Wenn Parteien ihre grundlegenden Ziele festlegen: Zur Funktion und zu dem rechtlichen Rahmen von politischen Grundsatzprogrammen von Parteien 

#asj #recht politisch #spw

26.11.2025

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Dr. A. Thorsten Jobs ist Richter am Oberverwaltungsgericht und Vorsitzender der Bundesschiedskommission der SPD.

VON Thorsten Jobs

Aufgrund des historisch niedrigen Wahlergebnisses von 16,4 Prozent der Zweitstimmen bei der Bundestagswahl 2025 und angesichts der sich wandelnden politischen Verhältnisse erarbeitet die an der Bundesregierung beteiligte SPD ein neues Grundsatzprogramm. Der Beitrag analysiert die Funktion sowie den verfassungsrechtlichen und parteienrechtlichen Rahmen politischer Grundsatzprogramme von Parteien.

Grundsatzprogramme als politische Programme

Die Parteien legen nach § 1 Abs. 3 Parteiengesetz (PartG) ihre Ziele in politischen Programmen nieder. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Parteiprogramm das zentrale Dokument der Positionsbestimmung einer Partei.1 Zu den politischen Programmen gehören die Grundsatzprogramme. Im Unterschied zu Wahlprogrammen und Beschlüssen von Parteigremien steht das Grundsatzprogramm einer Partei für eine längerfristige Orientierung. In Grundsatzprogrammen erklären Parteien ihr Selbstverständnis, wie sie die Gesellschaft sehen, wie sie Politik verstehen und was sie verändern wollen.2 In ihnen werden typischerweise grundlegende Ziele in einem politischen Programm für eine längere Zeit niedergelegt. Sie sind eine Erklärung, wie eine Partei Staat und Gesellschaft sieht, welche politischen Ideen sie verfolgt und was sie langfristig verändern möchte. Erst nach längerer Zeit wird typischerweise ein Grundsatzprogramm neu geschrieben und von einem Parteitag beschlossen.

Die SPD hat auf ihrem ordentlichen Bundesparteitag im Juni 2025 in einem Leitantrag3 beschlossen, ein neues Grundsatzprogramm zu erarbeiten, dass das Hamburger Programm vom Oktober 2007 ersetzen soll. Nach dem Einsetzungsbeschluss des SPD-Parteivorstandes vom 8. September 2025, der den Rahmen für den Programmprozess festlegt, soll die „bestehende Programmatik“ und das „Handeln“ kritisch überprüft und ein neues „politisches Zielbild“ für die Zukunft erarbeitet werden. Die in der Präambel des Organisationsstatuts der SPD (SPD-OrgSt) verankerten Grundwerte der Partei – Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität – sollen in „einer sich rasant verändernden Weltlage und technologischen Entwicklung“ neu erdacht werden. Der Generalsekretär Tim Klüssendorf umschrieb das wie folgt: „Im Kern geht es darum, wie die Sozialdemokratie in einer modernen, sich stark verändernden Welt positioniert ist und welche Haltung sie vertritt.“4 Ende des Jahres 2027 soll ein Bundesparteitag das neue Grundsatzprogramm verabschieden.

Funktionen des politischen Parteiprogramms

Parteien müssen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 PartG ein schriftliches Programm haben. In den politischen Programmen legen die Parteien gemäß § 3 Abs. 1 PartG ihre Ziele fest. Normiert ist damit die Pflicht für jede Partei, ein schriftliches Programm auszuarbeiten und zu beschließen. Die Parteien sind damit verpflichtet, ihre Ziele, zu deren Erreichung sie sich an der politischen Willensbildung und Wahlen beteiligen, in einem Programm niederzulegen und dabei den politisch-inhaltlichen Konsens festzulegen, auf den sie sich stützen.5 Das schriftliche Programm dient den Parteien als maßgebliche inhaltliche Darstellung der verfolgten Ziele und hat vor allem zwei Adressaten. Es ist sowohl an parteiexterne Wählerinnen und Wähler gerichtet als auch an die Mitgliederinnen und Mitglieder der jeweiligen Partei. Es hat für die politische Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger Informations-, Kommunikations- und für die Partei und ihre Mitglieder Integrationsfunktionen. 6

Informations- und Kommunikationsfunktion

Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet den Parteien die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes. Die Vorschrift sichert nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Existenz der Parteien als frei aus dem Volk heraus gebildete, frei miteinander konkurrierende und aus eigener Kraft wirkende Gruppen von Bürgern, die sich außerhalb der organisierten Staatlichkeit zusammengeschlossen haben, um mit eigenen Zielvorstellungen und Programmen auf die politische Willensbildung Einfluss zu nehmen.7 Das politische Programm einer Partei entfaltet für die Bürgerinnen und Bürger eine politische Informationsfunktion im Rahmen der Willensbildung, insbesondere für die Wahlentscheidung. Es erlaubt ihnen, sich über die Ziele der Partei zu informieren. So können sie sich bei der Wahl zwischen den Parteien sowie ihren Kandidatinnen und Kandidaten entscheiden und die künftige Regierungsbildung beeinflussen.

