Heft 263 – 02/2025

Alte und neue Welt(Un)ordnungen

#analyse #spw

Foto: © privat

Michael R. Krätke, studierte Soziologie, Wirtschaftswissenschaften und Politikwissenschaft in Berlin und Paris, lehrte Soziologie in Berlin und Bielefeld und Politikwissenschaft in Kassel, war Professor für Politische Ökonomie an der Universität von Amsterdam, an der Universität Lancaster (UK) und an der Tohoku Universität in Sendai, Japan. Von 2009 – 2011 war er Direktor des Institute of Advanced Studies in Lancaster. Gegenwärtig Emeritus und Professor für Politische Theorie an der Universität von Wuhan, VRChina. Hat neben zahlreichen Aufsätzen in Zeitschriften und Sammelbänden etliche Bücher zur Politischen Ökonomie veröffentlicht und war an mehreren internationalen Forschungs- und Editionsprojekten beteiligt (u.a. an der MEGA2). Arbeitet seit vielen Jahren auch als Wirtschaftsjournalist für deutsche, schweizerische und französische Zeitungen. Lebt in Amsterdam.

VON Michael R. Krätke

Wer erinnert sich noch an Fritz Sternberg? In den ersten zwei Jahrzehnten der alten Bundesrepublik war er einer der wichtigsten Ideengeber der Linken. Ein unabhängiger Kopf, Marxist, Linkssozialist, der Analysen zum Zustand der Welt vorlegte, die gehört und gelesen wurden. Zeitweilig war er für die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie vielleicht sogar wichtiger als die Sozialphilosophen der Frankfurt Schule¹. Sein bekanntestes und einflussreichstes Buch trug den Titel „Wer beherrscht die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts?“. In den Hochzeiten des Kalten Kriegs kam es heraus, 1961, und wurde rasch mehrfach aufgelegt². Jeder wusste, was gemeint war: Wer würde in diesem globalen Wettstreit der zwei Blöcke obsiegen, der „Westen“ mit den USA als Führungsmacht, oder der „Osten“, mit der Sowjetunion als Führungsmacht? Die damals sogenannte „Dritte Welt“, die sich im gleichen Jahr 1961 in Belgrad als „Bewegung der blockfreien Staaten“ organisierte, spielte keine entscheidende Rolle. Noch nicht, denn Sternberg sah den Aufstieg Chinas und Indiens zu Weltmächten voraus. Ebenso wie er den Niedergang Europas, das für mehr als drei Jahrhunderte die Welt beherrscht hatte, klar konstatierte.

Die Welt des Kalten Kriegs, die Sternberg vor Augen hatte, war relativ einfach strukturiert. Zwei Machtblöcke, die um die Weltherrschaft kämpften, plus einige Großmächte, die sich aus dem Kampf nicht heraushalten konnten. In allen Ländern fanden rasche Veränderungen statt, aber im Blick auf die relevanten Machtressourcen konnte keine Seite, keine Weltmacht die Oberhand gewinnen. Also lautete Sternbergs Fazit: Weder die USA noch die Sowjetunion würden die Welt beherrschen, und China auch nicht: „kein einziger Staat wird die Welt beherrschen“³. Es kam bekanntlich anders. Der Kalte Krieg endete 1989/90 mit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums, der als Sieg des „Westens“ gesehen und gefeiert – oder als „größte geopolitische Katastrophe“ beklagt wurde. Auch wenn die USA nicht allein gesiegt hatten, für einige Jahre und Jahrzehnte stiegen sie zur einzigen und global tonangebenden Weltmacht auf.

