Heft262 – 01/2025

Im Herzen der Transformation – Die Rolle von Arbeit, Betrieb und Arbeitswelt

#analyse #spw

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Dr. Claudia Bogedan ist Sozialwissenschaftlerin und Mitherausgeberin der spw.

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Christina Schildmann leitet die Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung. Zuvor war sie Leiterin der Abteilung Politik und Internationales beim SPD-Parteivorstand. Ihre Schwerpunkte sind aktuell soziale, infrastrukturelle, wirtschaftspolitische und technologische Fragen der digitalen und ökologischen Transformation.

von Claudia Bogedan und Christina Schildmann

Wenn die Rede von gesellschaftlicher Akzeptanz der Transformation ist, geht es zumeist um die Bürgerin als Verbraucherin, den Bürger als Konsumenten, als Auto- oder Bahnfahrerin oder als Heizungsbesitzer. Wir möchten in diesem Beitrag den Blick auf eine andere Sphäre lenken, die aus unserer Sicht mindestens ebenso entscheidend ist für die Akzeptanz und das Gelingen der Transformation, nämlich: die Arbeitswelt.

Wir möchten hier die These aufstellen – und empirisch untermauern – dass sich in der Arbeitswelt nicht nur mitentscheidet, ob das Jahrhundertprojekt „Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität“ gelingt, sondern auch die Zukunft unserer Demokratie. Erwerbsarbeit ist zentral für Demokratie und Zusammenhalt, weil sich in der Arbeit und rund um die Arbeit entscheidet, ob das Individuum gesellschaftliche Teilhabe erfährt (Honneth 2023). Dabei sichert Erwerbsarbeit nicht nur die materielle Teilhabe, sondern entscheidet auch über demokratische Zugänge und soziale Anerkennung¹. Alle drei Dimension sind wichtig dafür, dass Menschen sich als Teil einer Gesellschaft begreifen.

Zwar wird in der Umweltbewusstseinsstudie (zuletzt: BMUV 2023) regelmäßig erhoben, wie die Bevölkerung in Deutschland zu Klimafragen steht. Doch welche Faktoren diese Einstellungen prägen, was Akzeptanz fördert und was Gelingensbedingungen sind, konnte bislang nur unzureichend beantwortet werden. Der Blick auf den Menschen nicht nur als Staatsbürger, sondern als „Erwerbsbürger“ und „Erwerbsbürgerin“ leistet hier einen entscheidenden Beitrag. Wir wollen mit unserer Forschung dazu beitragen, die Bedeutung von Arbeit im öffentlichen Diskurs zu stärken. Unsere bereits vorliegenden Befunde geben Aufschluss darüber, wie der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt und gleichzeitig eine nachhaltigere Wirtschafts- und Lebensweise realisiert werden könnte.

Beschäftigte zwischen Ohnmacht und Gestaltungsmacht

An der University of Leeds fördert die Hans- Böckler-Stiftung ein Kompetenzzentrum mit dem Schwerpunkt „Beschäftigte in der Transformation“ ². Mit einer repräsentativen Onlinebefragung von über 2.000 Beschäftigten in Deutschland im April 2022 wurden Einstellungen zum Klimawandel und zur Transformation erhoben. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf der Bedeutung dieser Themen für das Arbeitsleben und auf den eigenen Gestaltungsmöglichkeiten (Schulz/Trappmann 2023).

Zunächst bestätigten die Befunde aus dem Kompetenzzentrum Leeds, was auch die Umweltbewusstseinsstudie zeigt: Es gibt bei den Beschäftigten ein hohes Bewusstsein für die Dringlichkeit der Klimakrise und ein hohes Maß an Informiertheit über Ursachen, Folgen und Maßnahmen zur Eindämmung. Ein Drittel jedoch sieht kaum oder keine Dringlichkeit – hier zeichnen sich gesellschaftliche und innerbetriebliche Konflikte ab.

Der Klimawandel ist für die überwiegende Mehrheit Thema. Die Zahlen zeigen, wie stark er an den Küchentischen, in den Kantinen und Werkhallen angekommen ist. Acht von zehn Befragten diskutieren Klimafragen mit ihrer Familie, drei Viertel am Arbeitsplatz. Gewerkschaftsmitglieder diskutieren doppelt so häufig über den Klimawandel – sowohl zuhause als auch am Arbeitsplatz. Befragt nach ihren Gefühlen, äußern fast die Hälfte Empörung, knapp drei Viertel empfinden Hoffnung. Beides sind wichtige Antriebskräfte dafür, beim Klimaschutz aktiv zu werden und eine gute Basis für Zustimmung zu einer ambitionierten Klimapolitik.

