52. Bombennacht über Jugoslawien. Es bestätigt sich die Nachricht, daß in Korisa rund 80 Kosovo-Albaner durch NATO-Bomben getötet wurden Darüber hinaus ist das Spektakel des Bundesparteitages von Bündnis90/Die Grünen vorüber, und allen ist klar, daß die ,,Kompromiß“-Forderung nach einer befristeten, einseitigen Feuerpause der NATO angesichts der Machtverhältnisse im Bündnis kaum eine ernsthafte Chance auf Realisierung hat.


spw 106 – 02/99

Dritter Weg – Wohin?

Wie löst man konservative oder neoliberale Regierungen in Zeiten neoliberaler Hegemonie ab, wenn allerorts bereits das ,,Ende der Geschichte“ oder zumindest das des „sozialdemokratischen Zeitalters“ verkündet wird, ein alternatives hegemoniales Projekt in weiter Ferne scheint? So oder ähnlich könnte die zentrale Frage gelautet haben, die sich Polit-Strategen wie Blair und Giddens oder Hombach und Schröder gestellt haben, als sie den ,,Dritten Weg“ kreierten. Schaut man sich die politische Landkarte Europas an, könnte man annehmen, daß sie diese Frage zur vollsten Zufriedenheit gelöst haben. Es scheint, als sei die ,,Neue Mitte“ gewonnen worden mit dem Wahlkampfversprechen, daß man ,,nicht alles anders, aber vieles besser“ machen wolle. Wahlkämpfe sind allenthalben professionalisiert worden, sowohl was die Vermittlung der zentralen Botschaften als auch die Fixierung auf den Spitzenkandidaten anging. Die Medien sind professionell bedient, geradezu benutzt worden, in einer Form, daß sich die Partei des öfteren fragte, wo überhaupt ihre Rolle in der Inszenierung lag.


spw 105 – 01/99

Herausforderung Europa

Mit dem Bonner Regierungswechsel im September letzten Jahres hat sich die politische Landkarte in Europa erheblich gewandelt. Mit Deutschland ist die wichtigste Bastion konservativer Politik in Europa gefallen. Ab 1999 wird sich keine sozialdemokratisch geführte Regierung mehr herausreden können, eine konservative Regierung habe entscheidende Reformen blockiert. Und es gibt noch eine weitere einschneidende Veränderung. Abgesehen von oberflächlichem Presserummel ist weitgehend unbemerkt eine der wesentlichsten ökonomischen Veränderungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vollzogen worden. Seit dem 01.01.99 kettet der Euro elf Volkswirtschaften der Europäischen Union fest aneinander. Damit ist der Binnenmarkt weitgehend vollendet.