Heft 261 – 04/2024
Angriff auf die Mitbestimmung bei VOlkswagen
#meinung #debatte #spw

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Dr. Antje Blöcker hat zu Arbeitsbedingungen und Industriestrukturen der Automobilindustire geforscht und ist als Seniorin aktiv als IG Metall- Delegierte und beteiligt am Gesprächskreis Zukunft Auto- Umwelt-Mobilität der Rosa-Luxemburg- Stiftung.
VON Antje Blöcker
Die weltweite Autoindustrie ist wieder einmal von multiplen Krisen geschüttelt. Die Absätze brechen ein, nicht aber die Produktionskapazitäten. Es bauen sich große Überkapazitäten auf. Bisherige Muster der globalen Arbeitsteilung ändern sich rapide. Liefer- und Wertschöpfungsketten verlagern sich in Richtung Elektromobilität und Digitalisierung. Handelspolitischer Protektionismus greift um sich. Mit diversen Strafzöllen wollen die bisherigen Weltauto- Regionen die eigene Industrie stärken, möglichst komplette Wertschöpfungsketten in der EU, in den USA und in China aufbauen. Die Krisen verlaufen raum- und zeitungleich, sie kommen aber in immer kürzeren Abständen. Das betrifft v.a. die deutsche Autoindustrie, die als Garant des bisherigen Exportmodells gilt. Die Schieflagen gibt es bei allen deutschen und europäischen Autokonzernen. Die Gründe dafür sind multikomplex, liegen auch in veränderten geopolitischen Konstellationen, die den Weg der für die deutsche Autoindustrie sehr erfolgreichen Globalisierung umkehren wird. Seit drei Jahren kommt es zu massivem Beschäftigungsabbau und Standortschließungen v.a. im Zulieferbereich. Auch einige Hersteller schließen Werke (Ford Saarlouis), reagieren wie stets mit „Sanierungsprogrammen“ zur Überwindung der Krise. Im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit steht v.a. Volkswagen, ein Unternehmen, das wie kein anderes für eine diversifizierte Qualitätsproduktion und für eine hohe Mitbestimmungskultur steht. Ca. alle zehn Jahre kam es immer wieder zu massiven Krisen bei VW, die oft in harten Kämpfen stets in Kompromissen zwischen Kapital und Arbeit mündeten. Zeichnet sich ein Ende ab?
Viele Jahre haben die deutschen Autokonzerne BMW, Mercedes und VW (incl. Audi und Porsche) hohe Gewinne eingefahren und v.a. an die Aktionäre ausgezahlt, dabei sehr hohe Rückstellungen vorgenommen. Allein im Jahr 2023 wurden von den drei Konzernen 49 Milliarden Euro Gewinne eingefahren und ca. 250 Milliarden Euro Gewinnrückstellung verbucht (Krull 2024). Sie profitierten nicht nur vom wachsenden China-Markt, auf dem v.a. Premiumfahrzeuge Absatz fanden, sondern auch von zahlreichen Privilegien, die im deutschen Inlandsmarkt eine große Bedeutung (z.B. die Dienstwagen-Regelung) haben. Laut Finanzbericht der VW-Group (3. Quartal 2024) steht der VW-Konzern im globalen Wettbewerb insgesamt gut dar und blickt für den Rest des Jahres 2024 und bis 2026 zuversichtlich auf ein weiteres Wachstum. Das gelte für die Entwicklung an allen weltweiten 116 Standorten und auch für die europäischen Werke und deren erfolgreiche Produkte (mit Ausnahme der bereits beschlossenen Schließung des Audi-Werkes in Brüssel/ Belgien im Jahr 2025).