Geht es um konkrete Maßnahmen, fallen die Zahlen deutlich niedriger aus. Nur knapp mehr als die Hälfte gaben an, dass Aktivitäten im Betrieb stattfinden, ein Fünftel sag en, es fänden keine Veränderungen statt, ein weiteres Fünftel weiß es nicht. Gewerkschaftsmitglieder sind besser informiert: Nur ein Zehntel von ihnen geben an, nicht zu wissen, ob Aktivitäten stattfinden bzw. geplant sind.

Gleichzeitig zeigen die Daten eine hohe Bereitschaft der Beschäftigten, das eigene Verhalten zu ändern und sich beispielsweise beruflich weiterzuentwickeln. Es gibt aber auch eine sehr hohe Erwartungshaltung an den Staat, durch Vorgaben oder Investitionen die Transformation voranzutreiben. Unsere Interpretation: Die meisten Beschäftigten wollen etwas beitragen, es ist ihnen aber klar, dass Klimaschutz eine strukturelle, gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die einen klaren, nachvollziehbaren Rahmen braucht.

Doch die Unsicherheit ist groß, wenn es um die Einschätzung der Folgen für das eigene Leben geht. Gewerkschaftsmitglieder heben sich hier klar ab: Sie sehen mehr Gestaltungspotenziale und Chancen, gleichzeitig sind sie sich möglicher Verwerfungen und Verluste bewusster. Offensichtlich fühlen sie sich selbstwirksamer und sind weniger lost in transformation. Gewerkschaftsmitglieder werden somit zu einer bedeutenden, potenziell Konflikt-befriedenden und orientierenden Kraft. Insgesamt ist es für die Akzeptanz der Transformation von zentraler Bedeutung, dass die Beschäftigten selbst ein aktiver, handlungsmächtiger Teil des Wandels sind.

Zusammengefasst könnte man durchaus positiv auf die Befunde blicken. Der Weg zur Klimaneutralität wird zudem mit mehr Wohlbefinden und Gesundheit sowie besseren Umweltbedingungen (z. B. Luftqualität) verbunden. Für die Zustimmung schädlich könnte sich jedoch die hohe Sorge um die eigene Zukunft sowie die gesamtgesellschaftlichen Folgen erweisen. Ein Großteil fürchtet eine Steigerung der Lebenshaltungskosten, die Zunahme von Armut und Ungleichheit und die Senkung des Lebensstandards. Wenn die Transformation nicht sozial und demokratisch gestaltet wird, droht nicht nur die Akzeptanz für die nötigen Veränderungen zu schwinden, sondern auch das Vertrauen in die Demokratie insgesamt.

Arbeit, Transformation und Demokratie

Unter der Leitung von Prof. Dr. Bettina Kohlrausch wurde am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler- Stiftung eine Indikatorik entwickelt, um das Konzept eines auf der Position im Arbeitsleben begründeten Staatsbürgerverständnisses empirisch messbar zu machen. Die Ergebnisse dieser Forschung zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem eigenen Arbeitsverhältnis, den eigenen Transformationserfahrungen und antidemokratischen Einstellungen gibt (Hövermann/ Kohlrausch/Voss 2021). Dabei konnte statistisch evident (kontrolliert für Bildung und Einkommen) nachgewiesen werden, dass Beschäftigte, die unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen sind, bei denen die Bezahlung nicht stimmt und die im Job wenig Mitsprachemöglichkeiten haben, überdurchschnittlich oft negative Einstellungen gegenüber der Demokratie und gegenüber Zugewanderten haben. Auch ist ihre Bereitschaft zur Veränderung geringer ausgeprägt.

Dieser Zusammenhang konnte auch in anderen (europäischen) Ländern nachgewiesen werden³. In einer Befragung von Beschäftigten in Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Polen, Spanien, Schweden und Ungarn zeigen sich drei große Trends. Erstens wurde deutlich, dass schlechte Arbeitsbedingungen und das sich daraus ergebende Potenzial für Frust sowie Benachteiligungs- und Ohnmachtserleben in allen untersuchten Ländern ein Nährboden für die Entstehung anti demokratischer Einstellungen sind, die dann von rechten Parteien mobilisiert werden können. Zweitens stärken gute Arbeitsbedingungen das Vertrauen in die EU und ihre Institutionen – und das selbst in den Ländern, in denen die EU ablehnende Parteien regieren oder bis vor kurzem regiert haben. Drittens stärken Transformationssorgen extrem rechte Parteien. Die Arbeitswelt ist europaweit relevant, um den Aufstieg der politischen extremen Rechten zu verstehen und zu bekämpfen.

Fazit

Die Gestaltung der Arbeitswelt, so zeigen die vorgestellten Befunde, ist der Schlüssel für eine gelingende Transformation. Wenn Menschen am Arbeitsplatz Erfahrungen gesellschaftlicher Teilhabe machen, stärkt dies zudem das demokratische Fundament.

