Heft 264 – 03/2025
Rechte Narrative gegen Klimaschutz und Transformation und wie man ihnen begegnen sollte
#meinung #debatte #spw

Foto: © Focke Strangmann
Sebastian Schmugler studierte Recht und Politik und war Landesvorsitzender der Bremer Jusos. Er ist Geschäftsführer der SPD-Landesorganisation Bremen und Mitglied der spw-Redaktion.
Von Sebastian Schmugler
Klimaschutz, Energiewende und Transformationsversprechen waren vielfach der Treibstoff linker, progressiver Bewegungen. Vor wenigen Jahren gingen Hunderttausende junge Menschen mit Fridays for Future auf die Straßen. Die Proteste gegen Atomkraft, später gegen Kohleverstromung trugen die Grünen mehrfach zu Höchstwerten. Und die Verheißung eines blauen Himmels über der Ruhr brachte die SPD zwar 1961 nicht direkt ins Kanzleramt, aber sorgte doch für einen beachtlichen Stimmenzuwachs.
Aber aktuell scheint diesen Bewegungen – flapsig gesagt – die Luft ausgegangen zu sein. Wer allerdings glaubt, die Themen würden nicht zur Mobilisierung der Wähler*innen taugen, täuscht sich. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums sind Klimapolitik und der Kampf um die Transformation wesentliche Bausteine elektoraler Erfolge. Aber warum und wie sind Klimaschutz und Transformation zu Themen der globalen Rechten geworden? Und wie lässt sich ihnen dieses Mobilisierungsthema wieder nehmen?
Klimaschutz ist nicht exklusiv links
Klimaschutz, Energiewende und Transformation waren keineswegs schon immer Feindbilder der extremen Rechten. Im Europa der Nachkriegszeit entwickelte sich eine rechtsextreme programmatische Melange, die sich als Vierklang aus Umwelt-, Natur-, Heimat- und Volksschutz bezeichnen lässt.1 Zusammengefasst: Wer Natur und Umwelt schützt, schützt am Ende die Heimat und die Menschen, die in ihr leben – im Jargon: das Volk. Eine Erzählung, die einerseits hervorragend an die Blut-und-Boden-Ideologie der Alt-Nazis im Dritten Reich anschloss, zu rechtsreligiösen Vorstellungen über die Bewahrung der Schöpfung passte und es gleichzeitig erlaubte, eine Querfront-Brücke zur links-alternativen Ökobewegung der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu schlagen.
Diese Symbiose zwischen rechten Theorien und Naturschutz ist heute jedoch überwiegend verdrängt durch den Siegeszug der populistischen Elemente in der extremen Rechten. Brachte der FPÖ-Politiker Jörg Haider noch beides zusammen, wendeten sich die meisten rechten Parteien von diesem Narrativ ab. Haider erkannte die zunehmende Erderwärmung an, sprach sich gegen den Bau neuer fossiler Kraftwerke aus und erklärte mit einem 10-Punkte-Plan für das „Lebensland Kärnten“ Klimaschutz zur Chefsache seiner Landesregierung.2, 3 Heute klingen die „Freiheitlichen“ in Österreich anders: „90 Prozent weniger CO2 heißt in Wahrheit für die Bürger 100 Prozent mehr an Kosten und de facto null Prozent Aussicht auf eine bessere Zukunft“, ist der aktuelle Sound der FPÖ.4 In den USA legte 1970 Rechtsaußen-Präsident Richard Nixon mit dem National Environmental Policy Act den Grundstein für den gesetzlichen Umweltschutz. Ausgerechnet Donald Trump, der sonst häufig mit Nixon verglichen wird, setzte kurzerhand und mit gewohnt großer Geste den Vollzug dieses Gesetzes aus. Nur zwei Beispiele für einen Wandel, der beinahe alle (extrem) rechten Parteien in Europa und der westlichen Welt erfasste. Woher kommt dieser Shift?