Dieses Regime der unangefochtenen Hegemonie und Supermachtstellung der USA ist an sein Ende gekommen. Mit ihm das System von multilateralen Institutionen mit globaler Reichweite, die nach 1945 zunächst im Blick auf die Ordnung des Welthandels und Weltgeldes gebaut worden waren. Die sogenannten „Bretton Woods Institutionen“ IWF, Weltbank, GATT, später WHO) bestanden weiter, definierten sich zum Teil neu – und nahmen bis dato außenstehende Rivalen wie China als Mitglieder auf. Kurz, die Pax Americana, die vier Jahrzehnte lang nur für den „westlichen“ Teil der Welt (und für einige, doch nicht alle Länder der sogenannten „Dritten Welt“) gegolten hatte, wurde auf die ganze Welt erweitert. Sie erfreute sich, wenigstens für knapp zwei Jahrzehnte, einer wachsenden Beliebtheit. Alle wollten dazugehören und daran teilhaben. Für die Volksrepublik China war es nach der offiziellen Anerkennung der Ein-China-Politik in den 1970er Jahren, der größte außenpolitische Erfolg, nach 15 Jahre dauernden Verhandlungen am 11. Dezember 2001 der Welthandelsorganisation beitreten zu können. Erst damit war die 1978 begonnene Politik der Öffnung und Reintegration Chinas in die Weltwirtschaft abgeschlossen.

Diese neue Weltordnung, die jetzt in allen Fugen kracht, trug noch unverkennbar Spuren der alten. Von Anfang an und bis heute zeigt die größte und wichtigste ihrer Institutionen, die Vereinten Nationen mit ihren zahlreichen Unterorganisationen, ein Doppelgesicht. Neben der Vollversammlung als dem obersten Organ, in dem alle Mitgliedsstaaten als gleichberechtigt gelten und jeder Mitgliedsstaat gleiches Stimmrecht (d.h. eine Stimme, unabhängig von Größe, Wirtschaftskraft oder Bevölkerungszahl) hat, steht der Sicherheitsrat, ein Gremium, in dem eine Handvoll von Großmächten mit Weltmachtanspruch per Mehrheit entscheiden und jede einzelne dieser Großmächte das Privileg genießt, per Veto jede Entscheidung des Rats blockieren zu können. De facto spielen das höchst unterschiedliche wirtschaftliche Gewicht der Mitgliedsstaaten doch eine Rolle, weil die UN von den Mitgliedsbeiträgen ihrer Mitglieder abhängt, die natürlich nicht gleich sind.

Die gegenwärtige Weltlage ist unübersichtlich, weil sie im Fluss und höchst instabil ist. In einigen Teilen der Welt befinden wir uns im Krieg, auch in Europa, obwohl das auch nach über zehn Jahren viele Linke nicht wahrhaben wollen. Ein neuer Weltkrieg ist heute viel eher möglich als je zuvor in den vergangenen 80 Jahren. Krieg zu führen, militärisch in anderen Ländern zu intervenieren, auch mit dem Ziel des erzwungenen Regimewechsels, war seit dem Untergang des Sowjetblocks das Privileg der USA, der einzigen militärischen Supermacht. Inzwischen gilt das nicht mehr. Andere Großmächte mit Welt- oder Supermachtanspruch wie das heutige Russland und die Volksrepublik China haben den Krieg gegen andere Staaten wieder zum legitimen Mittel der Politik erklärt. Russland führt einen großen Krieg in Europa und bereitet weitere Kriege vor. Gleichzeitig haben die USA zwar nicht ihren Führungsanspruch verloren, wohl aber die Fähigkeit, ihren politischen Willen überall durchzusetzen.

Wir befinden uns in einer Übergangsperiode, mit unsicherem Ausgang. Eine Transition von bekannten zu unbekannten Weltlagen, in der jede möglich Ordnung umkämpft ist und keine neue Ordnung als machbar und legitim erscheint. Weder die unipolare unter Führung einer unumstrittenen Supermacht, die als Hüter der Weltordnung (mithin als Weltpolizist) agieren kann und will. Noch die multipolare, die das „Konzert der Großmächte“, welches im Europa des 19. Jahrhunderts bestand (allerdings schwach institutionalisiert) und mehr oder weniger das gesamte Weltgeschehen dirigieren konnte, wieder herstellen soll. Diesmal global, als Koexistenz der großen Weltmächte, die in ihren wechselseitig anerkannte Einflusszonen schalten und walten können, wie es ihnen beliebt. Noch halten zahlreiche Mächte, vor allem im globalen „Westen“ dagegen und versuchen, die auf den anerkannten Regeln des Völkerrechts gegründete internationale Ordnung zu verteidigen. Zugleich durchleben wir eine Periode der großen und kleinen Transformationen, während der die kapitalistische Produktionsweise, wie wir sie kannten, gründlich umgemodelt wird. Vor allem der Abschied von der bisherigen Energie- und Rohstoffbasis ist auf die Dauer unvermeidlich und unumkehrbar, das Zeitalter des fossilen Kapitalismus, das mit der mit Steinkohle und Dampf betriebenen ersten industriellen Revolution begann, ist unwiderruflich vorbei. Wie nach aller Erfahrung zu erwarten, ist dies eine Periode der großen und kleinen Krisen, die uns immer wieder überraschen bzw. einholen.