Überall dort, wo Beschäftigte sich und ihre Expertise in die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse einbringen können, wächst die Bereitschaft zu Veränderung und schrumpft das Potential für rechtsextreme Parteien. Eine gesetzlich verbriefte Mitbestimmung im Betrieb und auf der Unternehmensebene ist dafür eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Vorausbedingung. Die Mitbestimmung selbst steht jedoch seit Jahrzehnten unter massivem Druck und findet in immer weniger Betrieben statt. Zuletzt konnten Gewerkschaften zwar den Mitgliederschwund stoppen und wieder wachsen. Ungebrochen ist jedoch die Flucht der Arbeitgeber aus der Tarifbindung, die sich ausweitende Bekämpfung und Vermeidung von Betriebsräten und (paritätischer) Mitbestimmung auf Unternehmensebene (Sick 2024). Dabei ist belegt, dass Mitbestimmung im Aufsichtsrat auch zu Unternehmensstrategien führt, die ökonomisch nachhaltiger und erfolgreicher sind (Campagna u. a. 2020). Die paritätische Mitbestimmung in Unternehmen stützt damit die politische und soziale Ordnung und bringt zudem messbare ökonomische Vorteile (Rapp/Wolff 2019). Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter im Aufsichtsrat, Betriebsräte und Vertrauensleute tragen mit ihrer Arbeit daher auch zu einer Stabilisierung der Gesellschaft und der Wirtschaft insgesamt bei (Jirjahn/Le 2022). Der Gesetzgeber hat daher viele gute Gründe, um die Lücken in der Gesetzgebung, die diese Mitbestimmungsflucht ermöglichen, endlich zu schließen.

¹ So dürfen an Betriebsratswahlen – anders als bei politischen Wahlen – alle Beschäftigten eines Betriebes teilnehmen. Niemand wird aufgrund seines Alters, seiner Herkunft u. ä. ausgeschlossen.
² Darüber hinaus fördert die HBS weitere Forschungsprojekte zur Frage, wie Beschäftigte die Transformation erleben, darunter: Tullius, Knut; Wolf, Harald; Vogel, Berthold: „Mentalitäten des Umbruchs“ und Boes, Andreas; Lühr, Thomas; Kämpf, Tobias; Vogl, Elisabeth: „Transformationserleben“.
³ Eine Vorabveröffentlichung ausgewählter Forschungsergebnisse ist unter https://www.boeckler.de/pdf/pm_wsi_2024_06_03.pdf abrufbar.

Literatur
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz 2023: Umweltbewusstsein in Deutschland 2022. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage.

Campagna, Sebastian/Eulerich, Marc/Fligge, Benjamin/Scholz, Robert/Vitols, Sigurt: Entwicklung der Wettbewerbsstrategien in deutschen börsennotierten Unternehmen: Der Einfluss der Mitbestimmung auf die strategische Ausrichtung und deren Performance, Mitbestimmungsreport Nr. 57, April 2020.

Honneth, Axel 2023: Der arbeitende Souverän, Suhrkamp.

Hövermann, Andreas/Kohlrausch, Bettina/Voss, Dorothea2021: Anti-demokratische Einstellungen. Forschungsförderung Policy Brief Nr. 7.

Jirjahn, Uwe/ Le, Thi Xuan Thu 2022: Political Spilloversof Workplace Democracy in Germany, IZA Discussion Paper Nr. 15444.

Kompetenzcluster der Hans-Böckler-Stiftung zu aktuellen Fragen der Transformation: https://www.boeckler.de/de/kompetenzcluster-59261.htm.

Rapp, Steffen/Wolff, Michael 2019: Wirkung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat auf die Unternehmensführung. Eine empirische Analyse vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise. Study der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 424

Schulz, Felix/Trappmann, Vera: Erwartungen von Beschäftigten an die sozial-ökologische Transformation. Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zu Klimawandel und Arbeitswelt. Working Paper Forschungsförderung, Nummer 308, Oktober 2023, Hans-Böckler-Stiftung.

Sick, Sebastian 2024: Erosion der Unternehmensmitbestimmung. Zur Mitbestimmung und Mitbestimmungsvermeidung in Deutschland. I.M.U. Mitbestimmungsreport Nr. 81.

Tullius, Knut/ Wolf, Harald/Vogel, Berthold 2023: Abschied von gestern. Mentalitäten und Transformationserfahrungen von Arbeitnehmer*innen in der Automobilindustrie in der Region Stuttgart. Working Paper Forschungsförderung 276, Hans-Böckler-Stiftung.

Der vorliegende Text stammt aus dem vom Bundeskanzleramt herausgegebenen Sammelband „ZWISCHEN ZUMUTUNG UND ZUVERSICHT. Transformation als gesellschaftliches Projekt“ (Berlin 2024), den wir mit freundlicher Genehmigung nachdrucken. Download sowie Bestellmöglichkeit unter https://www.publikationen-bundesregierung.de/pp-de/publikationssuche/transformation-gesellschaft-2330508

2025-06-26T18:24:57+02:00
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