Mit 237,3 Milliarden Euro liegen die Umsätze der letzten neun Monate über dem Vergleichsjahreszeitraum. Die operativen Gewinne sind dagegen um 21 Prozent gesunken, die Rendite liegt aber immer noch bei 4,4 Prozent, wenn alle Rückstellungen und Sonderzahlungen Berücksichtigung finden. Im PKW-Segment ist es nicht die Volumengruppe Brand Group Core (BGC, dazu gehören die Volumenmarken Skoda, Seat, Cupra, VW, leichte Nutzfahrzeuge der Marke VW ), die im Gesamtkonzern für die gegenüber 2023 schlechteren Gewinnzahlen im Jahr 2024 verantwortlich ist, sondern v.a. die Gruppen Progressive (Marken Audi, Lamborghini, Bentley, Bugatti) und die Sport Luxery Group mit Porsche sowie die Ergebnisse der VW-Joint-Ventures in China. Die VW Group Progressive brach gegenüber 2023 von 9,1 Prozent auf 4,5 Prozent, Porsche von hohen 18,8 Prozent 2023 auf 14,6 Prozent Rendite ein. Es geht also nicht um rote Zahlen, sondern um Gewinne, die den Kaptaleignern aber offensichtlich nicht genügen. Hinter dem VW-Konzern steht auf der Kapitalseite v.a. der Piëch-Porsche-Clan (Porsche Holding SE) mit 53,3 Prozent der Stimmrechtsanteile, das Land Niedersachsen mit 20 Prozent, das Emirat Qatar (17 Prozent) sowie Aktienstreubesitzeigner mit knapp 10 Prozent, auf der Seite der Arbeit stehen 683.000 Beschäftigte, mehr als 180.000 in Deutschland, davon über 130.000 bei Volkswagen in Deutschland. In Deutschland beträgt die Rendite nur noch 3,5 Prozent.
Diese nach wie vor schwarzen Zahlen stehen nun im Rampenlicht der aktuellen harten Auseinandersetzungen an allen zehn VW-Standorten, die weniger eine Profitkrise, sondern eine Beschäftigungskrise ist. Die Ursachen der angeblichen Schieflage sind vielschichtig, weisen aber auch viele hausgemachte Versäumnisse des VW-Managements auf. Erstens wird immer wieder die sehr späte Umstellung auf Elektroautos genannt. Die dann eingeführten Produkte waren in der ersten Generation sehr „schlecht gemacht“, mussten mit hohem Aufwand nachgebessert werden, waren deutlich zu teuer und hatten mit Blick auf eine funktionierende neue Software völlig versagt. Sie lagerten auf Halde, fanden kaum Absatz – dies nicht nur, weil sie sehr teuer sind, sondern weil mittlerweile andere Hersteller insbesondere Tesla, Renault und dann zunehmend chinesische Hersteller wie BYD etc. bessere und billigere Produkte anboten. Insgesamt hat die gesamte ID.Family (ID.3; ID.4; ID.5; ID.7), die an den VW-Werken in Zwickau und Emden bisher vom Band gelaufen ist, große Unterauslastung erzeugt. Das hatte zweitens mit dem Versagen des IT-Versprechens inkl. einer völlig neuen skalierbaren Plattform (SSP – Scalable Systems Platform) zu tun. Die Kosten für die Entwicklung bekamen die Verantwortlichen in Wolfsburg trotz mehrfacher Versuche, die eigens gegründete Tochtergesellschaft CARIAD ins Laufen zu bringen, nicht in den Griff. CARIAD ist samt Trinity und Campus VW gescheitert (Boewe/Schulten 2024) und völlig unklar ist, wie die Zukunft der 6.000 IT-Experten aussieht. Ob das seit Mai 2024 gestartete Joint-Venture mit dem erst 2019 gegründeten E-Auto-Bauer RIVIAN mit bisher sehr hohen Verlusten, die von VW eingebrachten 935 Millionen Euro sowie das gleichzeitig mit viel Geld gegründete Joint-Venture mit dem E-Auto Start-up Xpeng in China, die IT-Problematik zu lösen vermögen, bleibt eine offene Frage. Offen ist auch, ob es gelingt, innerhalb des Konzerns im Zuge der internen Arbeitsteilung Verbesserungen der Skalenerträge zu erzielen, da die selbstständigen PKW-Marken Skoda, Seat, Cupra, Audi und Porsche Widerstand gegen angestrebte Gleichteile-Ziele leisten.