Eines allerdings ist gewiss und wird von keinem Beobachter des Weltgeschehens ernsthaft bestritten: Mit dem Zusammenbruch und der Auflösung des Sowjetimperiums und seiner Vasallen hat der Kapitalismus weltweit gesiegt. Nicht in einer universellen, weltweit gültigen Form, sondern in vielen nationalen und regionalen Spielarten. Die Kämpfe und Rivalitäten unserer Zeit spielen sich zwischen kapitalistischen Ländern und Mächten ab. Russland, China und Indien, ebenso wie die übrigen „Schwellenländer“ von einigem Gewicht, bringen nur unterschiedlich geartete Varianten des Kapitalismus hervor. Der Kapitalismus scheint heute zum ersten Mal seine historische Mission erfüllt zu haben: Die Mission, die ganze Welt in einen Markt zu verwandeln, den Weltmarkt und mit ihm eine durch und durch kapitalistische Weltwirtschaft herzustellen. Alle anderen, denkbaren oder historischen Wirtschaftsweisen, alle „nichtkapitalistischen“ oder „vorkapitalistischen“ Milieus gehören der Vergangenheit an. Post-kapitalistische, gar sozialistische, kommunistische Rivalen sind nicht in Sicht, jedenfalls nicht als staatlich organisierte Mächte.

Geschichte und Gegenwart

Um den aktuellen Stand der Dinge zu begreifen, kann man auf die bewegte Geschichte des Kapitalismus zurückgreifen. Als Orientierungshilfe bieten sich an: Die Geschichte der großen und kleinen Krisen bzw. der kommerziellen, industriellen und finanziellen Zyklen, die die Geschichte des Kapitalismus seit Beginn des 19. Jahrhunderts prägen. Zweitens die Geschichte der aufeinanderfolgenden Wellen der Globalisierung, also der langfristigen kapitalistischen Expansion, der allmählichen in Sprüngen, mit Brüchen und Rückschlägen erfolgenden Herstellung eines veritablen Weltmarkts. Beides hängt zusammen, die Geschichte des Kapitalismus ist eine Geschichte der Krisenzyklen, die „lange Wellen“ der Innovation, diverse technologische und industrielle Revolutionen, verschiedene Perioden der Expansion in unterschiedlichen Formen (z.B. verschiedene Arten des Kolonialismus und des Imperialismus) einschließt. Drittens kann man dem Vorschlag folgen, die Geschichte des Kapitalismus als Abfolge von hegemonialen Zyklen zu sehen, die jeweils vom Aufstieg und Niedergang einer bestimmten Hegemonialmacht geprägt werden. Diese Sicht der Dinge hat den Vorteil, die Entwicklung des Kapitalismus mit der Entwicklung, dem Aufstieg und Niedergang von Staaten und Staatensystemen zu verknüpfen. Zu Recht, denn die Staaten (in unterschiedlichen Formen, von den Stadtrepubliken, über die Imperien bis zu modernen Nationalstaaten) waren immer eine, zeitweilig die dominante, treibende Kraft der kapitalistischen Entwicklung.

Globalisierung und kein Ende?

Tatsächlich gab es nicht eine Globalisierung in der Geschichte des modernen Kapitalismus, sondern deren viele. Immer wieder unterbrochen von Perioden des Abbruchs, der Deglobalisierung. Es kommt daher darauf an, sich auf die spezifischen Besonderheiten der jeweils jüngsten Phase der Globalisierung zu besinnen.

