Die Bundestagswahl 2025 ist eine schwere Niederlage der SPD und der Grünen, nachdem die „Ampel“ als „Fortschrittskoalition“ gescheitert war. Ihr Scheitern war spätestens mit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts im Herbst 2023 kaum noch zu verhindern, da ab dann die Schuldenbremse in ihrer ganzen Wucht zur Geltung kam und wichtige Investitionen etwa in öffentliche Infrastruktur kaum noch möglich waren. Das überraschende Comeback der Linken bei der vorzeitigen Bundestagswahl kann nicht kompensieren, dass die Parteien von Rot-Rot-Grün zusammen nur auf gut ein Drittel der abgegebenen Stimmen kommen, während eine deutliche Mehrheit der Wähler*innen sich klar für (mindestens) Mitte-Rechts und weit darüber hinaus entschieden haben. Die AfD hat bundesweit gut abgeschnitten, erschreckend erfolgreich war sie beispielsweise bei Arbeiter*innen und auch bei Gewerkschaftsmitgliedern. Auch wenn die CDU mit weniger als 30 Prozent ihrerseits ein schlechtes Ergebnis erzielte, wird man sich mit hoher Wahrscheinlichkeit für die nächste Zeit mit der Realität einer CDU-geführten Bundesregierung auseinandersetzen müssen.
Das Wahlergebnis fällt in weltpolitisch disruptive Zeiten: Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, ein US-Präsident Donald Trump, der dabei ist, die politische Ordnung im Innern der USA sowie im internationalen Kontext umzubauen, konkurrierende politisch-ökonomische Ordnungssysteme zwischen (und auch in) Europa, China und den USA, das Voranschreiten des Klimawandels bei gleichzeitigem Rollback im klimapolitischen Diskurs. Instabilitäten sind in nahezu allen westlichen Regierungssystemen zu beobachten, rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien sind vermehrt Teil von Regierungen oder zumindest eingebunden. Relevante Teile des Kapitals, insbesondere auch der Tech-Oligopole (Musk, Meta, Bezos, Thiel usw.) mit hoher Medienmacht und in Kernsektoren des technischen Fortschritts, unterstützen politische Kräften in den USA und in Europa, die Demokratie, Sozialstaat und Rechtsstaat bedrohen; sie haben inzwischen zum Teil auch unmittelbaren Zugriff auf staatliche Machtausübung. Dies markiert eine Veränderung der politisch-ökonomischen Frontlinien und Kräfteverhältnisse.
Um die aktuellen Strukturen und die Herausforderungen zu bewerten, stellen sich Fragen zu Neuaufstellung der politischen Linken insgesamt – nicht nur bei Sozialdemokratie, Grünen und Linken, auch von Gewerkschaften, Sozialverbänden, kritischer Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Dies betrifft politisch-inhaltliche Fragen genauso wie Fragen von Organisation und solidarischer Kooperation:
- Wie haben sich Milieus, Klassen, Generationen und ihre Erwartungen an Politik entwickelt, sowohl mit Blick auf konkrete Inhalte als auch mit Blick auf die gemeinsame Entwicklung und Kommunikation von Politik? Welche Erwartungen breiter Arbeitnehmer*innenmillieus wurden enttäuscht?
- Gibt es eine neue Spaltungslinie, die weniger an der Einkommensverteilung als an der Verteilung von kulturellem Kapital (Bildungsabschlüsse, Deutungsmacht) verläuft und die besonders die Existenz von Sozialdemokratie und Gewerkschaften als Bündnissen von Arbeit und fortschrittlichen Intellektuellenschichten bedroht?
- Welche Voraussetzungen benötigen gesellschaftliche Mehrheiten für eine Politik der sozial-ökologischen Transformation, die der Relevanz des Klimawandels sowie der Gestaltung des technologischen Wandels in der Arbeitswelt Rechnung trägt und zugleich Antworten gibt auf die zu beobachtende Verunsicherung bei relevanten Teilen der Arbeitnehmer*innenschaft über die materiellen Folgen des Wandels für sich und die eigenen Kinder?
- Wie wirken sich Entwicklungen wie die zunehmende persönliche Vereinzelung und die Verschiebung (politischer) Debatten von rationaler Argumentation hin zu starker Emotionalisierung auf die individuellen Perspektiven auf den eigenen Platz in der Welt, auf politische Entwicklungen und auf das Verständnis von und Zutrauen in kollektives politisches Handeln und Aushandeln aus? Welche Rolle spielt dabei die Aufmerksamkeits- / Ablenkungsökonomie digitaler Medien?
- Wie lässt sich eine glaubwürdige Perspektive auf eine solidarische Gestaltung und Veränderung der Gesellschaft entwickeln vor dem Hintergrund eines zunehmend unsolidarischer wirkenden globalen Kontextes und von Spannungsfeldern (auch) in der Arbeitswelt? Welche (neuen) polit-ökonomischen Machverhältnisse gilt es zu benennen, und welche alternativen Strukturen und Akteure sind zu stärken?
- Wie lässt sich eine vom bürgerlich-demokratischen Lager dominierte und in Kooptation mit der Sozialdemokratie verfolgte Perspektive europäischer Souveränität mit der Neuformierung eines auf soziale Bewegungen gestützten Blocks progressiver Kräfte verbinden? Was bedeutet dies für ein Crossover linker Strömungen?
- Inwieweit sind die Verteidigung alter, auf fossilen Energien und Rohstoffausbeutung fundierten Industrien und das Vorantreiben von Digitalisierung und neuen Energiequellen noch als widersprüchliche Kapitalstrategien anzusehen oder fließen sie in einer autoritär-kapitalistischen Variante der Infrastrukturpolitik zusammen? Kann es gelingen, unterschiedliche Modelle zu formulieren, in denen überschüssiges Kapital in eine Modernisierung der gesellschaftlichen Infrastrukturen geleitet wird?
- Welche Aspekte der kapitalistischen Krise und Strategie führen gerade jetzt dazu, dass mächtige ökonomische Akteure direkteren Zugriff auf die Staatsapparate in den USA bereits erreicht haben? Können sie mit Aussicht auf Erfolg auch in der EU eine entsprechende Strategie verfolgt werden?
- Wie lassen sich die aktuellen Entwicklungen mit Blick auf das linke Spektrum im internationalen Vergleich einordnen? (Wie) unterscheiden sich die demokratische Rechte und die autoritäre Rechte in Deutschland und Europa voneinander, und zwar weniger ideologisch als vor allem nach den von ihnen vertretenen Interessen? Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?
Ausgangspunkt für die weiteren Diskussionen ist der politisch-redaktionelle Orientierungsrahmen aus dem Jahr 2024. Die spw sieht sich als Impulsgeberin und Debattenplattform – für solidarische Politik in unruhigen Zeiten!