Zwar treffen viele Wählerinnen und Wähler ihre Entscheidung nicht auf Grundlage von Parteiprogrammen, sondern nach medialer Darstellung und Personenwahrnehmung. Dennoch wirken Programme mittelbar auf die politische Willensbildung ein und sind selbst Gegenstand der Meinungsbildung. Die für den Prozess der politischen Willensbildung im demokratischen Staat entscheidende Rückkoppelung zwischen Staatsorganen und dem Volk erschöpft sich allerdings nicht in dem nur in Abständen wiederkehrenden Akt der Wahl des Parlaments. Die Willensbildung des Volkes und Willensbildung in den Staatsorganen vollziehen sich in vielfältiger und tagtäglicher Weise auch anhand politischer Programme der Parteien.8

Integrationsfunktion für die Mitglieder

Darüber hinaus dient das politische Parteiprogramm der Partei und ihren Mitgliedern als Instrument zur Festlegung politischer Ziele und fördert so die Integration. So legt die parteiinterne Willensbildung über ein Grundsatzprogramm und deren Beschlussfassung die Grundsätze einer Partei (vgl. z. B. § 35 Abs. 1 SPD-OrgSt) längerfristig fest, was auch der Integration der Parteimitglieder dient. Ein Grundsatzprogramm legt den politisch-inhaltlichen Konsens einer Partei fest und dient ihren Mitgliedern als Orientierung. Es bestimmt die programmatische Identität und die parteipolitischen Inhalte der Partei.9

Inhalt eines Programms – Programmfreiheit

§ 6 Abs. 1 Satz 1 PartG fordert zwar ein schriftliches Programm, stellt aber an dieses keine inhaltlichen Anforderungen. Über den Inhalt eines Programms enthält das Parteiengesetz damit keine Vorgaben. Es sind somit weder Mindestinhalte vorgeschrieben, wie etwa das Vorhandensein inhaltlicher Aussagen zu bestimmten zentralen Politikfeldern, noch findet irgendeine Qualitätskontrolle statt.10 Der Staat hat sich – mit der Ausnahme des Art. 21 Abs. 2 GG, wonach Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, verfassungswidrig sind, jeder Einflussnahme auf den Inhalt der Parteiprogramme zu enthalten.11

Die Programmfreiheit der Parteien ist verfassungsrechtlich Teil des Grundsatzes der Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG. Die vom Grundgesetz vorausgesetzte Staatsfreiheit der Parteien erfordert nicht nur die Gewährleistung ihrer Unabhängigkeit vom Staat, sondern auch, dass die Parteien sich ihren Charakter als frei gebildete, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen bewahren können. Die Parteienfreiheit umfasst auch die freie Wahl der Zielsetzung einer Partei, einschließlich Namen, Satzung und Programm.12

In der Gestaltung des Inhalts eines Grundsatzprogramms sind die Parteien daher frei. Von der Funktion des Parteiprogramms liegt es zwar nahe, dass die Parteien in ihm ihre Grundsätze für die politische Arbeit im Allgemeinen und ihre Ziele für eine Regierungsbeteiligung im Besonderen formulieren. Die Parteienfreiheit erlaubt es den Parteien, sich auf bestimmte programmatische Schwerpunkte ihrer politischen Ziele zu konzentrieren. Eine Rechtspflicht für ein umfassendes Programm zu einem breiten Themenspektrum ergibt sich nicht aus § 1 Abs. 3 PartG.13

§ 1 Abs. 3 PartG verlangt lediglich, dass eine Partei ihre Ziele in ihrem politischen Programm darlegt. Er enthält jedoch keine „Erneuerungsklausel“, die eine Aktualisierung des Programms nach einer bestimmten Zeit oder bei veränderten Umständen vorschreibt, noch eine rechtliche Verpflichtung, ein neues Grundsatzprogramm zu erstellen.

