Heft 264 – 03/2025

VON DER TRANSFORMATION ZUR RESTAURATION?

#analyse #spw

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Steffen Liebig ist wissenschaftlicher Geschäftsführer des SFB 294 „Strukturwandel des Eigentums“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

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Johanna Sittel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bereich Arbeits- und Wirtschaftssoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

VON STEFFEN LIEBIG UND JOHANNA SITTEL

Am 20. Januar 2025 wurde Donald Trump als 47. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Eine der ersten Amtshandlungen seiner zweiten Präsidentschaft war der abermalige Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen – eines Vertragswerks, das die Erderhitzung unter zwei, möglichst aber unter 1,5 Grad halten will. Ist die sozial-ökologische Transformation damit beendet, bevor sie richtig begonnen hat? Müssen wir mit einer antiökologischen und zugleich antisozialen Restauration rechnen? Und: Wird sich in Deutschland und Europa wiederholen, was in den USA bereits geschieht?1

Es ist erst wenige Jahre her, dass auch Teile der wirtschaftspolitischen Eliten ein bloßes „Weiter so!“ ausschlossen. Inmitten der Corona-Pandemie plädierte etwa Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums, gemeinsam mit dem Leiter des Global Risk Network, Thierry Malleret, für einen grünen Stakeholder-Kapitalismus und unkonventionelle Allianzen: „Eine Gruppe grüner Aktivisten könnte vor einem Kohlekraftwerk demonstrieren, um eine striktere Durchsetzung der Umweltschutzbedingungen zu fordern, während eine Gruppe von Investoren im Sitzungssaal dasselbe tut, indem sie dem Werk den Zugang zu Kapital entzieht“2. Ein halbes Jahrzehnt später ist von dieser Vision wenig geblieben.

Rückblickend zeigt sich, dass in den Visionen eines grünen Kapitalismus die Widersprüchlichkeit und Konfliktträchtigkeit des Wandels massiv unterschätzt wurde. Weil die führenden Protagonisten eines Green Deals es nicht vermochten, ökologische Nachhaltigkeit glaubwürdig mit sozialer Gerechtigkeit zu verbinden, haben sie ihre Mehrheitsfähigkeit eingebüßt. Makrosozial waren die Visionen eines grünen Stakeholder-Kapitalismus mit der Erwartung verbunden, dass Investitionen in naturverträgliche Technik und ökologisch nachhaltige Produkte ein neues Wirtschaftswunder auslösen würden. Dieses Versprechen hat sich nicht erfüllt. Inzwischen warnt die EU-Kommission zu Recht vor den Gefahren einer drohenden Deindustrialisierung.

Auf der Mikro- und Mesoebene der Transformation sind hingegen nicht Wachstumsindikatoren, sondern Gewinne vor Steuern (EBIT) die entscheidende Kennziffer, an der sich Eigentümer und Investoren orientieren. Doch auch bei den Profitmargen hat sich das grüne Prosperitätsversprechen nicht erfüllt. Da sich Investitionen nach ESG-Kriterien3 nur längerfristig amortisieren, verlieren sie an Attraktivität. Stattdessen greifen wieder vermehrt Mechanismen eines Shareholder-Kapitalismus, die als überwunden galten. Zudem verweisen uneingelöste Wachstums- und Renditeversprechen auf das staatlich-politische Feld. Grüne Zukunftsmärkte wie der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft erfordern enorme Investitionen, sind kurzfristig für Privatunternehmen nicht oder nur bedingt rentabel und verlangen deshalb nach einem Staat, der die Marktbildung aktiv unterstützt. Dies hat es, etwa beim Aufbau von Eisenbahnnetzen, in der Geschichte immer wieder gegeben. Doch die zuständigen staatlichen Apparate sind derzeit kaum in der Lage, dergleichen zu leisten. Eher scheint die politische Konkurrenz zwischen markt- und staatszentrierten Ansätzen die Krisensituation weiter zu verschärfen. Im europäischen Parlament deutet sich an, wie sich dieses Patt auflösen könnte, indem eine baldige Revision des europäischen Green Deals und seines Kernprojekts der E-Mobilität im Bündnis von Konservativen und Teilen der radikalen Rechten durchgesetzt werden könnte.