Rudolf Hilferding hat schon 1910, in seinem bahnbrechenden Buch über das „Finanzkapital“, den Zusammenhang von Finanzialisierung und weltweiter Expansion (alias Globalisierung) des Kapitalismus klar gemacht. Die neuen Formen des hybriden Kapitals, in denen alle zuvor besonderen Kapitalsorten (Industrie-, Handels-, Boden- und Bankkapital) verbunden, folglich die zuvor geschiedenen Fraktionen und Gruppen von Kapitalisten in ganz anders gestrickte, mehr oder weniger organisierte, mehr oder weniger klar abgegrenzte Gruppen sich verbinden, neue Hierarchien, ja regelrechte Oligarchien bilden, neue Verbindungen knüpfen. Die Vorherrschaft des Finanzkapitals als einer hybriden und höchst ausdehnungsfähigen Form des Kapitals beschleunigte die Expansion und Akkumulation des Kapitals, weil sie imstande war, alle altbekannten zeitlichen und räumlichen Grenzen sei es zu überspringen, sei es zu verschieben, sei es zu umschiffen. ” placement=”top” trigger=”click” class=”” id=””]⁸. Zwei Gründe gab es dafür, die bis heute eine zentrale Rolle spielen. Erstens die Mobilisierung allen verfügbaren Kapitals weit über die Grenzen individuellen Privateigentums hinaus und dazu die Mobilisierung aller Geldvermögen und Ersparnisse, die eingesammelt und direkt in Kapital verwandelt werden konnten. Zweitens die Etablierung neuer hybrider Formen des Kapitals und neuer Formen kapitalistischer Unternehmen, die gegenüber den Besonderheiten der Kapitalarten ebenso gleichgültig waren wie gegenüber den Besonderheiten der Industrie- oder Handelszweige bzw. -sektoren. Das neue Finanzkapital, Arm in Arm mit den neuen Großkonzernen, die bald multinational zu agieren gelernt hatten, konnte alles und machte alles. Die Unterschiede zwischen Industrie-, Handels-, Boden- und Bankkapital (die analytisch nach wie vor bestanden) spielten für die praktischen Kapitalisten im kapitalistischen Alltagsgeschäft keine Rolle mehr bzw. wurden immer unwichtiger. Heute wissen wir, dass ein weltweit agierender Großkonzern wie z.B. Siemens gleichzeitig ein High-Tech-Industrieunternehmen, ein Dienstleistungsunternehmen, ein Handelsunternehmen und eine weltweit agierende Bank ist. Hilferding war noch der Ansicht, das Finanzkapital würde Expansion in einer Form des Kolonialismus betreiben, wie sie damals im Schwange war. Alle kapitalistischen Mächte lieferten sich einen Wettlauf um die Kolonisierung des Rests der Welt. Oft unter dem Druck der Rivalen, die ihre kolonialen Reiche gegen ausländisches Kapital abschotteten. Kolonialpolitik, imperiale Expansion galt als Fortsetzung der Weltmarktkonkurrenz mit politischen Mitteln. Jahrzehnte später wissen wir, dass die globale Expansion ohne Kolonien, in dekolonisierten Ländern genauso gut, wenn nicht viel besser vonstattengeht.

Die Globalisierungsdebatte litt von Anfang an unter falschen Prämissen und mangelnder Faktenkenntnis. Heute weiß man: Die eine „Globalisierung“ gab es nie, und zu keiner Zeit verlief sie linear. Folglich gab es erhebliche qualitative Unterschiede zwischen den verschiedenen Perioden der Globalisierung¹⁰. Der globale Markt, der vor dem Ersten Weltkrieg bestand, war von dem globalen Markt, der nach dem Zweiten Weltkrieg neu hergestellt wurde, institutionell, formell, nach Art und Reichweite verschieden.

