Heft 264 – 03/2025

Früher Steine, heute Scheine?

Warum antifaschistische Wirtschaftspolitik sinnvoll ist

#analyse #wirtschaftspolitik #spw

Foto: © privat

Robin Busch (22) lebt in Bonn und studiert dort VWL. Er ist seit 2024 im Landesvorstand der NRW Jusos.

VON Robin Busch

Der Begriff der antifaschistischen Wirtschaftspolitik entstammt, wie so viele Diskursbegriffe dieser Tage, Twitter. Dort wurde er von der deutschen Ökonomin Isabella Weber kurz nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl im November 2024 platziert und dort erfuhr er das erste Mal größere Verbreitung. Damals passierte, wovor sich viele Beobachter*innen stets gefürchtet hatten, denn Donald Trump gelang mit seiner „America-first“-Rhetorik und seinen wirren Tiraden gegen Minderheiten und ausländische Regierungen ein eindeutiger Wahlsieg – inmitten einer anspruchsvollen wirtschaftspolitischen Situation.

Da auch Deutschland zur Zeit in der Krise steckt, wirtschaftlich sowie politisch, forderte Weber die antifaschistische Wirtschaftspolitik im Kontext der Bundestagswahl im Februar 2025 auch hierzulande. Kann uns dieses Konzept tatsächlich helfen, die aktuellen Herausforderungen für unsere Demokratie zu meistern?

Kann Wirtschaft antifaschistisch sein?

Seit der Industrialisierung haben sich zwischen (freier) Wirtschaft und staatlichen Akteuren in Westeuropa feste Rollenverteilungen etabliert, die zwar wiederholt durch Kriege und Krisen aufgelöst und neu verhandelt wurden, insgesamt aber eine gewisse Stringenz aufweisen. Insbesondere in der westdeutschen Nachkriegsordnung, die gemeinhin als „soziale Marktwirtschaft“ bezeichnet wird, schien die Bundesrepublik lange eine gute Linie zwischen der Entwicklung und Förderung der Industrie- und Exportwirtschaft auf der einen, und politischer Stabilität auf der anderen Seite gefunden zu haben. Die Wachstumsraten der ersten zwei Jahrzehnte seit der Staatsgründung 1949 waren relativ hoch, es herrschte Vollbeschäftigung und das Wohlstandsniveau in Westdeutschland stieg kontinuierlich. In diesem Klima des „allgemeinen Aufschwungs“ entwickelte sich, mit SPD, Union und FDP, ein stabiles Parteiensystem, das den politischen Raum weitgehend beherrschte und, bis zur Gründung der NPD 1964, den parteilich organisierten Faschismus aus den Parlamenten drängte. Und sobald die wirtschaftlichen Turbulenzen in der BRD wieder an Fahrt aufnahmen, waren Rechtsextreme wie die Republikaner zur Stelle, um politisch daraus Kapital zu schlagen. Mit den Erinnerungen an die politisch wie wirtschaftlich instabile Weimarer Republik im Hinterkopf arbeiteten Regierungen in ganz Europa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert daran, mit Mitteln der Wirtschaftspolitik auch politische Stabilität zu erreichen.

Als Faustregel gilt: Eine stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik sorgt für eine niedrige Arbeitslosigkeit und hält dabei die Inflation, also die Entwicklung der Preise, stabil. Beide Themen haben sowohl im US-Wahlkampf 2024 als auch vor der Bundestagswahl eine entscheidende Rolle in der Auseinandersetzung der Parteien gespielt.

Inflation als Wahlhelferin der Rechtsextremen

Während der Amtszeit von Joe Biden (2021–2025) stabilisierte die amerikanische Regierung die durch die Covid-19 Pandemie strauchelnde Wirtschaft mit schwindelerregenden Investitionspaketen. Die Inflation stieg währenddessen von 1,4 % im Januar 2021 auf zeitweise deutlich über 8 % während des Jahres 2022. Weber konnte in ihrer Forschung allerdings zeigen, dass ein großer Teil dieser deutlichen Inflation dadurch entstehen konnte, dass Unternehmen ihre Preise nach den ersten Schockwellen der Pandemie nicht mehr nach unten anpassten, sondern sich, in einer Art kollektiver Preisabsprache, bereicherten.

Donald Trump und seine Clique rückten die hohen Lebensmittelpreise und die angeblich verpfuschte Wirtschaftspolitik, neben Rassismus und Queerfeindlichkeit, in den Mittelpunkt ihrer Kampagne. Diese Strategie hatte Erfolg: Seinen Wahlsieg verdankte Trump vor allem jenen US-Bürgern, die keine Hochschulabschlüsse haben und deren Einkommen in den letzten Jahrzehnten relativ schlecht war. Insbesondere Menschen, die die wirtschaftliche Situation der USA als schlecht einschätzten, wählten vermehrt Trump.