Diese drei Problemlagen zeichneten sich bei VW aber seit langem ab. Langanhaltende Exporte in die großen Weltmärkte China und Nordamerika haben die VW-Inlandswerke ausgelastet und für Beschäftigung gesorgt. Nun sind aber die Exporte seit einigen Jahren gesunken, die Auslandsproduktion übersteigt schon seit Jahren die Inlandsproduktion. Alle VW-Werke in Deutschland haben Auslastungsprobleme und stehen unter großem Druck auf der Beschäftigungsseite. Es sind massive Überkapazitäten entstanden, die nicht allein auf konjunkturelle, sondern v.a. auf strukturelle Problemlagen verweisen.
Auf Seiten der IG Metall und der VW-Betriebsräte ist von Tabubruch, von Kahlschlag und dem Ende der bisher kooperativen Konfliktbewältigung die Rede (Speidel 2024). Vor allem geht es um die im Oktober 2024 erfolgte Kündigung des „Tarifvertrags zur nachhaltigen Zukunfts- und Beschäftigungssicherung“, die es in der Geschichte von Volkswagen noch nie gegeben hatte. Die Zukunfts- und Beschäftigungssicherung war seit 1994 zentraler Bestandteil der Mitbestimmungskultur bei VW und wurde nie infrage gestellt. Flankiert von jährlich stattfindenden Standortsymposien und Investitionsplanungsrunden galt bisher stets: Keine betriebsbedingten Kündigungen. Bestandsgarantie für alle Standorte in Deutschland. Die erfolgte Kündigung ist ein Angriff auf die bisherige Mitbestimmungskultur bei VW und steht in diesem Beitrag im Vordergrund.
Werksschließungen werden angedroht: Angriff auf die Mitbestimmung
Trotz der nach wie vor erzielten Gewinne setzt das VW-Management auf die Erhöhung der Rendite auf Kosten der Beschäftigung und kündigt am 25.09.2024 sechs Tarifverträge und legt wieder einmal ein umfangreiches Restrukturierungsprogramm vor. Auch Werksschließungen sind nicht ausgeschlossen. Genannt werden drei VW-Werke: Osnabrück, Emden und Dresden. Aus gewerkschaftlicher und arbeitspolitischer Perspektive ist das am 25.09.2024 vom VW-Konzern vorgestellte „Ergebnisverbesserungsprogramm“, was eine Einsparung von zehn Milliarden Euro im Zeitraum von 2024 bis 2026 vorsieht, ein nie dagewesener Tabubruch (IGM 2024). Es ist zugleich ein großer Angriff an bereits gestartete Projekte des sozial-ökologischen Umbaus, der in erster Linie zu einem riesigen Vertrauensverlust in eine grüne Transformation innerhalb der VW-Belegschaften und entlang der gesamten Wertschöpfungskette geführt hat.
