Jahresregister 2010

Schwerpunkte

spw 181- 06/10

Bildungsrepublik Deutschland? Hochschulen zwischen Exzellenz, Reformbaustelle und Unterfinanzierung

Werden die Wortmeldungen der politischen Parteien und der Regierungen auf den unterschiedlichen Ebenen ernst genommen, dann kommt der Bildung im Allgemeinen und die der Hochschulen im Speziellen, sowohl in Bezug auf die dort stattfindende Lehre als auch hinsichtlich der Forschung, eine kaum noch zu übertreffende Bedeutung zu. Über alle Parteien hinweg sind Stimmen zu hören, die sich in den diversen Chören einreihen, welche die zentrale Bedeutung von Bildung beschwören und hier stets auch die Forschung und Lehre an den deutschen anwendungsorientierten Hochschulen und Universitäten hervorheben. An der Spitze dieser „Huldigungschöre“ der Bildung platziert sich die Bundeskanzlerin. Sie war es, die vor zwei Jahren die „Bildungsrepublik Deutschland“ ausrief.


spw 180 – 05/10

Wirtschaftsdemokratie – Welche Perspektiven hat die Demokratisierung der Ökonomie?

Wer von den Krisen des Kapitalismus rede, dürfe von einer „Wirtschaft und Gesellschaft jenseits des Kapitalismus nicht schweigen“, mahnte Michael Krätke zu Beginn 2009 in spw. In jüngster Zeit erfährt der Ruf nach einer Demokratisierung der Wirtschaft als Reaktion auf die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise und deren Bewältigung wieder verstärkt Aufmerksamkeit und Unterstützung innerhalb der Gewerkschaften, der progressiven Parteien und der kritischen Wissenschaft. Ausgangspunkt der linken Diskussion ist die Feststellung, dass die jüngste Krise nicht konjunktureller sondern systemischer Art gewesen ist. Im Mittelpunkt
steht das Scheitern des Finanzmarktkapitalismus, der mit wachsender sozialer Spaltung sowie einem massiven Legitimationsverlust der etablierten politischen Institutionen der Parteiendemokratie und ihrer Akteure einher geht. Ob die neoliberale Hegemonie tatsächlichüberwunden werden kann, hängt in entscheidendem Maße von der Fähigkeit der politischen Gegenbewegungen ab, neoliberale
Denkansätze zu delegitimieren und praktische Alternativen zu entwickeln sowie diese im Alltag verschiedener sozialer Milieus zu verankern. Wirtschaftsdemokratie könnte den Kern eines solchen Alternativprozesses bilden.


spw 179- 04/10

Gesundheitsgerecht – Soziale Gesundheitspolitik und -wirtschaft

Der verteilungspolitische Konflikt, der neben der Verteilung zwischen Arbeit und Kapital, die Umverteilung unter den Beschäftigten auch die Solidarität mit chronisch kranken und behinderten Menschen betrifft, ist nicht unmodern. Er ist auch heute wieder zu führen. Hinter der Verteilungspolitik sind immer wieder Fragen des Nutzens und Gebrauchswerts von Gesundheitsleistungen in den Hintergrund getreten. Gesundheit und Gesundheitsleistungen sind Voraussetzung anderer Lebensbereiche. Sie sichern die Arbeitskraft und ihre Reproduktion. Schon insoweit ist ein soziales Gesundheitswesen nicht nur Konsumtion anderswo erwirtschafteten Produkts, sondern zugleich Voraussetzung ökonomischer Reproduktion. Gesundheit ist auch deshalb keine nur individuelle Frage, sondern steht am Schnittpunkt von Mensch und Gesellschaft. Die Art, wie wir arbeiten und leben, bestimmt darüber, was wir für krank und gesund halten und wer wie krank und gesund wird. Diese Dimension von „Public Health“ in Erinnerung zu bringen, ist eine Aufgabe fortschrittlicher Gesundheitspolitik. In den letzten Jahren ist ein neuer Punkt hinzugetreten: Zunehmend wird die Produktion von auf Gesundheit bezogenen Dienstleistungen und Waren nicht mehr nur unter dem Gesichtspunkt der Kosten und Gebrauchswerte, sondern auch als ökonomische Größe gesehen. Dabei geht es zum einen um jenes gute Zehntel der Beschäftigten in Deutschland, die daran arbeiten – sei es in Krankenhäusern und Arztpraxen, sei es in Pflege und Rehabilitation, sei es in pharmazeutischen Unternehmen oder im Gesundheitshandwerk. Zum zweiten geht es um den Profit, der von und mit ihnen erwirtschaftet werden kann. „Gesundheitswirtschaft“ ist zum Reizwort geworden.