Und auch bei uns scheint es einen Zusammenhang zwischen Wirtschaftspolitik und Wahlentscheidungen zu geben: Schließlich waren es Arbeiter*innen und Arbeitslose, die bei der vergangenen Bundestagswahl besonders häufig AfD gewählt haben (38 % und 34 %). Also gerade die Bevölkerungsgruppen, die am empfindlichsten auf Inflation und Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt reagieren. Dass laut Umfragen Wähler*innen rechtsextremer Parteien ihre eigene wirtschaftliche Situation deutlich öfter als „schlecht“ einschätzen, deutet ebenfalls auf einen Zusammenhang hin. Die Inflation, als Ausdruck wirtschaftlicher Unruhe, hat in den letzten Jahren den Rechtsruck wahrscheinlich beschleunigt und spielt auch für Weber eine große Rolle.

Inflation: Umverteilung von unten nach oben?

Nicht alle Menschen erleben die Inflation in gleicher Weise. In den Jahren nach Beginn des Ukraine-Kriegs wurden die Preise für Wohnen, Lebensmittel und Mobilität stärker erhöht als für andere Produkte. Und genau diese Güter (Wohnen, Lebensmittel und Mobilität) machen im Konsumverhalten von Arbeiter*innen und Arbeitslosen den größten Teil ihrer Ausgaben aus. Arbeiter*innen und Arbeitslose, die einen höheren Teil ihres gesamten Einkommens für Lebensmittel, Miete und das tägliche Leben ausgeben müssen, haben so die stärksten Preiserhöhungen zu spüren bekommen.

Verstärkend wirkt sich aus, dass diese Gruppen ein anderes Spar- und Anlageverhalten aufweisen als andere. Ihre Sparquote ist geringer, sie profitieren daher seltener von Zinsen und Wachstum an den Finanzmärkten und können die Folgen der Inflation schlechter abmildern als Reiche. Wenn die Inflation steigt, verlieren weder Aktiendepots noch Immobilien an Wert. Und wenn doch, können Menschen mit hohem Einkommen mit ihrem Konsum auf günstigere Alternativen ausweichen. Große Teile der Bevölkerung verfügen 2025 allerdings weder in den USA noch in Deutschland über die finanziellen Möglichkeiten, die wirtschaftliche Belastung abzumildern. Dort, wo viele Haushalte „paycheck-to-paycheck“ leben, oder eben im berüchtigten deutschen Niedriglohnsektor arbeiten, schlägt die Härte der Inflation voll durch. Die große, gefühlte Differenz zwischen Einkommensschichten in der Wahrnehmung von Inflation ist also echt.

Wirtschaftskraft und Rechtsruck in NRW

Wenn wir einen Blick auf die politische Landkarte in Deutschland werfen, fallen einige Muster auf. Der Osten Deutschlands, wirtschaftlich abgeschlagen und seit jeher strukturschwach, bleibt weiterhin das Rückgrat der Rechtsextremen. Wie in einem Brennglas können wir jedoch auch im bevölkerungsreichsten Bundesland, Nordrhein-Westfalen, sehen, was die Wahl 2025 von der Wahl 2021 unterscheidet: Dort hat der bedrohliche Anstieg in der Zustimmung der Wähler*innen zur AfD vor allem in Wahlkreisen stattgefunden, deren wirtschaftliche Entwicklung schlecht ist.

Das schweizerische Beratungsunternehmen Prognos hat 2022 alle deutschen Landkreise und kreisfreien Städte hinsichtlich Demografie, Arbeitsmarkt, Innovation und Wohlstand bewertet und ein Ranking erstellt. In der untenstehenden Grafik sehen wir den Zusammenhang zwischen schlechter wirtschaftlicher Zukunftsfähigkeit und AfD Zweitstimmenergebnis in den Kreisen und kreisfreien Städten NRWs, mit Ausnahme der Städteregion Aachen.

Abbildung 1: Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Zukunftsfähigkeit und AfD-Zweitstimmenergebnis in NRW zur BTW 2025
Quelle: Prognos 2022

Medial besonders eng begleitet wurde der Anstieg der AfD-Zustimmungswerte im Ruhrgebiet, immerhin einer der multikulturellsten Ballungsräume der Republik, der nun scheinbar auch für rechtsextreme Meinungsmache anfällig geworden ist. Spannender ist es woanders, denn die Strukturschwäche des Ruhrgebiets ist weder unbekannt, noch neu. Einige Dutzend Kilometer südlich, in Südwestfalen und dem östlichen Bergischen Land gewann die AfD bedrohlich an Boden. Hier bestätigt sich der vermutete Zusammenhang von schlechten Zukunftsaussichten und rechtsextremen Wahlerfolgen. In diesen Wahlkreisen ist die Industrie tonangebend. Ein Großteil der Arbeitsplätze ist industriell und abhängig von Automobilproduktion und Bautätigkeit im Land. Beide Branchen liegen im Jahr drei der deutschen Rezession am Boden.