Einerseits verspricht das Thema Zuspruch von Seiten, die sich sonst bei rechten und rechtsextremen Parteien nicht wohlfühlen würden. Die Mitte-Studie von 2023 kommt zu dem Ergebnis, dass sich über (Anti-)Klimapolitik Personen bis weit in die Mitte erreichen lassen. In diesem Kontext möge man nur an die teils gewalttätigen, objektiv völlig unverhältnismäßigen und an Selbstjustiz grenzenden Ausfallerscheinungen von Autofahrern gegenüber ‚Klimaklebern‘ denken. Außerdem bieten sich ideologische Anschlusspunkte, weswegen sich die globale Rechte heute weniger im Lager des Klimaschutzes wiederfindet.
Mit rechtem Populismus gegen Klimaschutz
Nahezu alle heutigen Rechtsaußen-Parteien weisen eine Kombination aus Nativismus, Autoritarismus und Populismus auf. Der Schlüssel zur hier gestellten Frage ist dabei der Populismus. Dieser lässt sich am besten mit der Definition des niederländischen Politikwissenschaftlers Cas Mudde fassen, der ihn als die Gegenüberstellung von einem guten Volk und bösen Eliten, also ‚denen da oben‘ versteht. Sehr gut zu dieser (rechts-)populistischen Erzählung der ‚bösen Eliten gegen das gute Volk‘ passt die Behauptung, beim Klimaschutz ginge es in Wahrheit darum, die Menschen zu unterdrücken. Wer glaubt, dass die Mächtigen der Welt stets auf der Suche nach neuen Wegen zur Unterdrückung des Volkes sind, deutet auch die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft in diesem Muster. Gleichzeitig ist dieses Narrativ sehr anschlussfähig bei Konservativen und bis in die politische Linke hinein – den Vorwurf, die Grünen seien eine Verbotspartei, hat wohl jeder schon mal gehört. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 plakatierte ein rechter Verein mutmaßlich zur Unterstützung der AfD zehntausende Großflächen mit den passenden Stichworten: Verbote, Bevormundung, Ökodiktatur, Enteignungsterror, Klimasozialismus, #GrünerMist.
Am besten erzählt sich diese Geschichte in Verbindung mit einem zweiten Narrativ: Durch die Transformation werde die Natur mehr bedroht als durch den Klimawandel. Insbesondere der Ausbau erneuerbarer Energien, und dabei besonders die Windkraft, wird als Bedrohung für Tier- und Pflanzenwelt gelabelt. Donald Trump nutzt dieses Narrativ („The windmills are driving the whales crazy“, „You want to see a bird cemetery, walk under a windmill sometime.“)5 und auch die AfD-Vorsitzende Alice Weidel, die in einer Parteitagsrede von den „Windmühlen der Schande“ sprach, formulierte dies so: „Der […] grüne Windkraftwahn zerstört Wald, Natur und Umwelt und versündigt sich an der Zukunft unseres Landes und den kommenden Generationen.“6 In diesem Sinne sucht und mobilisiert die AfD Bürgerinitiativen, die Windkraftanlagen verhindern wollen, und schmiedet mit ihnen Bündnisse, die von rechten Pseudowissenschaftlern bis weit ins bürgerliche Lager reichen.7
Und offenkundig haben rechte Populisten Erfolg mit dieser Strategie: In repräsentativen Umfragen der Uni Hohenheim fand eine Vielzahl von falschen oder irreführenden Behauptungen über Windräder große Zustimmung.8 Dabei lag es wohl nicht an einem Wissensdefizit, sondern an der politischen Einstellung der Befragten. Die Bedrohung der Artenvielfalt und des gesamten Gleichgewichtes der Natur durch den Klimawandel werden ausgeblendet oder im Vergleich heruntergespielt.