Politische Gegenbewegungen zu dem Großprojekt einer ökologischen Modernisierung verweisen schließlich auf die eigentliche politökonomische Achillesferse eines grünen Stakeholder-Kapitalismus. Denn soziale und ökologische Zielsetzungen sind für kapitalistische Eliten nur in dem Maße relevant, wie sie von machtvollen Antagonisten, von sozialen (Klima-)Bewegungen und deren Verbündeten in die Öffentlichkeit getragen und zur Delegitimierung der bestehenden Ordnung genutzt werden. Lässt der öffentliche Druck nach, kommen die dominanten kapitalistischen Akteure rasch wieder zu sich selbst. Dabei fehlt es vor allem in der Arbeitswelt an Durchsetzungskraft für sozialere und ökologischere Entwicklungswege.

Nachdem sich die Gewerkschaften im Nachgang der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2007–2009 zumindest in Deutschland als unverzichtbare Krisenmanager erwiesen und in den Folgejahren vergleichsweise hohe Lohnabschlüsse sowie arbeitszeitpolitische Erfolge erzielten, hat sich das Blatt inzwischen gewendet. Selbst solche Unternehmen, die einst stilbildend für den Rheinischen Kapitalismus waren, greifen inzwischen gegenüber den Gewerkschaften auf ein taktisches Arsenal zurück, das man bislang nur aus den Niederwerfungsstrategien der angelsächsischen Kapitalismen kannte. Brennglasartig hat die VW-Krise deutlich gemacht, was das für den sozial-ökologischen Umbau bedeutet: Im Volkswagenkonzern gab es einen Haustarifvertrag mit einer Beschäftigungsgarantie bis 2029. Diesen hat der Vorstand quasi über Nacht außer Kraft gesetzt und mit betriebsbedingten Kündigungen und Werksschließungen gedroht sowie pauschale Lohnkürzungen von zehn Prozent verlangt. Dies steht für eine Zeitenwende in den Arbeitsbeziehungen. VW ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. ThyssenKrupp, ZF, Continental, BASF und mit ihnen viele andere Unternehmen sind auf einen Kurs eingeschwenkt, der die ursprünglich unternehmerischen Risiken des Wandels vor allem den Belegschaften aufbürden will. Markt- und Managementversagen bei den Geschäftsmodellen wird weitgehend ausgeblendet, die Wirtschaftsmisere bevorzugt einem vorgeblich „kranken Staat“ und einer vermeintlichen „ökologischen Planwirtschaft“ zugeschrieben.

Wie reagiert die Soziologie auf eine solche Situation? Eigentlich müsste sich die neu entstandene Transformationsforschung des krisenhaften Umbruchs annehmen und ihn facettenreich ausleuchten. Doch das ist keineswegs flächendeckend der Fall. Obwohl Schauplatz disruptiver Veränderungen, kommt die betriebliche Arbeitswelt, bis auf wenige Ausnahmen4, in den einschlägigen Transformationsstudien eher am Rande vor. Weithin zeichnet sich trotz der zu erwartenden zeitdiagnostischen Vielstimmigkeit eine deutliche Tendenz ab, die Frank Adler mit „Abschied von ‚Fortschritt‘ und ‚Transformation‘“5 auf den Punkt bringt. Statt großer Ziele sind Anpassung, Resilienz und Arrangement mit unvermeidlichen Verlusten gefragt. Denn in ausdifferenzierten Gesellschaften seien trotz größter Herausforderungen nur kleine Schritte möglich und selbst ein Trump müsse erkennen, dass eine andere Welt unmöglich ist.6