Eine kurze Geschichte der Krisen im Kapitalismus

Den Zeitgenossen galt das Phänomen als Epoche machend. Einzelne Krisen hatte es zuvor schon gegeben, aber nie eine solche regelmäßige Abfolge von Krisen. Die man daher erwarten und voraussagen konnte nach dem Motto „die nächste Krise kommt bestimmt“¹¹. Seit 1825 bewegte sich die kapitalistische Ökonomie in einer neuen, zyklischen Form. Einer Abfolge von Aufschwung, Prosperität oder Boom, Krise und Depression, die sich innerhalb einer Periode von sieben bis zehn Jahren regelmäßig wiederholte. Jedenfalls in Großbritannien und in den europäischen Ländern, die mit der britischen Industrie enge Handelsbeziehen unterhielten – später auch in den Kolonialländern. Im Jahre 1857/58 trat die erste veritable Weltkrise des industriellen Kapitalismus ein, die, ausgehend von den industriellen Zentren Englands, nach und nach die gesamte kapitalistische und dann auch die koloniale Peripherie des europäischen Kapitalismus erfasste. Kurz darauf, im Jahre 1866, sah man die erste Weltfinanzkrise, die alle Börsen erfasste. Wenig später änderte sich dieses Muster, mit der ersten großen Depression, die 1873 begann und erst 1895 endete. Zeitgenossen wie Friedrich Engels befürchteten, der industrielle Kapitalismus sei in eine Phase andauernder Stagnation und mehr oder minder chronischer Krise hineingeraten, die Zeiten der Prosperität seien dahin. Dem war nicht so. Der kurze Krisenzyklus kam zurück. Aber die nächsten großen Krisen ließen nicht lange auf sich warten. Für das 20. Jahrhundert war die große Weltwirtschaftskrise (oder die zweite große Depression), die 1929 begann, das prägende Ereignis. Ihre Lehren wurden zum Leitfaden für den Aufbau einer Nachkriegsordnung der kapitalistischen Weltwirtschaft, für die die Konferenz von Bretton Woods im Juli 1944 steht. Diese Nachkriegsordnung, von den USA und Großbritannien eingeführt und durchgesetzt, führte zu einer fast dreißig Jahre währenden Prosperität, die das Leben im „globalen Westen“, in Europa und in Nordamerika bestimmte. Eine Periode, die an ihr Ende kam und in den 1970er Jahren in eine neue große Krise mündete. Diese dritte große Krise wurde zeitweilig überwunden. Aber die neue Phase der rasanten Expansion, die mit der Zeitenwende von 1989/90 begann, hat wieder in eine große Krise – die vierte – geführt, mit deren Nachwehen wir heute zu tun haben.

An diese Kurzfassung der Krisengeschichte des Kapitalismus lässt sich eine Lehre knüpfen: Auf jede große Krise des Kapitalismus folgte bisher eine Periode der Transformation. Nach der ersten großen Depression sah der Kapitalismus in Europa und Amerika ganz anders aus als zuvor, wie die Zeitgenossen konstatierten. Mit der neuen, langen Prosperität hatte die Epoche der Großkonzerne, der kapitalistischen Assoziationen, des Finanzkapitals begonnen. Die Debatten zwischen den Sozialisten im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert – angefangen mit dem heute so genannten Revisionismusstreit, der in Wahrheit eine Debatte um die Art der Strukturveränderungen des Kapitalismus während der und infolge der großen Krise war – drehten sich genau um diese Frage der großen (und kleinen) Transformationen: Wie hatte sich der Kapitalismus verändert, mit welchen Folgen für die Zukunft, d.h. den Fortgang der kapitalistischen Entwicklung. Und welcher Logik folgten diese Transformationen. Viele Sozialisten meinten, die kapitalistische Entwicklung würde ihnen in die Hände arbeiten und einer neuen, postkapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung den Boden bereiten. Danach sieht es gerade nicht aus. In unser kollektiven Erinnerung dominieren die jeweils jüngsten und letzten Krisen. Und die Erinnerung an diese Krisen – die Weltfinanzkrise von 2007 bis 2011 und die Pandemie-Krise der Jahre 2020 bis 2023 – beherrscht die aktuellen Debatten. Ebenso wie die Erinnerung an die großen Kriege der Vergangenheit. Erinnerungen können täuschen. Als am 19. Oktober 1987 die New Yorker Börse einen Crash hinlegte, wollten viele sogleich eine Parallele zum Schwarzen Oktober des Jahres 1929 herstellen, dem Tag, an dem ein Börsenkrach in New York die zweite große Depression (bei uns bekannt als „Weltwirtschaftskrise“, obwohl es deren seit 1857 mehrere gab) einleitete. Trotz aller Unkerei, der Börsenkrach von 1987 wurde rasch überwunden, er war nicht der Auftakt zu einer neuen Weltwirtschaftskrise. Aber es begann eine lange Periode der Finanzkrisen, in der Regel folgte alle drei Jahre eine neue, die meisten waren regionale Krisen, alle hatten das Potential, zu Weltkrisen zu werden. Denn die großen Börsen der Welt waren seit den 1980er Jahren immer besser und immer enger miteinander vernetzt und verflochten, mit dem Internet entstand ein globales Netzwerk von Finanzmärkten, auf denen rund um die Uhr an jedem Tag gehandelt werden konnte¹².