Parteitagsvorbehalt

Für die innerparteiliche Willensbildung über die Parteiprogramme, insbesondere ein Grundsatzprogramm, besteht ein sogenannter Parteitagsvorbehalt. Der Parteitag ist das oberste Organ einer Partei (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 PartG, z.B. § 15 Abs. 1 Satz 1 SPD-OrgSt). Der Parteitag beschließt nach § 9 Abs. 3 PartG innerhalb der Partei über die Parteiprogramme. Allein hier ist der direkte persönliche Austausch von Positionen in Rede und Gegenrede über Parteiprogramme gewährleistet. Dementsprechend ist im Einsetzungsbeschluss des SPD-Parteivorstandes vom 8. September 2025 vorgesehen, dass die zentralen programmatischen Linien des neuen Grundsatzprogramms auf dem Programmkonvent, einem Parteikonvent i.S. § 28 ff. SPD-OrgSt, im Jahr 2026 politisch verdichtet und vorgeklärt werden sollen. Ein Bundesparteitag soll Ende des Jahres 2027 das neue Grundsatzprogramm beschließen. Der Parteitagsvorbehalt des § 9 Abs. 3 PartG stellt sicher, dass diese verbindliche Regelung nicht durch andere direktdemokratische Instrumente, wie beispielsweise einen Mitgliederentscheid (§ 14 SPD-OrgSt), ersetzt werden kann. Die Vorschrift garantiert somit die Willensbildung und Beschlussfassung auf einem Parteitag.14

Pflicht zur Publizität durch Hinterlegung beim Bundeswahlleiter

§ 6 Abs. 3 Satz 1 PartG regelt ein Gebot zur Publizität und eine Rechenschaftspflicht mit Funktionen sowohl innerparteilich als auch nach außen.15 Die Norm des § 6 Abs. 3 Satz 1 bestimmt, dass der Vorstand der Partei dem Bundeswahlleiter u.a. die Satzung und das Programm der Partei mitzuteilen hat. Die Unterlagen können beim Bundeswahlleiter von jedermann eingesehen werden. Sie werden von diesem im Internet veröffentlicht. § 6 Abs. 3 Satz 1 PartG verfolgt zwei Ziele: Einerseits soll die Partei transparent sein. Andererseits soll sichergestellt werden, dass sich interessierte Bürgerinnen und Bürger sowie Wahlorgane zuverlässig über die politischen Ziele und das Selbstverständnis einer Partei, insbesondere anhand ihres Programms, informieren können. Die Einreichung der Parteidokumente beim Bundeswahlleiter dient daher auch als öffentliches Register.16

Zur rechtlichen Wirkung von Grundsatzprogrammen

§ 1 Abs. 3 PartG, der von „politischen Programmen“ spricht, in denen Parteien ihre Ziele darlegen, verdeutlicht, dass Grundsatzprogramme keine Rechtsnormen sind, sondern vielmehr politische Selbstverpflichtungen der Parteiorgane darstellen. Dennoch besitzen Grundsatzprogramme eine indirekte rechtliche Bedeutung, insbesondere bei der Auslegung und Anwendung von Rechtsnormen.

Grundsätze einer Partei im Parteiordnungsverfahren

Das Grundsatzprogramm einer Partei hat maßgebliche Bedeutung für die Festlegung der Grundsätze einer Partei i.S. von § 10 Abs. 4 PartG (vgl. auch § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SPD-OrgStatut) zu ihren politischen Zielen. Die Grundsätze der Partei sind die in aller Regel in ihren Programmen und Parteitagsbeschlüssen enthaltenen fundamentalen politischen, das Selbstverständnis der Partei bestimmenden Aussagen. Für die SPD beispielsweise gehören zu den Grundsätzen der Partei insbesondere die in der Präambel des Organisationsstatuts enthaltenen Aussagen und Zielsetzungen sowie die Aussagen des Grundsatzprogramms der SPD, in denen die allgemeinen Zielsetzungen der Partei langfristig festgelegt werden. 17 

