Diese Transformation retten?

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Foto: © Stiftung Arbeit und Umwelt

Andrea Arcais ist seit Mai 2022 Geschäftsführer der Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE. Vorherige berufliche Stationen: Abteilungsleiter Klima-, und Energiepolitik des DGB NRW und persönlicher Referent der Vorsitzenden / Geschäftsführer der Diskursplattform „KlimaDiskurs.NRW“.

Von Andrea Arcais

Der Verwundbare schätzt nicht den Wandel, sondern Stabilität und Gemeinschaft. Für die oberen Schichten bedeutet Wandel, dass du dich weiterentwickelst oder ein Start-up gründest. Für die Arbeiterklasse heißt Wandel meist, dass du gefeuert wirst.

— Robert Misik

Die industrielle Transformation in die Treibhausgasneutralität ist längst im Gange und sie ist zweifellos notwendig. Angesichts der Klimakrise, der geopolitischen Abhängigkeiten und der technologischen Dynamiken steht außer Frage, dass unsere Wirtschaft einen tiefgreifenden Umbau durchlaufen muss. Es geht längst nicht mehr um das ob, sondern um das wie. Auf diese Ziele muss eine Transformation einzahlen, die die Chance hat, eine breite Unterstützung zu finden: Sie muss finanzielle, technische und soziale Brücken in die Treibhausgasneutralität bauen, als Innovationsmotor und damit auch als Standortstabilisator für die Industrien in unserem Land wirken und den Wandelprozess von Arbeit organisieren und unterstützen.

Allerdings ist fraglich, ob die Umsetzung der Transformationsagenda die oben genannten Ziele in ihrem Zusammenhang erreicht. Seit dem Überfall der Russischen Föderation auf die Ukraine im Februar 2022 sind mit dem Stopp der preisgünstigen Gaslieferungen und dem folgenden Sanktionsregime gegen Russland notwendige Brücken zerstoben, die den Übergang von fossiler hin zu regenerativer Energie in der Industrie ermöglichen sollten. Auch wenn die Ampel-Regierung in sehr kurzer Zeit (und gegen den Rat des heutigen Bundeskanzlers und von nicht wenigen Ökonom*innen) sich erfolgreich um Ersatz gekümmert hat und damit eine weitreichendere Krise für die industrielle Basis unseres Landes abwenden konnte – die Umsetzung der bisherigen Transformationsagenda ist in Schieflage.

Waren die internationalen Wettbewerbsbedingungen vor allem für die energieintensiven Industrien schon vor dem Februar 2022 schwierig, so droht seitdem, dass anstehende Investitionsentscheidungen zwar getroffen werden – aber für Standorte außerhalb Deutschlands und Europas. Die Wiederwahl von Donald Trump, die erratische Handels-, und Zollpolitik seitens der USA und die Verschärfung der Konkurrenz zwischen den USA und China hat die Situation noch verschärft. Die Folgen dieser Multikrisen für die Beschäftigten und ihre Familien sind teils sehr negativ und zeigen Wirkung. Auch mit Folgen für die Demokratie. Was in der „Erzählung“ vom Wandel unserer Wirtschaft und Gesellschaft hin zu einer nachfossilen, einer treibhausgasneutralen, modernisierten und nachhaltigen Zukunft versprochen wurde, ist zerbrochen.

Die realen Erfahrungen vieler Beschäftigter sehen so aus: Verlust von Standorten, aufgeschobene oder gestrichene Investitionen in neue, modernisierte Anlagen mit der Folge von Arbeitsplatzverlusten, Sorgen um die berufliche Zukunft, um den Lebensstandard und manchmal auch um die Existenz. Nun könnte man einwenden, dass die Zahl der so angesprochenen Beschäftigten groß ist, sie aber im Vergleich zur Gesamtbevölkerung immer noch keine Mehrheit darstellt. Aber jede und jeder Beschäftigte lässt die eigenen Meinungen, Befürchtungen und Einschätzungen nicht am Werkstor zurück. Und Gespräche darüber finden – banale Analyse – nicht nur am familiären Esstisch und in der Stammkneipe statt, sondern am globalen Stammtisch, den sogenannten sozialen Medien.

Wer sich Gedanken darüber macht, wie die Transformation von Klimawandelleugnern und Rechtspopulisten erfolgreich angegriffen werden konnte, sollte sich aber nicht nur die kommunikative Kampagnenfähigkeit von rechts ansehen, sondern bewusst machen, dass diesen Kampagnen auch reale Probleme zugrunde liegen können. Die energieintensive Industrie hat Produktion eingebüßt. Die angekündigten Investitionen in neue Technologien kommen bislang nur schleppend voran. Wissenschaftliche Expertisen beziffern den jährlichen Investitionsbedarf auf bis zu 255 Milliarden Euro – eine Dimension, die nur durch koordinierte öffentliche und private Anstrengungen zu erreichen ist. Das sind Zahlen und Fakten, die länger schon bekannt sind.

Ihre Wirkung auf den Großteil der Menschen in unserem Land wird verstärkt durch das, was politische Rahmensetzungen im privaten Leben vieler Menschen bewirken. Hier zur Illustration wenige Stichworte, die bekannt sind: Elektrifizierung des Individualverkehrs contra nicht vorhandene Infrastruktur im ländlichen Deutschland. Anschaffungspreise für E-Mobilität, die jenseits der Möglichkeiten von „Durchschnittsverdiener*innen“ liegen. Erhöhungen von Energiepreisen für Wärme und Sprit. Dass das Soziale mitgedacht werden muss in der Transformation, ist mittlerweile verbal Allgemeingut. Und die Antwort lautet dann: Klimageld? Ein Klimageld oder ähnliche Ausgleichszahlungen können kurzfristig nur unzureichend entlasten. Sie wären in der Summe von geringer Wirkung. Vor allem aber ersetzen sie weder strukturelle Investitionen noch Arbeitsplatzsicherung. Ohne verlässliche Transformationsbrücken bleiben sie symbolische Gesten – moralisch gut gemeint, aber ökonomisch unzureichend. Wichtiger ist der Kampf darum, wie die nun vorgesehenen hunderte Milliarden eingesetzt werden, um die Voraussetzungen für eine im oben genannten Sinne gelingende Transformation zu schaffen.