Das Narrativ einer „geplanten“ Deindustrialisierung
Das vielleicht wichtigste und gefährlichste Narrativ, das von rechten und rechtsextremen Akteuren immer wieder erzählt wird, lautet, dass die Transformation der Wirtschaft eine geplante Deindustrialisierung und vorsätzliche Zerstörung der erfolgreichen (deutschen) Wirtschaft sei. Nachvollziehbarerweise ist diese Erzählung gerade dort erfolgreich, wo sich Personen konkret von Deindustrialisierung und Arbeitsplatzabbau bedroht fühlen – etwa in ehemaligen Kohlehochburgen oder im Automobilbau. Gerade im Ruhrgebiet ist diese Geschichte omnipräsent und trug zu den Rekordwerten der AfD in den Kommunalwahlen bei. In landesweiten Nachwahlbefragungen von Infratest gaben 36 Prozent der AfD-Wähler*innen an, dass die Wirtschaftspolitik der Partei ausschlaggebend für ihre Wahlentscheidung war. Ebenfalls erfolgreich nutzt dieses Narrativ das „Zentrum Automobil“, Teil des Vereins „Zentrum“. Die Gruppierung aus dem Umfeld der rechtsextremen 1-Prozent-Bewegung tritt zunehmend in Unternehmen als rechte Alternative zu den DGB-Gewerkschaften auf. Sie erreichte bereits bei den letzten Betriebsratswahlen beachtliche Ergebnisse, etwa im Daimler-Werk Untertürkheim mit 15,8 Prozent. Kurz darauf strich die AfD den Verein auf Initiative von Björn Höcke von der Unvereinbarkeitsliste.
Das Narrativ einer geplanten Deindustrialisierung findet sich auch bei anderen rechten und rechtsextremen Bewegungen weltweit. Donald Trump etwa begründete den Ausstieg aus globalen Klimaschutzabkommen in erster Linie damit, dass diese nachteilig für die US-amerikanische Wirtschaft seien. Ein zentrales Kampagnen-Motto seiner Wiederwahlkampagne „Drill, Baby, Drill“, griff seinen inszenierten Widerstand gegen den Niedergang der Gas- und Ölindustrie auf und erst kürzlich verkündete die US-Regierung die Verpachtung von 5,3 Millionen Hektar bundeseigener Flächen für die Wiederbelebung des Kohlebergbaus – beides übrigens gegen die Erklärungen von Energieunternehmen und -analysten.
Bemerkenswert ist, dass das Narrativ einer planvollen Abwicklung der Industrie auch von rechten Parteien genutzt wird, die ansonsten nicht durch und durch Gegner einer Klimaschutzpolitik sind. Damit gehört dieses Narrativ sicherlich zu den verbindenden Erzählungen der globalen Rechten. Zwei Beispiele: In Frankreich bekennt sich der Rassemblement National zwar zur Einhaltung der internationalen Klimaziele, schafft es jedoch trotzdem gleichzeitig, diese für den Niedergang der französischen Industrie (mit-)verantwortlich zu machen. Ebenso in Italien, wo die Ministerpräsidentin Georgia Meloni von den postfaschistischen Fratelli d’Italia sich einerseits als engagierte Klimaschützerin gibt, aber andererseits den European Green Deal und den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor entschieden ablehnt, weil Europa nichts vom Klimaschutz in Italien verstehe. Beide verbinden ihre (halbherzigen) Bekenntnisse zum Klimaschutz mit einer Kritik an internationalen Gremien und Organisationen des Klimaschutzes und der Globalisierung insgesamt. Sie rufen damit eine Art ‚Klimapatriotismus‘ aus, der die weltweite Dimension der Bedrohung durch den Klimawandel einfach ausblendet.
Was tun?
Stellt sich die Frage: Wie kann man dieser Erzählung begegnen? Die Klimabewegung war lange davon überzeugt, dass in erster Linie fehlendes Wissen um die Bedeutung des Klimawandels ursächlich für eine den Klimaschutz ablehnende Haltung wäre. Demnach müsste sich mit fortschreitendem Klimawandel allen Menschen – auch rechten Parteigängern – logisch erschließen, dass Klimaschutz notwendig sei. Empirisch gibt es bisher keinen Nachweis für einen Zusammenhang zwischen fortschreitendem Klimawandel und Zuspruch für mehr Klimaschutz und Transformation. Eher scheint die handfeste Klimawandelleugnung Zulauf zu bekommen, wie beispielhaft der Trumpismus in den USA und die Erfolge von Javier Milei in Argentinien, der rechtsextremen Chega in Portugal oder der Vox in Spanien zeigen. Einfach abzuwarten, in der Hoffnung, dass sich das Problem erledigt, ist also keine Option.