Die Liste der Maßnahmen, die das VW-Management am 27.10.2024 vorgelegt hat, zielt zunächst auf eine Einsparung von vier Milliarden der zehn Milliarden Euro, die von der Arbeitnehmerseite als „Giftliste“ betitelt wurde (IGM 2024 b). Der Haustarifvertrag gilt für die sechs Standorte der VW AG (Braunschweig, Emden, Kassel, Salzgitter, Wolfsburg), die VW-Töchter Financial Services, Immobilien sowie der dx.one GmbH mit zusammen 120.000 Beschäftigten. Gekündigt wurden zudem auch die Verträge zur Beschäftigungssicherung der VW Sachsen GmbH (Chemnitz, Dresden, Zwickau) mit 11.640 Beschäftigten sowie der VW-Osnabrück GmbH, wo 2.300 Menschen arbeiten. Gekündigt wurden die Tarifverträge zum Einsatz von Zeit- und Leiharbeit (organisiert über VW Group Services (zwischen 10.000 und 13.400 Arbeitsplätze), Wolfsburg AG und externe Anbieter (Leiharbeit), deren Laufzeiten ohnehin am 30.11.2024 auslaufen. Beschäftigte in Leiharbeit (ohne VW Group Services) waren stets die ersten Streichposten vergangener Restrukturierungsprogramme. Ihre Zahl ist aktuell an allen VW-Standorten quasi auf null heruntergefahren. Übernahmen, die in der Vergangenheit noch üblich waren, gibt es kaum noch. Das VW-Management fordert nun, in Zukunft nur noch Zeit- und Leiharbeitskräfte zu Bedingungen der Tarife der Leiharbeitsbranche zu beschäftigen, deren Entgelte in den letzten Jahren zwar gestiegen, aber immer noch deutlich unter den VW-Konditionen liegen. Der auch gekündigte Tarif Plus-Tarifvertrag betrifft Beschäftigte mit Experten- und Spezialfunktionen. Sie haben abweichend von der Kernbelegschaft höhere Arbeitszeiten, aber bessere Boni und diverse andere Vergünstigungen. Ziel ist es, die Boni in Zukunft an die tarifliche Erfolgsbeteiligung zu koppeln. Unklar blieb bisher, was mit dem Bestandsschutz für Beschäftigte passiert, deren Arbeitsverhältnisse vor 2005 begonnen haben, also unter den Haustarifvertrag I fallen.
Wenn sich die Tarifvertragsparteien am 21.11.2024 zur dritten Verhandlungsrunde treffen, werden die Belegschaften an allen VW-Standorten um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze kämpfen und mit ihren Erfahrungen und Kompetenzen dem VW-Management neue Ideen (etwa Arbeitszeitverkürzung, Managementbeiträge, Synergieeffekte) vorlegen. Sie wissen ja, dass es für die bloße PKW-Fahrzeugfertigung alter Art zu viele Kapazitäten gibt, die nur mit anderen Produkten ergänzt werden können. Aber es bleibt eine offene Verhandlungsrunde, in der sich die Stärke der deutschen Mitbestimmung selbstbewusst behaupten muss.
Die Mär von „zu“ hohen Arbeitskosten
Immer wieder geraten die vom Management beklagten zu hohen Arbeitskosten in der Autoindustrie in den Mittelpunkt der Kontroverse um den gesamten Industriestandort Deutschland. Es ist von Kostenstrukturproblemen die Rede, von anhaltender De-Industrialisierung und Verlagerung an Standorte in Ost- und Südosteuropa, in Nordafrika, Südasien etc. Und in der Tat wurde verstärkt in bestehende und neue Produktionsstätten jenseits der deutschen Werke investiert. Oft wurde dies begründet mit zu hohen Energie- und Transportkosten, zu viel Bürokratie, Zugang zu Material- und Teilelieferanten, die ohnehin dort angesiedelt worden waren – nur am Rande ist von hohen Arbeitskosten die Rede.
Denn Arbeitskosten spielen in der automobilen Wertschöpfungskette mit einem Anteil von zehn Prozent (Montagen) bis 25 Prozent (Entwicklungsdienstleister) anders als in Zeiten der „Mischkalkulation“, eine untergeordnete Rolle. Nicht erwähnt wird oftmals auch, dass entlang der hierarchischen automobilen Wertschöpfungskette Global Player wie Bosch, ZF Tarifverträge haben und der M+E-Fläche, also dem Flächentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie von Gesamtmetall (Arbeitgeber) und IG Metall (Arbeitnehmer), sprich Tarifvertragsparteien, unterliegen. Je weiter es nach unten in der Pyramide geht, minimieren sich die Tarifbindungen und die IGM-Organisationsgrade sinken rapide. Gerade bei Just-in-Time/Just-in- Sequence-Montage-Betrieben und in der Kontraktlogistik wird an sehr vielen Standorten nur der gesetzliche Mindestlohn bezahlt. Der Anteil der Leiharbeit ist hoch und gewerkschaftlich schwer organisierbar – nicht zuletzt, weil Leiharbeit z.T. tariflich deutlich besser bezahlt wird.
