Heft 264 – 03/2025

„Die Transformation ist die Chance auf ein besseres Leben“ – Interview mit Jakob Blankenburg

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Jakob Blankenburg (SPD) ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter für Lüchow-Dannenberg und Lüneburg. Er war von 2017 bis 2021 Landesvorsitzender der Jusos Niedersachsen und gehört seit 2021 dem Bundestag an. Seit 2025 ist er umwelt- und klimapolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Interview mit Jakob Blankenburg

spw: Von einem Überfliegerthema, das die Diskurse dominierte und das viele Menschen bewegt hat (und immer noch bewegt), ist die Transformation ein bisschen in die Schmuddelecke gedrängt worden. Mehr und mehr wurde die sozial-ökologische Transformation von einem hoffnungsvoll aufgeladenen Konzept zu einem Begriff im Kulturkampf der AfD und anderer rechter und konservativer Kräfte. Dabei geht es hierbei jedoch weiterhin und für uns immer nicht nur um den Klimaschutz, sondern auch um die Frage: Wie bleibt der Wandel sozial gerecht und bietet Chancen für alle? Wie betrachtest Du den Stand der sozial-ökologischen Transformation aktuell? Stehen wir noch am Anfang, befinden wir uns mittendrin und wenn ja, sind wir auf einem guten Weg?

Jakob Blankenburg: Wir sind mittendrin – aber noch lange nicht am Ziel. Ich vergleiche die Transformation gern mit einem Marathon: Der Startschuss ist gefallen, die ersten Kilometer sind geschafft. 2024 kamen fast 60 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien, Windkraft ist inzwischen die wichtigste inländische Energiequelle, Photovoltaik hat ein Rekordjahr hingelegt. Das zeigt: Wir haben Tempo aufgenommen. Aber entscheidend wird die zweite Hälfte des Marathons. Wenn wir 2045 klimaneutral sein wollen, müssen wir das Tempo noch einmal steigern, die Richtung klar halten und gleichzeitig sicherstellen, dass wirklich alle mitkommen.

spw: Findest Du, dass es den progressiven Kräften in unserer Gesellschaft in den vergangenen Jahren ausreichend gelungen ist, auf die Bedeutung von sozialer Gerechtigkeit im Themenbereich Klimaschutz hinzuweisen?

J.B.: Ganz ehrlich: Nein. In der öffentlichen Wahrnehmung verbinden viele Menschen Klimaschutz vor allem mit Einschränkungen, Verboten und höheren Kosten. Dabei geht es doch um weit mehr. Wir reden über die Frage, wie wir unsere Industrie umbauen, wie wir produzieren, wie wir wohnen, wie wir mobil sind. Und das muss gerecht geschehen, damit die Chancen und Lasten fair verteilt sind. Klimaschutz ist deshalb immer auch eine soziale Frage. Wir müssen viel stärker betonen, dass es um Teilhabe, um Sicherheit und um Gerechtigkeit geht – sonst bekommen wir keine Mehrheiten für eine wirklich ambitionierte Politik.

spw: Glaubst Du, dass wir es in den aktuellen Transformationsprozessen schaffen, „alle mitzunehmen“?

J.B.: In der Vergangenheit wurde Klimaschutz oft so dargestellt, als sei es alleinige Aufgabe der Einzelnen. Aber Mieterinnen können sich ihr Heizsystem nicht aussuchen, Rentnerinnen mit kleiner Rente können keine energetische Sanierung stemmen, und wer auf dem Land wohnt, hat ohne Auto oft keine Chance. Kein Wunder, dass sich viele überfordert oder abgehängt fühlen. Deshalb sage ich klar: Klimaschutz muss als gemeinschaftliche Aufgabe gedacht werden. Wir brauchen öffentlichen Nahverkehr, der wirklich funktioniert, bezahlbare Energie für alle und Förderprogramme, die dort greifen, wo sie am meisten gebraucht werden. Nur so entsteht das Gefühl: Ich gehöre dazu, ich kann Teil dieses Wandels sein.

spw: Welche positiven Entwicklungen oder Erfolge siehst Du bisher, die Mut machen? Gibt es konkrete Projekte, von denen wir lernen können?

J.B.: Das Deutschlandticket ist für mich ein gutes Beispiel. Es bietet Millionen Menschen eine einfache und kostengünstige Möglichkeit, klimafreundlich unterwegs zu sein. Schon im September 2024 hatten mehr als 20 Prozent der Bevölkerung ein Ticket. Das zeigt, dass Menschen bereit sind, neue Angebote anzunehmen. Gleichzeitig sehen wir die Grenzen: Auf dem Land ist das Angebot oft noch zu schwach, um den Alltag wirklich zu bestreiten. Deshalb halte ich Social Leasing für ein starkes Instrument. Frankreich hat vorgemacht, wie einkommensschwache Haushalte Zugang zu kleinen E-Autos bekommen können – die Nachfrage war doppelt so hoch wie erwartet. Solche Modelle können auch bei uns dafür sorgen, dass der Klimaschutz nicht am Geldbeutel scheitert.

spw: Und welche Fehler haben vielleicht auch besonders geprägt und verdeutlicht, wie eine sozial-ökologische Transformation nicht aussehen sollte?

