Heft260 – 03/2024
Vorwärts zurück zu Hartz IV?
#meinung #debatte #spw

Foto: © Michael Marinus
Folke große Deters ist Mitglied der spw-Redaktion, Vorsitzender der ASJ NRW und lebt in Bornheim-Hersel.
VON Folke große Deters
Warum die SPD beim Bürgergeld hart bleiben muss
„Wir sind zurück bei Hartz IV“.1 So kommentiert der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke die Ampel-Pläne zu den Verschärfungen beim Bürgergeld.2 Tatsächlich scheinen die alten Geister der Agenda aus ihrer Gruft zu steigen und fröhlich Urständ zu feiern. Erinnern wir uns: Die Grundmelodie der Agenda-Jahre war eine sehr individualistische Perspektive auf Arbeitslosigkeit. Wer keinen Job hatte, war selbst schuld! Mit wenig Zuckerbrot und viel Peitsche sollten die Arbeitslosen „aktiviert“ werden. Das war ungerecht, weil Arbeitslosigkeit selten mit individueller Faulheit und viel mit allgemeinen Strukturen zu tun hat: Steigende Arbeitslosenquoten lassen sich nicht durch sinkenden Arbeitseifer, sondern durch die Konjunktur erklären. Der arbeitslose Kohle- Kumpel in den 90er Jahren ist auch nicht plötzlich faul geworden. Seine Zeche war irgendwann zu – und er deshalb auf dem Arbeitsamt.
Mit der so genannten „Agenda“ wurde das Versprechen aufgekündigt, Durststrecken und Strukturwandel gemeinsam und solidarisch zu bewältigen. Die Lebensleistung vieler Menschen wurde missachtet, weil erst die hart erarbeiteten Ersparnisse einzusetzen waren, bevor Arbeitslosengeld II bezogen werden konnte. Der arbeitslose Maurer oder die geschasste Kassiererin mussten nach jahrzehntelanger Plackerei fürchten, in kurzer Zeit so gestellt zu werden wie jemand, der noch nie eine Maurerkelle oder ein anderes Arbeitsgerät in der Hand hatte.
Das war nicht nur mangelnder Respekt vor der Lebensleistung fleißiger Leute, sondern auch das Gegenteil der aktuellen Botschaft „You`ll never walk alone“ des Bundeskanzlers. In den nächsten Jahren steht uns im Zuge von Digitalisierung und Dekarbonisierung ein Strukturwandel ins Haus, der in seiner disruptiven Wirkung mit der industriellen Revolution vergleichbar ist. Auf Akzeptanz werden wir als Gesellschaft nur hoffen können, wenn wir als sozialer Staat einigermaßen glaubhaft das Versprechen geben, dass wir in diesen aufgewühlten Zeiten niemanden fallen lassen.
Schonvermögen und schlechte Arbeitsbedingungen
Die jüngsten Ampel-Pläne zum Bürgergeld3 untergraben den ohnehin nicht sehr starken Glauben in das Versprechen des Bundeskanzlers. Bisher durften Leistungsberechtigte des Bürgergeldes während der Dauer eines Jahres bis zu 40.000 Euro ihres Vermögens behalten und konnten dennoch Bürgergeld beziehen. Diese Frist wird jetzt auf ein halbes Jahr zusammengekürzt. Das Ampel-Papier bescheidet dazu kühl:
„Das Bürgergeld dient als existenzsichernde Leistung und ist nicht dafür da, das Vermögen einzelner abzusichern.“4 Dieser Satz nährt die weit verbreitete Angst der Mittelschicht, bei ungünstigen Umständen ungebremst nach unten durchgereicht zu werden.
Außerdem sollen die Zumutbarkeitsregeln für Job-Angebote nach Ampel-Plänen „zeitgemäß“ überarbeitet werden, zum Beispiel soll jetzt ein Arbeitsweg von insgesamt drei Stunden zumutbar sein. Aktuell zeigen offizielle Zugfahrpläne bestenfalls sehr theoretische Mindestfahrzeiten an. Man kann sich ausmalen, wie viele Stunden Fahrtzeit den geringstverdienenden Betroffenen tatsächlich zugemutet werden soll.