Die Grundsätze der Partei haben wiederum wesentliche Bedeutung für Parteiordnungsverfahren gegen ihre Mitglieder. Der Gesetzgeber hat in § 10 Abs. 4 PartG (vgl. § 35 Abs. 3 SPD-OrgStatut) die grundsätzlich abschließende Regelung getroffen, dass die Mitgliedschaft in einer politischen Partei gegen den Willen des Mitgliedes nur enden soll, wenn es vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen die Grundsätze oder Ordnung der Partei verstoßen und dieser schweren Schaden zugefügt hat.18 Das Grundsatzprogramm stellt mittelbar einen Verhaltensmaßstab für ein Parteimitglied auf, indem es die Grenzziehung zwischen vom Programm gedeckter innerparteilicher Kritik oder Opposition und einem erheblichen Verstoß gegen die Grundsätze der Partei ermöglicht.19 Ein Verstoß gegen die Grundsätze der Partei liegt insbesondere vor, wenn ein Mitgliedgrundsätzliche programmatische Aussagen, die sich eine Partei traditionell oder in dem bewussten Meinungsbildungsprozess zu eigen gemacht hat, und die sie nach objektiven Maßstäben gegenüber anderen Parteien auszeichnet, nicht nur für sich rein innerlich ablehnt, sondern öffentlichkeitswirksam andere als die gültigen Grundsätze der Partei propagiert oder die Ablehnung der grundsätzlichen programmatischen Entscheidungen der Partei öffentlich vertritt. Solche öffentlichkeitswirksamen, mit der Zuordnung zu einer Partei ausgetragenen erheblichen inhaltlich-programmatischen Differenzen zwischen dem einzelnen Mitglied und den Grundsätzen einer Partei, können das Ansehen und die Glaubwürdigkeit einer Partei beeinträchtigen und den politischen Erfolg der Partei behindern. Nach der Rechtsprechung der Bundesschiedskommission der SPD muss sich eine politische Partei, die immer neue Bürgerinnen und Bürger für ihr Programm und die dieses vertretenden Personen gewinnen muss, zum Schutz des Ansehens und der Glaubwürdigkeit der Partei auch von Mitgliedern dauerhaft trennen können, die sich in ihren grundlegenden Überzeugungen widersprechend äußern oder verhalten.20

Auf Grundlage des vorgenannten Maßstabs hat die Bundeschiedskommission der SPD Dr. Thilo Sarrazin aus der Partei ausgeschlossen. Sie hat entschieden, dass zum Schutz des Ansehens und der Glaubwürdigkeit der SPD der verhängte Parteiausschluss von Sarrazin rechtmäßig sei, da er erheblich gegen die Grundsätze und die Ordnung der Partei verstoßen und ihr damit Schaden zugefügt habe. Bei einer Gesamtbetrachtung stünden die von Sarrazin in seinem Buch „Feindliche Übernahme“ öffentlichkeitswirksam propagierten Äußerungen und Forderungen mit den Grundsätzen der SPD so erheblich in Differenz, dass die dauerhafte Trennung von dem Parteimitglied erforderlich sei. Zur Flüchtlings- und Migrationspolitik erhebe er – beispielsweise – die Forderung, Menschen ohne Aufenthaltsstatus notfalls mit militärischen Mitteln in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. Er fordere, abgelehnten Flüchtlingen gerichtlichen Rechtsschutz zu versagen. Das sei mit den Menschenrechten, zu denen sich die SPD bekenne, nicht vereinbar. Diese Auffassungen seien eingebettet in eine Linie der Herabwürdigung von Menschen vor allem muslimischen Glaubens, denen er nach dem Gesamteindruck seines Werks im Kern den gleichen Wert und die gleiche Würde abspreche. Bliebe er Mitglied der SPD, entstünde nach außen der Eindruck, die SPD böte auch Mitgliedern mit Auffassungen im rechtspopulistischen Spektrum Raum.21

Keine rechtliche Bindung von Abgeordneten bei Ausübung ihres Mandats an das Grundsatzprogramm

Abgeordnete des Deutschen Bundestages und der Landtage sind trotz ihrer politischen Einbindung in eine Partei (und Fraktion) bei Ausübung ihres Mandats (z. B. bei Abstimmungen) als Vertreter des ganzen Volkes rechtlich nicht an das Grundsatzprogramm und andere Parteiprogramme ihrer Partei gebunden. Nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG bzw. den Bestimmungen über das freie Mandat in den Landesverfassungen (z.B. Art. 56 LV Bbg) sind sie Vertreter des ganzen Volkes und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Diese Vorschrift gewährleistet für jeden der nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG gewählten Abgeordneten sowohl die Freiheit in der Ausübung seines Mandats als auch die Gleichheit im Status der Vertreter des ganzen Volkes.22 Obwohl Abgeordnete einer politischen Partei angehören, die unter Umständen den parlamentarischen Willensbildungsprozess durch Parteiprogramme innerparteilich vorbereitet hat, behalten sie bei Abstimmungen in Ausübung ihres Mandates ihre Freiheit.  Sie sind also nicht verpflichtet, gemäß dem Parteiprogramm abzustimmen.

