ORIENTIERUNGSRAHMEN

KURZUM (HEFT 262)

#orientierungsrahmen #spw

Foto: © Hans-Böckler-Stiftung

Dr. Claudia Bogedan ist Sozialwissenschaftlerin und Mitherausgeberin der spw.

VON CLAUDIA Bogedan

Lösungen statt Egoismus für ein soziales Land

Plötzlich ging es ganz schnell. Nachdem die Regierung Scholz an der Frage der Finanzierung der großen Zukunftsaufgaben durch die Aufnahme von Schulden zerbrochen ist und der künftige Kanzler Merz im Wahlkampf vollmundig ein Aufweichen der Schuldenbremse kategorisch ausgeschlossen hatte, hat nur 23 Tage nach der Bundestagswahl der alte Bundestag eine entsprechende Grundgesetzänderung beschlossen. Diese sieht Ausnahmen von der Schuldenbremse für Ausgaben für Verteidigung sowie die Einrichtung eines Sondervermögens in Höhe von 500 Milliarden Euro für Investitionen in die Infrastruktur und zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 vor. Ein politisches Ziel, für das sich SPD(-Linke), Gewerkschaften und progressive Wirtschaftswissenschaftler* innen lange eingesetzt haben. Ein wichtiger Kompromiss, der hoffentlich dazu beiträgt, sozialen Frieden und Wohlstand zu sichern. Dennoch überwiegt nicht Freude über den Erfolg, eine politische Forderung nach langem Kampf endlich durchgesetzt zu haben, sondern der Schmerz über die Art und Weise, wie diese Entscheidung zustande gekommen ist.

Die Fähigkeit, mit klugen Kompromissen zu guten Lösungen in Zeiten großer Herausforderungen zu kommen, ist ein Markenzeichen der Demokratie in Deutschland. Die Aufteilung der Macht in unterschiedliche Handlungsarenen ist verbunden mit der Notwendigkeit, nicht einfach „durchregieren“ zu können, sondern im gemeinsamen Ringen, im Respekt vor den Werten und Positionen der anderen, gute Lösungen zu suchen. Allerdings erleben wir derzeit, wie auch hierzulande Milliardäre, Neoliberale und Anti-Demokraten einen Politikstil des „einfach Machen“ propagieren.

Es war die Arbeiter*innenbewegung, die nach 1945 verstanden hatte, dass bei allen trennenden Grundsatzpositionen eine Spaltung der Gesellschaft nur den Faschisten und Autokraten nützt. Beim Aufbau der Demokratie nach der NS-Diktatur waren sie überzeugt, dass der Schlüssel, um zukünftig Gräuel dieser Art zu verhindern, in der Demokratisierung der Wirtschafts- und Arbeitswelt liegt. Heute können wir diesen Zusammenhang statistisch signifikant durch Forschung belegen. Dort, wo Menschen Fairness und Gerechtigkeit am Arbeitsplatz erfahren, entsteht auch Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Mitbestimmung im Betrieb und in den Aufsichtsräten sind kein Selbstzweck, sondern fundamentale Grundlage, um auch zukünftig wirtschaftliches Wohlergehen und sozialen Frieden zu sichern.

Kurzum: Streikrecht, Tarifbindung, Mitbestimmung und soziale Rechte der Arbeit sind kein überflüssiger Firlefanz. Für die Sozialdemokratie gilt es, diese Orte des institutionalisierten Interessensausgleichs auch zukünftig zu sichern und zu bewahren. In Zeiten, in denen die Reichen immer reicher werden, müssen die Rechte von Arbeitnehmer*innen gestärkt werden. So kann echte Teilhabe dem wachsenden Ohnmachtsgefühl entgegengesetzt werden. Das ist für alle gut.

2025-06-26T18:09:14+02:00
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