Das sind Probleme, die die IGM seit vielen Jahren beschäftigen, bisher aber kaum gelöst wurden. Von zuletzt 2,2 Millionen Mitgliedern der IGM gehören immerhin 35 Prozent zur automobilen Wertschöpfungskette. Neue Organisationsprobleme gibt es aber insbesondere in branchenfremden Unternehmen in der Wertschöpfungskette, wie nur zwei von vielen Beispielen zeigen:
Die knapp nur noch knapp 9.000 (von ehemals 11.500) Beschäftigten bei Tesla in Grünheide/ Brandenburg haben zwar einen Betriebsrat, davon entfallen seit 2022 35 Prozent der Stimmen auf die IGM, die Mehrheit bilden managementgesteuerte Betriebsräte der ersten Stunde, mit damals nur knapp 2.000 Beschäftigten. Die Entgelte liegen etwas über der M+E-Fläche in Brandenburg, aber deutlich unterhalb des Branchendurchschnitts. Es gibt keinen Flächentarifvertrag. Hohe Arbeitsbelastungen, unangekündigte Mehrarbeit, intransparente individuelle Arbeitsverträge etc. haben dazu geführt, dass die IGM-Betriebsräte den Betriebsrat aus Protest vorerst verlassen haben.
Die Beschäftigten des Batterieherstellers CATL/China in Arnstadt/Thüringen hatten gerade erst einen Betriebsrat mehrheitlich mit IGM-Stimmen gegründet. Prompt kündigte die Geschäftsleitung im Oktober 2024 einer Angestellten, die für den Betriebsrat kandidiert hatte. In Arnstadt arbeiten etwas mehr als 1.850 Beschäftigte, darunter auch 500 Leiharbeiter. CATL bezahlt nicht nach Tarif, die Einstiegslöhne liegen bei 15,- Euro.
Als Volkswagen und die IG Metall am 03.09.1948 den ersten Haustarifvertrag abschlossen, geschah dies noch unter der Kontrolle der britischen Alliierten der damaligen VW GmbH. Volkswagen wurde bekanntlich aus geplünderten Geldern der Gewerkschaftskasse 1938/1939 als Nazi-Fabrik “Kraft durch Freude“-Werk gegründet und stellte sehr bald auf Kriegsproduktion um. Ein VW-eigener Tarifvertrag war dieser Historie geschuldet, da bis zur Privatisierung von Volkswagen im Jahr 1960 die bis dato bundeseigene VW GmbH kein Mitglied der bundeseigenen VW GmbH im Arbeitgeberverband war. Ab diesem Zeitpunkt gilt auch das VW-Gesetz, dass dem Land Niedersachsen eine Sperrminorität im VW-Aufsichtsrat garantiert. VW-Gesetz und die hauseigenen Verträge konnten im Zeitverlauf durchweg bessere Konditionen als der Flächentarif erreichen. Das betraf auch die Verkürzung der Arbeitszeit von 45 auf 40 Stunden ebenso wie mehr Jahresurlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und vieles mehr wie etwa die Verträge zur Vier-Tage- Woche (1992/1994) und die zur Auto 5000 GmbH (2001), bei denen es schon damals um drohende Arbeitsplatzverluste von jeweils 30.000 VW-Beschäftigten ging und die jeweils sehr kritisch innerhalb der IG Metall diskutiert wurden und letztlich mit erheblichen Entgelteinbußen einhergingen. Erst von 2006 bis 2009 konnte über den VW-Zukunftstarifvertrag II/ III mit der „Nachhaltigen Standort- und Zukunftssicherung“ sowie den Vereinbarungen zu den VW-Innovationsfonds I und II (Blöcker 2022) an frühere Erfolge angeknüpft werden, weil hier ausdrücklich die Belegschaften einbezogen waren. Die drei Standorte in Sachsen werden bis 2027 in den Haustarifvertrag stufenweise integriert. Über alle Krisenzyklen gilt, dass vereinbarte Konzessionen nie wieder eingefangen werden konnten.