Verharrt die professionelle Soziologie bei differenzierungstheoretischen Komplexitätsformeln, könnte man seitens der kritischen Soziologie eine Reflexion solch affirmativen Wissens erwarten. Doch auch das ist, jedenfalls mit Blick auf den sozial-ökologischen Umbau, überwiegend nicht der Fall. Für Ingolfur Blühdorn etwa schließt die Vielfachkrise der Gegenwart jedes denkbare Projekt ökologischer Emanzipation aus: „Spätmoderne Gesellschaften sind sowohl strukturell als auch kulturell längst nicht mehr in der Lage, eine SÖT [= sozial-ökologische Transformation; d. A.] zu bewerkstelligen“7. Mag der Ist-Zustand damit treffend beschrieben sein, überzeugt die Verabsolutierung dieses Aggregatzustands moderner, demokratischer Gesellschaften nicht.

Wir folgen dem hier in aller Kürze skizzierten und verzagten Zeitgeist nicht, weil er zelebriert, was Mark Fisher zu Recht als kapitalistischen Realismus kritisiert hat.8 Zusammen mit einer zuletzt wieder wachsenden Zahl einschlägiger Publikationen9 plädieren wir dafür, die konkreten Konfliktdynamiken der Transformation herauszuarbeiten und dabei deren Klassenspezifik zu thematisieren. Bei allem gebotenen Realitätssinn zeichnen entsprechende empirische Untersuchungen ein erheblich entscheidungsoffeneres Bild als die sich tendenziell hermetisch verschließenden Diagnosen Blühdorns und Nassehis. Wer nach den Gründen für das – vorläufige und teilweise durchaus konstruktive – Scheitern der diversen Green Deals suchen und dennoch mögliche Handlungsfenster identifizieren möchte, die sich gerade aus den vorhandenen Brüchen und Auseinandersetzungen ergeben, muss sich in den Maschinenraum der kapitalistischen Produktionsweise, in Betriebe und Unternehmen vor allem der seitens der Arbeitssoziologie lange vernachlässigten industriellen Karbonbranchen begeben. Denn diese Wirtschaftsbereiche bilden gegenwärtig das „Sturmzentrum“ der Krise.

Die Forschungsarbeiten, die in den zurückliegenden Jahren am Bereich Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena durchgeführt wurden, sind diesem Ansatz verpflichtet. Sie berichten über die betriebsförmig organisierte Arbeitswelt und analysieren Konflikte, wie sie beim sozial-ökologischen Wandel von Produktions- und Lebensweisen zwangsläufig entstehen. Dabei wird deutlich, dass sich der für kapitalistische Gesellschaften strukturprägende industrielle Klassenkonflikt mehr und mehr in einen sozial-ökologischen Transformationskonflikt verwandelt.10 So lassen sich Auseinandersetzungen um Einkommen, Beschäftigungssicherung und sozialen Status selbst unter Rezessionsbedingungen kaum noch ohne Berücksichtigung der ökologischen Dimension führen – und vice versa. Allerdings können Transformationskonflikte an Nachhaltigkeits- und Klimazielen gemessen sowohl eine konservierende als auch eine transformative Dynamik entfalten.

Ohne an dieser Stelle weiter ins Detail gehen zu können, kommt es darauf an die „Umkämpfte Transformation“11 in so unterschiedlichen Branchen wie der Stahl-, Bau-, Auto- und Zulieferindustrie sowie im Logistiksektor oder der mittelständischen Umweltwirtschaft konkret zu analysieren sowie ihre Verlaufs- und subjektive Verarbeitungsform zu erforschen. Zwar spricht einiges dafür, dass die derzeitige Blockade einer Nachhaltigkeitsrevolution, wie sie der Weltklimarat einklagt, Geburtshilfe für eine kapitalistische Restauration leistet, die Überlebensfähigkeit zu einem Privileg der Wohlhabenden werden lässt. Doch wird dies, so legen unsere empirischen Studien nahe, keine lineare Entwicklung sein; vielmehr gehen die Klassen- und Naturachse in entsprechenden Transformationskonflikten eine spannungsvolle Synthese ein. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass soziale Systeme ihren Aggregatzustand an geschichtlichen Verzweigungspunkten rasch ändern können, während ein Festhalten an alten Regeln die Strukturkrise zusätzlich verschärft.12

