Heft263 – 02/2025

KURZUM (263)

#orientierungsrahmen #spw

Foto: © Fionn Große

Miriam Siglreitmaier war von 2021 bis 2023 stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende und promoviert derzeit zu intergenerationaler Mobilität in Berlin.

VON Miriam Siglreitmaier

Eine Große Koalition unter Friedrich Merz – vor wenigen Jahren wäre das für viele SPD-Mitglieder undenkbar gewesen. Dass nun über 84 Prozent dieser Regierungskonstellation zustimmten, liegt kaum daran, dass sich die Union plötzlich als idealer Koalitionspartner entpuppt hätte. Vielmehr spiegeln die hohen Zustimmungswerte die aktuelle Weltlage wider: Angesichts des noch immer wütenden Kriegs in der Ukraine, der humanitären Katastrophe in Gaza und der Wiederwahl von Donald Trump ist der Wunsch nach stabilen politischen Verhältnissen groß.

Wenig Beachtung fand hingegen eine Zahl, die sinnbildlich für die politische Stimmung in der SPD – und darüber hinaus – stehen könnte: Nur 56 Prozent der Mitglieder beteiligten sich an der Abstimmung – 22 Prozentpunkte weniger als noch 2018. Waren viele womöglich gegen die Große Koalition, aber haderten mit einem Nein, weil gangbare Alternative fehlten? Oder ist es Ausdruck von stillem Protest und politischer Entfremdung? Klar ist, dass die drastisch gesunkene Beteiligung kein Zufall ist. Zur gleichen Zeit scheint sich auch in der gesellschaftlichen Linken eine politische Resignation breitzumachen.

Während die zunehmend autoritäre Trump-Regierung ein Tabu nach dem nächsten bricht, machen die jüngsten Vorstoße der Union in der Migrations-, Gleichstellungs- und Sozialpolitik nur geringe Schlagzeilen. Dabei gäbe es durchaus Anlass für Empörung. Insbesondere in der Migrationspolitik werden aktuell rechtliche Grenzen ausgetestet. Ein Beispiel betrifft das Aussetzen des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte, das dem im Grundgesetz verankerten Recht auf Familie widerspricht. Ähnlich problematisch ist die Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze, die auf Initiative von Alexander Dobrindt erfolgt ist – und trotz eines gegenteiligen Urteils eines Berliner Gerichts weiter betrieben wird.

Dass Friedrich Merz kein progressives Kapitel in der Gleichstellung aufschlagen würde, war abzusehen. Schließlich wurde mit ihm ein Mann zum Kanzler gewählt, der selbst innerhalb der Union mit einem rückwärtsgewandten Frauenbild auffällt. Schon 1997 stimmte er gegen den Schutz von Frauen vor Vergewaltigung in der Ehe. Kein Ausrutscher, sondern Teil eines Musters: im Jahr 2006 stellte er sich mit wenigen Unionskollegen gegen das Gleichbehandlungsgesetz. Vor diesem Hintergrund dürfte es nicht überraschen, dass zentrale Entscheidungen der neuen Regierung vor allem im Kreis männlicher Politiker getroffen werden. Als der Koalitionsausschuss erstmals tagte, waren zehn Männer und nur eine Frau anwesend. Ausgerechnet die einzige Teilnehmerin, Saskia Esken, soll keine weitere Führungsverantwortung in ihrer Partei tragen. Nach Andrea Nahles erlebt damit eine weitere SPD-Vorsitzende einen unwürdigen Abgang. Der Verdacht liegt nahe, dass die strukturelle Benachteiligung von Frauen nicht nur in der Union ein Problem darstellt.

Auffällig ist zudem die wirtschaftsnahe Ausrichtung des neuen Kabinetts. Neben dem Kanzler, der Aufsichtsratschef von BlackRock war, wurden drei frühere Unternehmensvertreter:innen auf Minister:innenposten gehoben. Diese Personalien werfen auch deswegen Fragen auf, weil alle drei ohne demokratisches Mandat in die politischen Spitzenämter kamen. Enge Verstrickungen mit Unternehmensinteressen scheinen da vorprogrammiert, sodass der Angriff auf Arbeitnehmer:innenrechte nicht lange auf sich warten lässt. Geplant ist nicht nur, Fortschritte beim Bürgergeld zurückzudrehen, sondern auch den Achtstundentag abzuschaffen.

Die SPD ist dabei keine stille Beobachterin, sondern aktiver Teil der Regierung. Es liegt an der Parteispitze, sicherzustellen, dass diese Regierung nicht zu einer Rückschrittskoalition für Frauenrechte, Migrant:innen und Arbeitnehmer:innen wird. Dass die Partei eine fortschrittliche Politik will, wurde Ende 2023 beim letzten ordentlichen Bundesparteitag deutlich, wo ambitionierte Reformen beschlossen wurden. Jetzt gilt es, deren Umsetzung konsequent einzufordern.

Kurzum: Auch wenn die internationale Lage bedrückend ist, wäre es gefährlich, politische Resignation zuzulassen. Gerade jetzt muss die SPD wachsam gegenüber Rückschritten im Bereich der Gleichstellung, Migration und in der Sozialpolitik sein.

2025-09-08T11:09:27+02:00
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