Derzeit sollen laut „Giftliste“ alle Beschäftigungsgruppen auf 10 Prozent ihrer Entgelte verzichten. Diese Forderung des Managements ist eine Drohung, von der selbst der VW-Vorstand und die Kapitaleigner wissen, dass vor dem Hintergrund der Ergebnisse in der Metall und Elektroindustrie (5,1 Prozent in zwei Stufen) die Belegschaften mit aktivem Widerstand reagieren werden.
Gerade bezüglich der VW-Entgelte wird oft wenig berücksichtigt, dass die VW-Belegschaften an den deutschen Standorten seit vielen Jahren zu Konzessionen bereit waren und fast immer deshalb Entgeltverluste hinnehmen mussten, weil Sonderkonditionen im Tausch verloren gingen. Wenn in der Öffentlichkeit auf hohe ergebnisorientierte VW-Boni verwiesen wird, wird z.B. oft nicht erwähnt, dass Urlaubsund Weihnachtsgeld seitdem wegfallen sind. Wenn auf den gegenüber der M&E-Fläche höheren VW-Haustarifvertrag eingegangen wird, wird übersehen, dass es über Jahre hinweg, eine sehr starke Annäherung an den M+E-Flächentarifvertrag gegeben hat, die Differenz beträgt noch gerade 2 Prozent und berücksichtigt keineswegs, dass aufgrund der Werks-Unterauslastung fast an allen deutschen VW-Standorten Nacht- und andere Drei-Schichten komplett gestrichen worden sind, die zu erheblichen Monatsabzügen führen. Es gab zwar immer wieder auch Mehrarbeitszustimmungen auf Seiten der Betriebsräte, aber das Absinken der VW-Entgelte ist nicht mehr übersehbar. Nicht umsonst fallen die VW- und die Flächentarife-Vertragsverhandlungen zeitlich nahezu zusammen. Es sind also nicht die zu hohen Löhne bei VW, sondern die oft schlechten Entgelt-Bedingungen in der automobilen Wertschöpfungskette, die in Zeiten des Facharbeitsmangels dringend einer Änderung bedürfen. Denn gute Entgelte sind eine wertvolle Wertschätzung in Zeiten zunehmender Arbeitsverdichtung.
Mitbestimmung wird schwerer: Zukünftige Tarifverhandlungen im Kulturwandel der Arbeit
Sowohl für die veränderte geopolitische Lage als auch für die veränderten Wertschöpfungsketten aufgrund der Digitalisierung der Produkte und Prozesse und des veränderten Antriebs gilt, dass damit ein erheblicher Kulturwandel von Arbeit einhergeht, der andere Kompetenzen erfordert und die VW-interne Struktur der Arbeit sehr verändert. Beschäftigte z.B. aus der geschlossenen Kunststofffertigung bei VW in Braunschweig sind für die Batteriemontage und Leistungselektronik aufgrund der über Jahre eingespielten „Lernunkulturen“ unter großen Schwierigkeiten qualifiziert worden.
Insgesamt geht der Anteil der sogenannten Shop-Floor (VW-Werkerinnen in der Produktion) seit Jahren zurück. So arbeiten in Wolfsburg von den zuletzt ca. 63.000 Werktätigen nur noch 17.000 Belegschaftsmitglieder in der Produktion. Deshalb ist es auch völlig unzulässig, Produktivitätsvergleiche mit z.B. Tesla in Grünheide anzustellen, da dort keinerlei Overhead wie F&E oder andere Zentralfunktionen anfallen.