Kommunikation ersetzt keine Substanz

Die gängige Diagnose „Wir müssen besser kommunizieren“ ist deshalb falsch. Zunächst entsteht der Eindruck, es gehe weniger um die materiellen Voraussetzungen als um das richtige Narrativ, dass es „lediglich“ um eine wirksamere Verteidigung einer an sich richtigen Politik gehe. Doch Kommunikation kann nicht verdecken, wenn die zugrunde liegenden Strukturen brüchig sind. Entscheidend ist, ob Instrumente und politische Rahmenbedingungen stimmen. Sich wiederholenden Beteuerungen, es gehe allen politischen Akteuren um eine Transformation, die die Industrie und die Arbeitsplätze im Land erhält, sind deswegen schal, weil die Wirkung der konkreten Politik nicht zu diesen Beteuerungen passt.

Diese Widersprüche haben konkrete Folgen: Beschäftigte spüren die Unsicherheit unmittelbar. Ein wachsendes Misstrauen gegenüber politischen Versprechen prägen die Wahrnehmung. Die politische Botschaft, alles werde durch die Transformation besser, hat ihre Glaubwürdigkeit verloren, wenn gleichzeitig lokale Standorte schließen und Regionen ihre industrielle Basis einbüßen. Ohne verlässliche soziale Brücken hat damit diese Transformation ihre gesellschaftliche Akzeptanz weitgehend verloren.

Eine Verbindung von Transformation und Demokratie

Gerade die politische Linke betont mit Nachdruck die Notwendigkeit ökologischer Veränderungen. Eine sozialdemokratische Politik müsste aber ins Zentrum nicht nur ihrer Kommunikation, sondern ihrer Programmatik und konkreten Politik Arbeit, Wertschöpfung, nachhaltige Entwicklung und den Erhalt der Industrie stellen. Die Transformation als „rotes“ Projekt stellt damit kein Gegenmodell zum Kampf gegen die Klimakatastrophe dar. Aber sie müsste zeigen, dass diese nur dann eine Aussicht auf eine gesellschaftliche Mehrheit haben wird, wenn sie auch aus der Perspektive der Beschäftigten und ihrer Familien formuliert wird. Dies ist keine auf Sozial- und Beschäftigungspolitik reduzierte Aufgabe. Es geht darüber hinaus und beinhaltet vor allem die Verbindung von Transformation und Demokratie.

Eine sozialdemokratische Transformationsgestaltung muss darauf achten, dass betriebliche und Unternehmens-Mitbestimmung gestärkt wird. Nicht um die Belegschaften „mitzunehmen“, wie zumeist formuliert wird, sondern um sie in ihrem Anspruch auf Gestaltung zu stärken und als Subjekte der Gestaltung zu ermächtigen. So richtig es ist, sich für mehr gesellschaftliche Partizipation einzusetzen, so verengt ist der Blick, wenn dabei vor allem der politische Raum im Zentrum steht. Axel Honneth hat in der Einleitung zu seinem Buch „Der arbeitende Souverän“ treffend auf das Folgende hingewiesen:

So gerne man sich auch vorstellt, die Bürgerinnen und Bürger seien vor allem damit beschäftigt, sich engagiert an politischen Auseinandersetzungen zu beteiligen: Die soziale Realität sieht anders aus. Tagtäglich und über viele Stunden hinweg gehen nämlich die meisten, von denen da die Rede ist, einer bezahlten oder unbezahlten Arbeit nach, was es ihnen aufgrund der damit verbundenen Unterordnung, Unterbezahlung oder Überforderung nahezu unmöglich macht, sich in die Rolle einer autonomen Teilnehmerin an der demokratischen Willensbildung auch nur hineinzuversetzen.

Die Erfahrungen, die Beschäftigte in Bezug auf demokratische Teilhabe während der Arbeit machen, und ihre Wirkung nicht nur auf das Wahlverhalten, sondern auf demokratisches Bewusstsein spielen in der gesellschaftlichen Debatte keine Rolle. Das ist sträflich.

Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi hat bereits im Frühjahr 2024 vor einer gesellschaftlichen Überforderung durch zu hohen Anpassungsdruck gewarnt. Sie forderte gezielte Entlastungen bei Energiepreisen, eine Reform der Schuldenbremse und realistische Ausbaugeschwindigkeiten – ohne das Ziel der Klimaneutralität 2045 infrage zu stellen. Entscheidend ist, dass solche Positionen nicht als Bremse, sondern als Realitätsprüfung verstanden werden. Diese Diagnose hat ihre Gültigkeit nicht verloren. Es geht um Wahrnehmung der Realitäten.

Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Die Transformation ist per se weder zum Scheitern verurteilt noch unweigerlich in den Händen der Rechten. Sie wird dann scheitern, wenn alle Akteure in Politik und Gesellschaft, die diesen Wandel wollen, nicht bereit sind, sich den realen Bedingungen und bisherigen Folgen der beschlossenen Rahmensetzungen und Maßnahmen zu stellen. Wie wäre es mit einer Bilanz der Ergebnisse der bisherigen Transformationsagenda von Seiten der Sozialdemokratie? 
Das wäre ein Anfang, um daraus Schlüsse zu ziehen.

2025-10-22T08:45:27+02:00
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