Parteiprogramm als Dokument der Positionsbestimmung im Verbotsverfahren

Obwohl der Grundsatz der Parteienfreiheit gemäß Art. 21 Absatz 1 des Grundgesetzes grundsätzlich auch die Wahl der Ziele und Inhalte politischer Parteiprogramme umfasst, kann das Bundesverfassungsgericht im Verfahren über ein Parteiverbot oder einen Ausschluss aus der staatlichen Finanzierung nach Art. 21 Absatz 3 des Grundgesetzes bei der Ermittlung und Bewertung, ob die Ziele einer Partei die demokratische Grundordnung beeinträchtigen, Parteiprogramme als wichtigste Anhaltspunkte verwenden.23 Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Ausschluss der NPD (nunmehr “Die Heimat”) von der staatlichen Parteienfinanzierung, das Parteiprogramm als zentrales Dokument der Positionsbestimmung einer Partei bezeichnet, das dieser grundsätzlich ohne Weiteres zuzurechnen ist.24 

Fazit

Politische Grundsatzprogramme von Parteien legen langfristige Ziele nieder. Sie dienen der Information von Wählern und der Integration der Parteimitglieder. Damit leisten sie nicht nur einen Beitrag zur innerparteilichen Selbstvergewisserung, sondern sind gleichzeitig ein Element der demokratischen Öffentlichkeit. Art. 21 Abs. 1 GG gewährleistet den Parteien die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes, wozu auch gehört, dass Parteien mit eigenen Zielvorstellungen und Programmen auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen. Durch den Grundsatz der Parteienfreiheit ist zudem verfassungsrechtlich gewährleistet, dass Parteien ihre Ziele und Schwerpunkte frei wählen können. Parteiprogramme, insbesondere Grundsatzprogramme, sind politische Selbstverpflichtungen. Sie haben auch indirekte rechtliche Bedeutung, z. B. bei der Auslegung von Rechtsnormen, insbesondere im Parteiordnungsverfahren.

Literatur

¹ Vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 – BVerfGE 168, 193, Rn. 267.
² Dahm, Progammatische Positionen der Parteien, S. 1.
³ Beschlussbuch, S. 4.
Vorwärts 5/2025, S. 12.
Vgl. Lenski, PartG, 1. Aufl. 2011, § 6 Rn. 7; Ipsen, PartG, 2. Aufl. 2018, § 6 Rn. 3.
⁶ Vgl. Kersten/Rixen, PartG, 1. Aufl. 2009, § 1 Rn. 125, § 6 Rn. 12.
⁷ BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 2001 – 2 BvE 1/99 –, BVerfGE 104, 14 Rn. 20.
⁸ Vgl. Kluth, GG, 63. Ed. 15.9.2025, Art. 21 Rn. 20; vgl. Kersten/Rixen, PartG, 1. Aufl. 2009, § 1 Rn. 125.
⁹ Bundesschiedskommission der SPD, Entsch. vom 31. Juli 2020 – 1/202020/P – S. 15 m.w.N.
10 Lenski, PartG, 1. Aufl. 2011, § 6 Rn. 9; Huber/Voßkuhle/Streinz, GG, 8. Aufl. 2024, Art. 21, Rn. 108.
11 Dürig/Herzog/Scholz/Klein, GG, 107. EL März 2025, Art. 21, Rn. 278.
12 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2020 – 2 BvR 121/14 – Rn. 38.Dürig/Herzog/Scholz/Klein, GG, 107. EL März 2025, Art. 21, Rn. 278.
13 Vgl. Kersten/Rixen, PartG, 1. Aufl. 2009, § 1 Rn. 126.
14 Kersten/Rixen, PartG, 1. Aufl. 2009, § 9 Rn. 19.
15 Huber/Voßkuhle/Streinz, 8. Aufl. 2024, GG Art. 21 Rn. 178.
16 Vgl. Kersten/Rixen, PartG, 1. Aufl. 2009, § 1 Rn. 126.
17 Bundesschiedskommission der SPD, Entsch. vom 31. Juli 2020 – 1/202020/P – S. 15 m.w.N.
18 Vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 1979 – II ZR 206/77 –, BGHZ 75, 158, juris Rn. 17.

19 Vgl. Morlok, PartG, 2. Aufl. 2013, § 1 Rn. 6.
20 Bundesschiedskommission der SPD, Entsch. vom 31. Juli 2020 – 1/202020/P – S. 16 m.w.N.

21 Presseerklärung der Bundesschiedskommission der SPD vom 31. Juli 2020, vgl. näher Bundesschiedskommission der SPD, Entsch. vom 31. Juli 2020 – 1/202020/P.
22 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2013 – 2 BvQ 55/13 – juris Rn. 9.
23 Vgl. Karpenstein/Mayer/Arndt/Engels/von Oettingen, EMRK, 3. Aufl. 2022, Art. 11 Rn. 43.
24 BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, BVerfGE 168, 193, Rn. 266.

2025-12-01T17:51:13+01:00
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