spw 178 – 03/10

Arbeits-Sinn – Zur Bedeutung von Autonomie, Anerkennung und Sicherheit durch Arbeit

Trotz anhaltend hoher Arbeitslosigkeit hat sich an der Bedeutung von Erwerbsarbeit
nichts geändert. Faktisch besteht nach wie vor das Paradigma, dass gesellschaftliche Integration vornehmlich über Erwerbsarbeit stattfindet. Spätestens seit den Gesetzen „für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ ist klar – und das scheint in dieser Ausprägung eine neue Entwicklung zu sein – dass dieses Paradigma auch für die Organisation von Erwerbslosigkeit und ihrer sozialstaatlichen Einbettung maßgeblich ist. Ein nicht geringer Teil der Linken reagiert auf diese Entwicklung mit Forderungen nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE). Die Popularität dieser Forderung hat sicherlich viel mit der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt zu tun. Menschen sollendie Möglichkeit bekommen, sich der Allmacht des Aktivierungsparadigmas zu entziehen. Ob diese Forderung allerdings die realen Bedürfnisse von Menschen trifft und ob die Organisation von Erwerbsarbeit für die Gestaltung einer solidarischen Gesellschaft nicht nach wie vor einen zentralen Stellenwert hat, ist damit noch nicht beantwortet.


spw 177 – 02/10

Wachstum neu denken!
Was soll eigentlich wachsen?

Zuweilen lenken fundamentale Krisen den Blick auf Analysen historischer Umbruchphasen. Lange bevor der Begriff der Nachhaltigkeit Eingang in die politische Debatte fand, fragte eine Gruppe von Wissenschaftlern im Jahre 1972: „Soll man das Wachstum fortschreiten lassen, bis sich neue natürliche Grenzwerte zeigen, und hoffen, dass sich eine neue technologische Möglichkeit zeigen wird, um das Wachstum fortzusetzen?“ Zentrale Modellannahmen und Vorschläge des Berichts über die „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome mussten relativiert werden. Im Kern blieben jedoch die Fragen nach der Qualität des Wirtschaftswachstums und der ökologischen und sozialen Verträglichkeit offen.

Mit der jüngsten Weltwirtschafts- und Finanzmarktkrise steht das im zu Ende gehenden Jahrzehnt dominante neoliberale Wachstumsversprechen sowohl politisch wie ökonomisch vor einem Scherbenhaufen. 


spw 176 – 01/10

Nichts Neues am Hindukusch? Zwischen militärischer Logik und ziviler Strategie

Die politische wie militärische Bilanz im neunten Jahr des Afghanistan-Einsatzes sieht blamabel schlecht aus. Diese ernüchternde Lagebeschreibung ist nicht auf den üblich kritischen Einwurf der politischen Linken zurückzuführen. Vielmehr kommen auch die Militärs der NATO sowie die Regierungen in Washington, London und Berlin nicht mehr an der verschlechterten Sicherheitslage in vielen Landesteilen und den ernüchternden Aufbauerfolgen vorbei.

Die politische Linke steht dem Afghanistan-Einsatz insgesamt recht hilflos gegenüber. Zwar wurde vielfach der berühmte Satz „Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt“ kritisch aufgegriffen, aber die an sich linke Kernkompetenz des Internationalismus erweist sich an diesem Punkt als Leerstelle. Es ist nicht gelungen, eine Antwort darauf zu finden, wie die Sicherheit und vor allem die Lebensperspektiven der afghanischen Bevölkerung geschützt bzw. entwickelt werden können ohne eine militärische Intervention vorauszusetzen. Mit diesem Heftschwerpunkt will spw einen Beitrag für die dringend notwendige Debatte leisten. Die Bandbreite der Sichtweisen der AutorInnen spiegelt dabei die angesprochene Vielstimmigkeit innerhalb der politischen Linken wider. Es geht uns darum, nötige gemeinsame Eckpunkte rund um die sicherheitspolitische Aufstellung zu finden. Auch wer den Militäreinsatz in Afghanistan ablehnt, muss sich sowohl mit den Folgen der Bundeswehrpräsenz als auch mit den Auswirkungen eines sofortigen Abzugs auseinandersetzen.

Es stellt sich die Frage, an welchem Maßstab die Erfolge bzw. Misserfolge des bisherigen Einsatzes gemessen werden können und bei welchen erreichten Ergebnissen er somit für zielführend und damit für beendigungsfähig erklärt werden kann. Der SPD wie der politischen Linken insgesamt würde es gut tun, sich tatsächlich der Zukunft Afghanistans anzunehmen. Bislang steht das Land zu sehr in der Ecke des politischen Desinteresses. Afghanistan muss aus dieser Ecke herausgeholt werden, erst so kann die Dominanz des Militärischen überwunden werden.