VW-Beschäftigte werden intern in Richtung IT geschult, viele externe IT-Experten wurden rekrutiert. Das hat zu Aufwertung, aber auch zu Abwertung bisherigen Erfahrungswissens mit einer Androhung von Verlagerung standardisierter Verwaltungs- und Entwicklungstätigkeiten geführt. Große Empörung löste z.B. aus, als bekannt wurde, dass Dualstudierende nach Abschluss der Ausbildung direkt am Fließband mit einem Einstiegsgehalt von brutto 4.000 EUR und nicht wie im indirekten Bereich mit ca. 5.300 EUR übernommen werden sollten. Derartige Maßnahmen waren Teil der angekündigten Einsparmaßnahmen im indirekten Bereich von 20 Prozent. Da es sich zudem oftmals um neue VW-Töchter (etwa CARIAD/IT), Power- Co/Batterie/Brennstoffzelle) oder MOIA (Mobilitätsdienstleistungen) oder um Joint-Venture (VW-Northvolt, nun auch VW-Rivian und VWXpeng) handelt, müssen jeweils gesonderte Tarifverträge ausgehandelt werden, die sehr an die Situation Anfang der 2000er Jahre erinnern, wo mehr als 15 verschiedene VW-Tarifverträge (inkl. Autovision; 5000 GmbH, Autostadt GmbH etc.) zu einem Zerfransen der Tariflandschaft mit einem stark hierarischen System vom Kern- bis zum äußersten Rand geführt haben und erst nach 2006 (Zukunftsvertrag II) zum Teil mühevoll wieder eingesammelt werden konnten. Heute steht vor allem die bisherige Mitbestimmungskultur vor großen Herausforderungen, um die es neben den anderen Bausteinen des „Performance“-Programms geht und die im Mittelpunkt der hohen medialen Aufmerksamkeit stehen. Es gibt einen Tabu-Bruch, was die Kündigung der so wichtigen Beschäftigungssicherung angeht. Aber es zeichneten sich über die letzten Jahre bereits Brüche in der traditionellen qualitativen Mitbestimmungskultur, nicht nur bei VW, ab, die neue Haltelinien erfordern. Denn letztlich geht es nicht nur um eine doppelte, stark technologisch ausgerichtete Öko-Transformation der Autoindustrie, sondern in erster Linie um eine soziale und demokratische Wende, in der Arbeit als zentraler Wertfaktor an Stärke im Arbeit-Kapital-Natur- Verhältnis zurückgewonnen werden muss.
Industriepolitische Lösungskonzepte für Europa und Deutschland
Nach den USA, Indien, Brasilien und der Türkei erhebt – wie eingangs erwähnt – seit dem 05.07.2024 auch die EU über die bereits geltenden, zusätzliche Einfuhrzölle auf in China produzierte Elektroautos. Strafen bei der Einfuhr von E-Autos in Höhe von 17 Prozent bis zu 38 Prozent wurden verhandelt und gelten nun seit dem 01.11.2024. Noch ist das ein offenes Ergebnis im veränderten Protektionismus-Gemenge, da es weder eine genaue Klarheit darüber gibt, welche E-Autos in welcher Art und Weise betroffen sein werden, noch darüber, ob es zwischen der EU und China zu neuen bilateralen Vereinbarungen kommen wird.
Die chinesischen E-Autos sind nicht nur deutlich billiger, weil sie vom chinesischen Staat über besondere Förderstrukturen subventioniert werden, sondern v.a., weil nahezu die gesamte Produktionskette in China vorhanden ist (etwa Rohstoffe, Batteriezellen, siehe oben) und sie deshalb über große marktliche Wettbewerbsvorteile verfügen. Diesen Wettlauf kann die EU auch mit Zöllen nicht gewinnen. Deshalb zielt die EU-Industriepolitik auf den Ausbau des Anteils der automobilen Wertschöpfung in Europa. Massiv gefördert werden nicht nur Batteriefabriken inkl. der Zellfertigung und Komponenten, sondern auch neue Chip-Produktionen – bislang mit sehr wenig Erfolg. Auch diesbezüglich erscheinen Industriesubventionen kein Mittel zu sein, Arbeitsplätze in der europäischen Autoindustrie langfristig zu schützen. Das gilt insbesondere für Deutschland.