Auf die Krise der US-Sparkassen in den siebziger und achtziger Jahren und die zahlreichen lateinamerikanischen Schuldenkrisen der 1980er Jahre, folgte der Warnschuss des Börsenkrachs von 1987 in den USA. Gefolgt von der großen Finanzkrise in Japan zu Anfang der 1990er Jahre. Kurz darauf die im Wesentlichen noch auf Mexiko beschränkten Finanzkrise 1994/95, die Asienkrise 1997 und 1998, die Russlandkrise 1998 und 1999, die Brasilienkrise 1999, die Argentinienkrise 2000, die von einer platzenden Spekulationskrise ausgelöste Dotcom-Krise, die 2000 begann und bis 2002 anhielt. Die schöne neue Finanzwelt des globalen Kapitalismus wuchs und florierte trotzdem, von Krise zu Krise. Was schließlich in der großen Weltfinanzkrise, die in den USA 2007 begann und sich in vielen Ländern fortsetzte. Schließlich folgte die, fälschlich sogenannte, Euro-Krise, die 2010 in Griechenland begann, zahlreiche europäische Länder erfasste und nur durch staatliche Rettungsaktionen beendet wurde, welche wiederum den Keim neuer Finanzkrisen in sich trugen. An den Folgen laborierten die betroffenen Länder noch lange¹³. Die Bankenkrisen in Japan, in den USA und in Europa erwiesen sich als besonders langwierig, während die eigentlichen Börsencrashs nur zeitweise Unterbrechungen der Börsenkonjunktur darstellten. Soweit messbar und statistisch erfasst, betrugen die Einbrüche, die die kapitalistischen Länder durch die diversen Finanzkrisen erlitten (gemessen in Wachstumsverlusten) zwischen 10 und mehr als 50 Prozent¹⁴.

Vor kurzem, im April 2025, haben wir wieder eine heftige und weltweite Börsenkrise erlebt, ausgelöst durch die irrwitzige Zollpolitik von Donald Trump. Die berechtigte Angst vor einem Zusammenbruch des Welthandels, trieb die Börsianer in die Panik. Kurz davor, im März 2023, trieb die drittgrößte Bankenkrise in der Geschichte der USA ihre Blüten, drei große US-Bankhäuser kollabierten. Wie man sieht: Wir stecken nach wie vor in der Periode immer wiederkehrender Finanzkrisen. Die aktuelle Übergangsperiode der Transformation des Kapitalismus ist in vollem Gang, Ausgang offen. Die Akkumulation des globalen Kapitals scheint zu stocken, obwohl alle Beschleunigungsfaktoren unvermindert wirksam sind. Das fiktive Kapital in allen Formen, das Finanzkapital in alten und neuen Formen, multinationale Konzernnetzwerke, die an internationalen (wenn auch keineswegs immer globalen) Liefer- und Wertschöpfungsketten hängen, alle sind präsent wie zuvor. Die aktuelle technologische Revolution, die die Energie- und Rohstoffbasis erfasst hat und von der rasanten Fortentwicklung digitaler Techniken getrieben wird, hält uns in Atem. Die Konkurrenz um Innovationen, um die jeweils fortgeschrittensten Versionen der avanciertesten Technologien tobt weltweit. Erlahmt ist dagegen der bisherige Treiber der beschleunigten Akkumulation: die Expansion von Welthandel und Weltverkehr. Alle größeren Finanzkrisen der jüngsten Vergangenheit wuchsen sich zu Weltkrisen aus, sobald und so weit wie sie den Welthandel erfassten und zu merklichen Einbrüchen im globalen Handel führten.