Transformation heißt aktive Industrie- und Standortpolitik
Besonders gefährlich macht die Erzählung der Deindustrialisierung, dass sie stimmt – jedenfalls in Teilen. Selbstverständlich gibt es keine böse Elite, die Deutschland, Europa oder sonst ein Land bewusst und planvoll deindustrialisieren will. Gleichwohl gefährdet die Transformation, so wie sie bisher angegangen wird, Arbeitsplätze und Wirtschaft. Und als wäre das nicht schlimm genug, steht die Politik hilflos daneben. Sinnbildlich dafür steht eine Faktencheck-Kachel der SPD aus dem Bundestagswahlkampf 2025. Darauf hieß es, Friedrich Merz hätte behauptet, dass 300.000 Industriearbeitsplätze verloren gegangen wären – das stimme nicht, es seien 22.000 Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe in den letzten drei Jahren. Jenseits der Frage, ob Merz mit falschen Zahlen arbeitet (und des Umstandes, dass andere Berechnungen auch zu deutlich höheren Zahlen kommen), muss doch beim Schreiben einer solchen Kachel zur Online-Kommunikation auffallen, dass hier etwas auf der Botschaftenebene völlig verrutscht ist. Auch schon der Wegfall von 22.000 Stellen in der deutschen Industrie in den letzten drei Jahren ist eine Horrornachricht, die alarmierend sein muss und sich keinesfalls dazu eignet, mit ihr politische Kommunikation zu betreiben. Die Botschaft müsste doch sein: Jeder ist einer zu viel, wir kämpfen für jeden einzelnen Arbeitsplatz – what ever it takes!
Dabei liegen sehr viele Konzepte auf dem Tisch, wie man die Transformation vorantreiben, das Klima schützen und gleichzeitig für eine Sicherung der Wirtschaft und der Arbeitsplätze sorgen kann: Industrie- und Brückenstrompreis; Investitionen in bestehende Infrastruktur und Aufbau neuer Komponenten, etwa zur Bereitstellung von bezahlbarem grünen Wasserstoff; der zügige weitere Ausbau von Wind- und Solarenergie; Schutz der heimischen Industrie vor dreckigen Importen; Schaffung von Leitmärkten und Kaufanreizen und noch vieles mehr – allein an der Umsetzung hapert es. Aktuell scheint es eher so, als würde man im Zweifel Klimaziele schleifen. Arbeitsplätze lassen sich dadurch nicht retten. Die Gewerkschaften und auch viele Unternehmen haben längst erkannt, dass die Zukunft der Industrie nur in einer gelungenen Transformation liegen kann. Bereits 2024 veröffentlichte die Stiftung KlimaWirtschaft einen Appell von über 50 deutschen (Groß-)Unternehmen9 . Die Unterzeichnenden seien davon überzeugt, dass das wirtschaftliche Überleben des Standorts Deutschland davon abhänge, dass das Ziel der Klimaneutralität erreicht wird. Und auf dem Weg zur Klimaneutralität bedürfe es vor allem Verlässlichkeit: „Transformationsprozesse und die notwendigen Investitionsentscheidungen sind auf 20, 30 oder 40 Jahre angelegt und können nicht nach jedem Regierungswechsel angepasst oder gar revidiert werden. Gemachte Zusagen können und dürfen nicht zurückgenommen werden. Verlässliche Perspektiven bieten Unternehmen Planungs- und Investitionssicherheit und halten rechtsextreme politische Ränder sowie populistische Stimmen klein.“ Bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung diese Empfehlung beherzigt und entschiedener eine Transformation mit den nötigen industriepolitischen Begleitmaßnahmen verfolgt.