Man könnte also sagen: Wenn eine rassistische Grundstimmung in der Gesellschaft, wie sie auch in NRW immer stärker wird, auf eine Bevölkerung im mutmaßlichen wirtschaftlichen Niedergang trifft, gerät die Demokratie unter Druck. In diesem Sinne ist die wirtschaftliche Lage (und hier vor allem die wirtschaftlichen Aussichten) keine notwendige, sondern eher eine hinreichende Bedingung für das Erstarken der Rechtsextremen.

Begriffskritik

Wenn nun feststeht, dass antifaschistische Wirtschaftspolitik ein drängendes Problem unserer politischen Gegenwart adressiert, muss noch geklärt werden, ob der Begriff dienlich für unseren wirtschaftspolitischen Diskurs ist.

Denn tatsächlich weißt er zwei Schwachstellen auf:

Erstens unterstellt die Differenzierung zwischen einer Wirtschaftspolitik, die sich als „antifaschistisch“ bezeichnet, und einer anderen, dass mit einem neuen Namen auch neue wirtschafts- und sozialpolitische Inhalte verknüpft wären. Eine neue Wirtschaftspolitik muss doch schließlich auch mit neuen Ideen einhergehen, oder?

Aber nahezu alle wirtschaftspolitischen Aufgaben, die als „antifaschistisch“ zu fassen wären, sind schon lange Teil jedes sozialdemokratischen Wahlprogramms. Sei es die Steigerung von Löhnen, die Verkleinerung des Niedriglohnsektors, die Bereitstellung funktionierender Infrastruktur oder die Schaffung erschwinglichen Wohnraums. Eine antifaschistische Wirtschaftspolitik in diesem Sinne ist also lediglich eine sprachlich angepasste Version klassischer sozialdemokratischer Visionen.

Wer sich besonders kritisch mit dem Begriff auseinandersetzt, könnte sogar fragen, ob eine stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik, die niedrige Inflation und Arbeitslosigkeit als Ziel verfolgt, nicht auch von einer faschistischen Regierung vertreten werden könnte.

Zweitens lenkt der Begriff die Verantwortung für den Rechtsruck im Land von individuellen Akteur*innen weg. Es verfestigt sich der vielbeschworene Eindruck einer Gesellschaft, die wie einem Naturgesetz folgend, immer dann nach rechts rücken muss, wenn der Staat nicht mit einer ausreichenden Wachstumsprognose dazwischen geht. Die komplexen Zusammenhänge von rechter Migrationspolitik, dem Übernehmen von rechten Themen und ihrer Rhetorik durch konservative Parteien und auch durch Teile der Sozialdemokratie in Europa geht bei dieser Betrachtung verloren.

Für die Verwendung des Begriffes spricht andererseits seine alarmierende Wirkung und sein eindeutiger, auffordernder Charakter. An der Schwelle einer Gesellschaft hin zur Öffnung nach rechts kann effektive Wirtschaftspolitik den Unterschied machen. Hätte Trump gewonnen, wenn die Inflation in den USA niedriger ausgefallen wäre? Würde die AfD bei der Bundestagswahl auf 20,8 % gekommen sein, wenn Deutschland sich nicht im dritten Jahr einer Rezession befände? Alleine schon die Frage danach, was gewesen wäre, lässt erahnen, dass antifaschistische Wirtschaftspolitik in einem Schlüsselmoment der Demokratie, wie wir ihn während der jetzigen Legislatur erleben, zeigen kann, worum es geht.

Was ist unsere antifaschistische Wirtschaftspolitik?

Egal zu welchem Schluss wir über die Sinnhaftigkeit des Begriffes der „antifaschistischen Wirtschaftspolitik“ kommen – ein politischer Auftrag für Sozialdemokrat*innen in Regierungsverantwortung ist er, unabhängig von seiner endgültigen Interpretation, allemal.

Antifaschistische Wirtschaftspolitik unter der gegenwärtigen schwarz-roten Koalition fängt bei spürbaren Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur an. Sie umfasst die industrielle Transformation in Chemie-, Pharma-, Stahl- und Metallindustrie genauso wie den Kampf um höhere Reallöhne im gewerkschaftlichen und parlamentarischen Kontext. Die Bundesregierung hat mit den Sondervermögen endlich das Geld, um nachhaltig in den demokratischen Zusammenhalt in Deutschland zu investieren. Wenn es gelingt, die Länder und Kommunen mitzunehmen und perspektivisch endlich auch die Steuereinnahmeseite zu verbessern, dann kann die deutsche Wirtschaftspolitik eine Entlastung im immer heftiger tobenden Kampf um den demokratischen Konsens in unserem Land sein.

Perspektivisch muss die SPD allerdings auch an die Zeit nach Schwarz-Rot denken. In der sozialdemokratischen Sinnkrise zeigen uns die Übergewinne der Konzerne, die Steuergeschenke an Unternehmer und das Nach-unten-Treten in der Arbeitslosenunterstützung, woran wir arbeiten müssen, um wieder Wahlen zu gewinnen.

2025-12-05T10:44:16+01:00
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