Bleiben die Senkung der vergleichsweise hohen Energiekosten, ein schnellerer Ausbau der Ladeinfrastruktur, das bidirektionale Laden als Batteriespeicher sowie eine höhere Innovationsförderung für Zukunftstechnologien, um die KI-basierte Digitalisierung, die ja ebenfalls wegen extremer Rechnerleistungsbedarfe sehr hohe Energiekosten verursachen, als Ausweg? Diesbezügliche Vorschläge sind noch sehr dünn und unausgewogen. Die Debatte etwa um Industriestrompreise hat das deutlich gemacht. Absurd ist das von CDU/CSU, FDP, AfD und BSW geforderte Aus des Verbrenner-Aus in der EU ab dem Jahr 2035. Das ist nicht nur eine Verleugnung des menschengemachten Klimawandels, für den ja gerade der Autoverkehr maßgeblich verantwortlich ist, sondern diese Position wird weder – so zu hoffen – in der EU noch in Deutschland ein Mehrheit finden.
Demgegenüber kann eine Re-Vitalisierung der Prämien für E-Autos durchaus sinnvoll sein. In der Tat sind die Verkäufe von E-Autos seitdem rückläufig, was nicht nur deutsche Hersteller, sondern auch alle anderen Wettbewerber betrifft. Abwrack-Prämien wie im Krisenjahr 2009 und die Kaufprämien explizit für E-Autos können zwar kurzfristige Erfolge nachweisen, die strukturellen Probleme der Überkapazitäten aber nicht lösen und tragen zudem zu einem „weiter so“ mit immer mehr Autos bei. Institutionelle Autokäufer verfügen über derart viele versteckte Subventionen, die kein Hinderungsgrund zum Kauf von E-Autos sind. Prämien für Privatkäufer erwiesen sich als Privileg einer Käuferschicht, die zum Zweit- oder gar Drittauto, möglichst mit eigener Photovoltaikanlage, neigen. Mit einer fairen Mobilität für alle, hat das gar nichts zu tun.
Ausblick
Für eine andere Industriepolitik, für eine aktive Sozialpolitik und für eine andere Gesellschaftspolitik steht ein breites Gewerkschaftsbündnis, das sich darauf beruft, dass ein fairer Transformationsprozess und die Schaffung von guten Arbeitsverhältnissen kein Anhängsel der Klimapolitik, sondern integraler Bestandteil derselben ist. Für die Belegschaften an allen VW-Standorten ist dies die Prämisse, um Prozesse eines ökologischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen gesellschaftlichen Wandels hin zu nachhaltigen Produktions- und Konsumweisen einzuleiten.
Das Auto als individuelles Fortbewegungsmittel wird im Modal-Split der Verkehrsmittel seine bisherige Dominanz verlieren und sich einordnen in ein Mobilitätssystem, das eine am Bedarf orientierte und bezahlbare Mobilität für alle sichert. Volkswagen wird auch diese Krise überleben. Eine andere Produktpolitik sowie eine faire Umverteilung der Gewinne werden dazu führen, dass sich wieder mehr Menschen ein kleines oder auch ein größeres VW-Familienauto kaufen können. Ein wichtiger Ansatz stellt die demokratische Konversion dar, die den betrieblichen und regionalen Umbau in Richtung gemeinwohl- und gebrauchsorientierter Produkte in fairen Produktionsweisen bei massiver Arbeitszeitreduzierung in den Vordergrund stellt. Das wird ein holpriger und schwieriger Weg, nicht zuletzt, weil in zahlreichen Betrieben der Autoindustrie rechtspopulistische Strömungen massiv gegen den menschengemachten Klimawandel agitieren und die Ängste der Belegschaften schüren.