Online Special
Industriepolitik in der Rollback-Gesellschaft: Nur Realismus rettet Arbeit und Klima.
#meinung #debatte #spw
Alexander Bercht ist Mitglied im geschäftsführenden Hauptvorstand der IGBCE.
von Alexander Bercht
Die SPD steht auf ihrem Bundesparteitag vor einer wichtigen Standortbestimmung. In einer Zeit, in der rechte Parteien an Stärke gewinnen und Fortschritt mit Überforderung gleichgesetzt wird, geht es um die Frage, ob Politik sich noch zutraut, einen realistischen Zukunftspfad in die Wohlstandssicherung unseres Landes zu definieren.
Dies ist umso drängender, weil wir immer mehr in eine Rollback-Gesellschaft abzudriften drohen. Der Rückzug ins Nationale, der Zweifel an Wandel und das Misstrauen gegenüber politischen Institutionen wurzeln in Unsicherheitserfahrungen einer Welt, in der das Tohuwabohu die politische Agenda diktiert. Der Vertrauensverlust bei vielen Beschäftigten ist mit Händen zu greifen, gerade in der Industrie. Für viele wird „die Transformation“ gegenwärtig als Verlust, denn als Fortschritt erfahrbar. Und diese Verunsicherung strahlt auf die gesamte Gesellschaft aus, weil viele spüren, dass am Herz unseres Wohlstandsmodells herumoperiert wird – mit Folgen für den gesamten Organismus.
Das Narrativ vom grünen Aufbruch hat sich erschöpft, weil es soziale Sicherheiten erodieren ließ, ohne ausreichend neue zu schaffen. Industriearbeitsplätze, die Identität und Wohlstand gesichert haben, gelten plötzlich als Belastung. In der Transformationspolitik regiert ein empathieloser Technokratismus, der in der sozialen Frage auf Verlustkompensation setzt, statt auf echte beschäftigungspolitische Perspektiven, die Sicherheit und Selbstbewusstsein schaffen. Es wird immer deutlicher, dass diese Politik keine gesellschaftlichen Mehrheiten mehr mobilisiert.
Gleichzeitig bietet auch der marktliberale Instrumentenkasten keine Antwort auf die Dringlichkeit des Klimawandels. Dass sich eine derart kapitalintensive Transformation aus sich selbst heraus entfaltet, hat sich als Illusion erwiesen. Die Transformationspolitik der letzten Jahre hat in der Gesellschaft darum die Sehnsucht verstärkt, die Uhr politisch zurückzustellen. Aber auch das wäre ein Fehler.
Was fehlt, ist eine klare Resultatorientierung. Gefragt ist eine Wirtschaftspolitik, die zukunftsfähige Wertschöpfung sichert – klimaneutral UND beschäftigungspolitisch erfolgreich. Ein Ziel über das andere zu stellen – das merken wir immer deutlicher – führt unsere Gesellschaft in eine gefährliche Instabilität.
Der Koalitionsvertrag versucht die Korrektur zentraler Fehlentwicklungen der letzten Jahre. Es werden aber umfassendere Maßnahmen notwendig sein. Zum Beispiel: Der europäische Emissionshandel ist dringend reformbedürftig. In seiner heutigen Form wird er die wirtschaftlichen Probleme weiter verschärfen. Und: Die Rolle des Staates in dieser Transformation muss neu gedacht werden. Insbesondere mit Blick auf das Koordinationsproblem für eine erneuerte industrielle Infrastruktur muss er stärker in eine strategische Mitverantwortung gehen.
Wenn die SPD die Partei sein will, die der Transformation wieder zu Akzeptanz und Erfolg verhilft, muss sie die Sicherung von Beschäftigung viel konsequenter ins Zentrum ihrer Wirtschafts- und Klimapolitik stellen. Nur wer Wandel als Fortschritt für die Vielen formuliert – nicht als Entbehrung oder Privileg – wird in einer verunsicherten Gesellschaft politische Führung zurückgewinnen.