Die neue Systemkonkurrenz

Im historischen Vergleich mit allen Vorgängern sind die USA die erste Großmacht mit kapitalistischer Ökonomie, die sich als Hegemonialmacht mit globaler Reichweite etablieren konnte¹⁵. Was keiner der früheren kapitalistischen Großmächte mit imperialer Reichweite, nicht einmal dem britischen Empire, je gelungen ist. Nach 1989/90 konnten sich die USA sogar als Hegemonialmacht ohne Rivalen, also als globales amerikanisches Empire etablieren¹⁶. Wenn auch nur für kurze Zeit.

Chinas Aufstieg vom armen Entwicklungsland (mit großer imperialer Vergangenheit) zu einer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Weltmacht kommt einem Epos gleich. Virtuos bespielen Chinas Machthaber die Mär vom Aufstieg des hoffnungslosen Underdogs zur Weltmacht. Zur weltweiten Nummer zwei, die die derzeitige Nummer eins, die USA, in die Schranken weist und sie in absehbarer Zeit entthronen wird. Ein chinesisches Zeitalter steht uns bevor, da es China gelang, alte Abhängigkeiten loszuwerden. Die Rolle der „Werkbank der Welt“ hat das Land eine Zeitlang erfolgreich gespielt. Doch „Chimerika“, die schiefe Symbiose Chinas mit den USA, in der die USA riesige Handelsdefizite mit der Volksrepublik fuhren, während die chinesische Zentralbank einen Hort US-amerikanischer Staatsanleihen anhäufte, ist Geschichte. Mit dem Start des Auf- und Ausbaus von interkontinentalen Handels- und Infrastrukturnetzen (auch bekannt als die „neue Seidenstraße“) hat China 2013 begonnen, in Kooperation mit mehr als 100 Ländern in Asien, Afrika und Europa, neuerdings auch in Lateinamerika, Welthandelsrouten, Liefer- und Wertschöpfungsketten unter seine Kontrolle zu bringen. Dank dieser neuen Verkehrs- und Handelswege ist China imstande, allen übrigen kapitalistischen Ländern weltweit erfolgreich Konkurrenz zu machen.

Chinas industrieller Aufstieg und die Ausweitung globaler Wertschöpfungsketten haben zu gigantischen Überkapazitäten in den neuen Industrieländern, gleichzeitig zum Abbau und Verlust industrieller Kapazitäten in den alten Industrieländern geführt. Ein Ungleichgewicht, das entweder durch eine große Wirtschaftskrise in China und einigen anderen asiatischen Ländern oder aber durch einen Wirtschafts- und Finanzkrieg der USA (und Europas) gegen die neuen Industrieländer bereinigt werden kann. Tatsächlich befinden wir uns im Wirtschaftskrieg, die Schuldnerländer gegen die Gläubigerländer. Die Institutionen, die einst erdacht und aufgebaut wurden, um derartige große Ungleichgewichte in den Zahlungs- und Leistungsbilanzen zwischen den Wirtschaftsnationen auszugleichen, erfüllen diese Funktion nicht mehr. Der IWF taugt in seiner heutigen Form nur noch dazu, mit Notkrediten überschuldete Staaten über Wasser zu halten. Da die eigentlich für die Mediation gedachten internationalen Organisationen wie die Welthandelsorganisation von einigen Großmächten, vor allem von den USA blockiert werden, heißt der Ausweg: Wirtschaftskrieg. Ein Wirtschaftskrieg, gleichzeitig Handels-, Finanz- und Währungskrieg, den die Trump-Regierung dem Rest der Welt jetzt erklärt hat. Dagegen müssen sich die übrigen kapitalistischen Großmächte in Europa und Asien wehren, ob sie wollen oder nicht. Wirtschaftskriege, Embargos, Blockaden, Konfiskationen usw. haben immer zum Arsenal kriegführender Mächte gehört. Dass Wirtschaftskriege nun ohne gleichzeitigen Schiesskrieg begonnen und geführt werden, ist neu und verstörend. Zur aktuellen Unübersichtlichkeit der Welt gehört das Faktum, dass die Frontlinien nicht eindeutig sind. Die Lager – hier Länder des demokratischen Kapitalismus, dort Länder des autokratischen Kapitalismus – sind nicht so klar definiert und die Akteure wechseln die Fronten alle Naselang.