Viel Lärm um wenige Totalverweigerer
Die aktuelle Kampagne gegen das Bürgergeld entzündete sich freilich nicht an den genannten Beispielen, sondern am Thema Sanktionen gegen „Totalverweigerer“. Die öffentliche Meinung reagiert seit der Bildzeitungs- Geschichte über „Florida Rolf “ Anfang des vorletzten Jahrzehnts zuverlässig und immer gleich. Dabei spricht wenig dafür, dass Totalverweigerer tatsächlich das drängendste Problem der Arbeitsmarktpolitik sind.5
Von den 5,5 Millionen Bürgergeld-Bezieher/ innen sind ein Drittel noch minderjährig und nicht erwerbsfähig. Zwei Millionen Menschen stehen dem Arbeitsmarkt aus anderen Gründen nicht zur Verfügung. Darunter sind 800.000 Millionen so genannte „Aufstocker“; Menschen also, die trotz Arbeit so wenig verdienen, dass der Staat sie mit zusätzlichen Zahlungen über das Existenzminimum heben muss. Auch darunter sind alleinerziehende Eltern (wohl überwiegend Frauen!), die gerne Einkommen und Rentenpunkte sammeln würden, wenn es nur genügend Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder geben würde.
Bei den übrigen 1,7 Millionen Menschen schlagen bei den wenigsten Arbeitsverweigerung, sondern multiple Vermittlungshemmnisse wie Krankheit, psychische Probleme und fehlende Berufsabschlüsse zu Buche. Viel Lärm um eine kleine Gruppe an Totalverweigerern also. Der wirtschaftliche Schaden durch reiche Steuerhinterzieher dürfte um ein Vielfaches höher sein!
Sanktionen müssen sein
Dennoch sollte die SPD einräumen, dass sie bei dieser Frage in der Vergangenheit nicht immer klar kommuniziert hat. Der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich an Debatten, in welchen Bürgergeld-Empfänger/ innen pauschal die allerbesten Absichten zugeschrieben wurden; folgerichtig sollten die Sanktionen vollständig abgeschafft werden. Solche Klischees über den ausnahmslos verantwortungsbewussten Bürgergeld-Empfänger sind zwar deutlich näher an der Realität als pauschale Diffamierungen von Menschen in einer schwierigen Lage; lebensnah sind sie aber ebenfalls nicht.
Die Erfahrung lehrt, dass sich nicht alle Menschen an Regeln halten und diese als letztes Mittel auch mit Zwang durchgesetzt werden müssen. Das Prinzip der Gegenseitigkeit, wohl eine anthropologische Grund-Konstante, besagt in diesem Zusammenhang, dass alle nach ihren Möglichkeiten einen Beitrag zur Erwirtschaftung unseres Wohlstandes leisten müssen. Das muss nicht Erwerbsarbeit sein; aber Unbekannte ohne jede Gegenleistung oder zumindest Rechtfertigung durchfüttern zu sollen, überfordert die Solidarität unter Staatsbürger/innen. Menschen wollen nicht betrogen werden, weder von Milliardären noch von Bürgergeldempfänger/innen! Hier braucht es eine klare Haltung und gleichzeitig die Fähigkeit, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die wesentlichen Fragen zu lenken.
Sagen, worauf es ankommt!
Deutlich dagegenhalten sollte die SPD bei der immer wiederkehrenden Behauptung, dass sich Arbeit finanziell nicht lohne. Erstens ist das erwiesenermaßen falsch.6 Und zweitens sollte der Abstand zum existenzsichernden Bürgergeld gewahrt werden, indem Hungerlöhne erhöht und nicht Sozialleistungen gesenkt werden.
Die Behauptung, die jüngsten Debatten zum Bürgergeld seien nicht zu Gunsten der politischen Linken ausgegangen, wäre eine höfliche Untertreibung. Das sollte uns aber nicht von einer Linie abbringen, die vor dem Hintergrund des oben Gesagten normativ richtig und strategisch zwingend ist. Vielleicht verlieren wir viele Debatten auch, weil wir zu verzagt sind. Anstatt Narrative von erklärten Gegnern eines handlungsfähigen Sozialstaates zu bedienen, sollten wir sagen, worauf es wirklich ankommt. Wie es nicht geht, zeigt aktuell Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, der die gesetzlich vorgesehene Nullrunde beim Bürgergeld gerade offensiv als Erfolg seiner Politik zu verkaufen scheint.
Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke bringt es auf den Punkt: „Mit der Reduzierung des Schonvermögens und der Ausweitung der Pendelzeiten will die Bundesregierung Menschen unter Druck setzen, schlechte Arbeitsbedingungen zu akzeptieren.“7 Aus sozialdemokratischer Sicht sollte das Gegenteil richtig sein: Verhandlungsmacht von Arbeitnehmer/ innen stärken, um gute Arbeitsbedingungen zu erzwingen. Wer Arbeitslose in schlechte Arbeitsbedingungen drängt, schadet allen arbeitenden Menschen. Hierbei geht es um den Kern der Identität der SPD als Partei der Arbeit. Wer hier Kompromisse macht, hat den politischen Kompass verloren.8