J.B.: Viele Förderprogramme haben in der Vergangenheit vor allem die erreicht, die ohnehin investieren konnten. Wer ein hohes Einkommen hat, kann leichter auf ein neues Auto oder eine Solaranlage umsteigen. Wer wenig verdient, bleibt oft außen vor – dabei sind gerade diese Haushalte am stärksten betroffen, weil sie in schlechter gedämmten Wohnungen leben oder höhere Energiekosten tragen müssen. Klimaschutz darf keine Frage des Einkommens sein. Deshalb müssen Förderungen gezielt, sozial gestaffelt und unbürokratisch sein. Nur wenn auch Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen profitieren, wird die Transformation wirklich gerecht.

spw: Wo liegen aus deiner Sicht die größten Chancen für neue Arbeitsplätze, Innovationen oder regionale Wertschöpfung?

J.B.: Klimaschutz ist kein Jobkiller, im Gegenteil: Er ist ein Jobmotor. In vielen Branchen entstehen neue Chancen – im Bau und Handwerk, in der Energietechnik, in der Industrie. Die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften wird zunehmen, und das auf allen Qualifikationsniveaus. Das ist auch eine Chance für Regionen, die heute noch als strukturschwach gelten. Dort können neue Wertschöpfungsketten entstehen, wenn wir den Wandel klug gestalten und Investitionen gezielt lenken.

spw: Viele Menschen fürchten steigende Preise und Belastungen. Welche politischen Maßnahmen stellen sicher, dass die Transformation gerecht bleibt und niemand zurückgelassen wird?

J.B.: Klar ist: Klimaschutz kostet. Aber kein Klimaschutz kostet am Ende ungleich mehr – ökologisch wie ökonomisch. Deshalb müssen wir die Lasten gerecht verteilen. Wer viel verdient, kann auch mehr tragen. Menschen mit geringen Einkommen dagegen brauchen Unterstützung und Planungssicherheit. Es geht darum, Förderungen so zu gestalten, dass niemand überfordert wird. Wenn Bürgerinnen und Bürger wissen, was auf sie zukommt und welche Hilfe sie erwarten können, entsteht Vertrauen. Dieses Vertrauen ist entscheidend für die Akzeptanz des Wandels.

spw: Ist es überhaupt möglich – und wenn ja, wie? –, dass das von regressiven Kräften gezeichnete Bild der sozial-ökologischen Transformation, das aktuell als Narrativ dominiert, abgelöst werden kann? Wie gewinnen wir die Hegemonie über die Zukunftserzählung im Transformationsbereich zurück?

J.B.: Rechte Kräfte setzen auf Angst: vor Verzicht, vor Kosten, vor sozialem Abstieg. Wir müssen dagegen eine andere Geschichte erzählen – eine, die Mut macht. Die Transformation ist die Chance auf ein besseres Leben: bezahlbare Energie, sichere Arbeitsplätze und eine intakte Umwelt. Wir müssen zeigen, dass Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit Hand in Hand gehen. Wenn wir das glaubwürdig vermitteln und durch konkrete Politik belegen, können wir die Deutungshoheit zurückgewinnen.

spw: Wie können Arbeitnehmer*innen in klassischen Industrien positiv in den Wandel einbezogen werden?

J.B.: Viele klassische Industrien stehen vor tiefgreifendem Wandel – Stahl, Chemie, Autoindustrie. Für die Beschäftigten bedeutet das Unsicherheit. Wichtig ist, dass sie nicht nur Objekt des Wandels sind, sondern aktiv beteiligt werden. Weiterbildung, Umschulungen und Qualifizierung sind zentrale Instrumente. Wer sieht, dass er oder sie auch in Zukunft gebraucht wird, dass neue Perspektiven entstehen, nimmt den Wandel nicht als Bedrohung wahr, sondern als Chance.

spw: Wenn wir zehn Jahre nach vorne schauen: Wie könnte Deutschland im besten Fall durch die Transformation aussehen?

J.B.: 2035 ist Deutschland klimafreundlicher, gerechter und widerstandsfähiger. Wir haben unsere Emissionen massiv reduziert, der Kohleausstieg ist fast abgeschlossen, und mehr als 80 Prozent unseres Stroms kommen aus erneuerbaren Energien. In den Städten nutzen Menschen selbstverständlich Bus und Bahn, auf dem Land fahren dank guter Förderung viele mit E-Autos. Gleichzeitig haben wir Milliarden in die Regionen investiert, neue Arbeitsplätze geschaffen und den Menschen dort klare Perspektiven gegeben. Das ist das Bild, an dem ich arbeite.

spw: Tut die aktuelle Regierung aus CDU und SPD genug, um diese Vision zu erreichen?

J.B.: Klimaschutz in einer Koalition mit der Union ist kein Selbstläufer – dazu kommen eine angespannte Haushaltslage und viele internationale Krisen. Aber: Im Koalitionsvertrag ist klar festgelegt, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral wird. Jetzt braucht es die SPD, die diesen Kurs mit Nachdruck verfolgt, die soziale Fragen im Blick hat und Verantwortung übernimmt. Nur so gelingt es, den Transformationsprozess auf Kurs zu halten.

spw: Was motiviert Dich persönlich, an der sozial-ökologischen Transformation zu arbeiten – und welche Botschaften willst Du insbesondere denjenigen Personen mitgeben, die skeptisch sind?

J.B.: Mich motiviert der Anspruch, Politik für die Realität der Menschen zu machen. Die Transformation ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, aber auch eine riesige Chance. Es geht nicht darum, etwas wegzunehmen, sondern gemeinsam etwas zu gewinnen: stabile Energiepreise, sichere Jobs, eine saubere Umwelt. Ich will, dass auch die nächsten Generationen gut leben können. Das ist für mich der Kern der sozial-ökologischen Transformation.

2025-12-05T10:57:57+01:00
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