1Der Text basiert auf der Einleitung der Herausgeber:innen des folgenden Buchs: Dörre, Klaus/Liebig, Steffen/Lucht, Kim/Michaelis, Lennart/Sittel, Johanna (Hg.) (2025): Umkämpfte Transformation. Konflikte um den digitalen und ökolögischen Wandel, Frankfurt a.M./NY, S. 9-37.

2Klaus Schwab und Thierry Malleret, Covid-19: Der Grosse Umbruch, Genf 2020, S. 173.

3ESG (Environment, Social, Governance) bezeichnet einen Kriterienkatalog zur Bewertung einer nachhaltigen und ethischen Unternehmenspraxis.

4Etwa: Simon Schaupp, Stoffwechselpolitik. Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten, Berlin 2024; Berthold Vogel und Harald Wolf (Hg.), Arbeit und gesellschaftlicher Zusammenhalt, Frankfurt a.M./NY 2024.

5Frank Adler, Abschied von ‚Fortschritt‘ und ‚Transformation‘? Kritische Anmerkungen zu einer zeitdiagnostischen Strömung, in: Soziopolis: Gesellschaft beobachten, 12.12.2024.

6So etwa Armin Nassehi: „Ich wehre mich dagegen, wenn Leute einfach so behaupten, eine andere Welt sei möglich, alles gehe auch ganz anders. Solch große Gesten lehne ich ab“, Armin Nassehi, Wer immer ‚Disruption‘ ruft, bremst eher. Interview, in: Handelsblatt, 7/8.02.2025, S. 56.

7Ingolfur Blühdorn, Soziologische Zeitenwende, in: Vorgänge, Jg. 63, H. 245/246, 2024, S. 103f.

8Kapitalistischer Realismus meint, dass man sich den Untergang der Menschheit eher vorstellen kann als die Überwindung des Kapitalismus, siehe: Mark Fisher, Kapitalistischer Realismus ohne Alternative? Hamburg 2020.

9Hierzu gehören bspw.: Jan N. Engels, Annika Arnold und Catrina Schlägerm, Wie viel Klasse steckt in der Mitte? Erwerbsklassen und ihr Blick auf Arbeit, in: FES diskurs, April 2024; Dennis Eversberg, Martin Fritz, Linda von Faber und Matthias Schmelzer, Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt: Mentalitäts- und Interessengegensätze im Streit um Transformation, Frankfurt a.M./NY 2024; Jakob Graf, Steffen Liebig, Kim Lucht, Hans Rackwitz und Markus Wissen, Editorial: Sozial-ökologische Transformationskonflikte und linke Strategien, in: Prokla, Jg. 53, H. 210, 2023, 4–12; Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser, Triggerpunkte: Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft, Berlin 2023.

10Klaus Dörre, Gesellschaft in der Zangenkrise. Vom Klassen- zum sozial-ökologischen Transformationskonflikt, in: Klaus Dörre u.a. (Hg.), Abschied von Kohle und Auto? Sozial-ökologische Transformationskonflikte um Energie und Mobilität, Frankfurt a.M./NY 2022, 23–70.

11Siehe dazu die Beiträge im gleichnamigen Buch: Klaus Dörre, Steffen Liebig, Kim Lucht, Lennart Michaelis und Johanna Sittel (Hg.), Umkämpfte Transformation. Konflikte um den digitalen und ökologischen Wandel, Frankfurt a.M./NY 2025.

12Immanuel Wallerstein, Die strukturelle Krise oder Warum der Kapitalismus sich nicht mehr rentieren könnte, in: Immanuel Wallerstein u.a. (Hg.), Stirbt der Kapitalismus? Frankfurt a.M./NY 2014, 17–47.

2025-12-01T17:40:23+01:00
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