Wer beherrscht die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts?

Mitten in einer Zeit der beschleunigten Umbrüche, angesichts des Endes der kapitalistischen Weltordnung, wie wir sie kannten, und im Blick auf den Kampf der alten und der neuen Weltmächte um die Hegemonie, stellt sich Sternbergs Frage erneut: Wer, welche Macht oder welche Konstellation von Mächten wird diese Auseinandersetzung bestehen, wer wird als Sieger, als mehr oder weniger unangefochtene Weltmacht daraus hervorgehen? Wie wird die neue Ordnung aussehen? Wer kann durch die gegenwärtigen Turbulenzen hindurch eine solche Neuordnung ins Spiel bringen, wer kann es wagen, über die Erhaltung des Status quo bzw. die Rückkehr zum Status quo ante hinauszudenken und zu gehen?

Eine Weltordnung kann das kapitalistische Weltsystem gut gebrauchen, das haben die ersten Nachkriegsjahrzehnte gezeigt. Selbst eine negative Ordnung, auf der Grundlage gegenseitiger Abschottung und Abschreckung, kann den Weltfrieden weitgehend erhalten, das hat die lange Periode des Kalten Kriegs gezeigt. Aber Ohne eine Hegemonialmacht ist eine neue Weltordnung oder eine Reform der alten schwer vorstellbar. Stellt sich die einfache Frage: Wer kann diese Rolle spielen?

Jemand muss sie spielen, sonst kehrt die Anarchie in der Staatenwelt zurück, die die Anhänger der „realistischen“ Schule der internationalen Politik für die natürliche Ordnung halten, zu der jedes internationale System früher oder später zurückkehren muss. Das Experiment einer kapitalistischen Weltordnung, wie es nach 1945 versucht wurde, das Experiment einer transnationalen Ordnung auf einem Kontinent, wie es mit der Europäischen Union versucht wurde und noch versucht wird, diese Experimente sind ja nicht ein für alle Mal gescheitert. Jedenfalls nicht so, wie der Staatssozialismus oder der großrussische Imperialismus unter sowjetischem Vorzeichen gescheitert sind.

China ist eine erfolgreiche Weltwirtschaftsmacht, die Supermacht USA militärisch herauszufordern vermeidet das Reich der Mitte wohlweislich. Seinem traditionellen Selbstverständnis nach war und ist es wieder der ideale Hegemon der Welt. Russland ist wirtschaftlich alles andere als ein Schwer-gewicht, politisch höchstens eine Regionalmacht, allerdings eine mit extremer militärischer Schlagseite. Ein Militärstaat, beherrscht von Geheimdiensten und Mafias, mit Putin als Oberhäuptling, der Krieg führt und keinerlei Neigung zeigt, Frieden mit dem Rest der Welt zu machen. Russlands Großmachtanspruch beruht ausschließlich auf seinem Arsenal von Atomraketen und seiner Bereitschaft, Land und Volk ohne Rücksicht auf Verluste zu verheizen.

Auf der anderen Seite haben eine wachsende Zahl von Staaten auf allen Kontinenten sich zu mehr oder weniger weitgehenden Kooperationen zusammengefunden. Kooperationen, die über lockere, temporäre Allianzen hinausgehen. Die EU, ein einzigartiges Gebilde, das nationalstaatliche und suprastaatliche Macht kombiniert, ist das mit weitem Abstand wichtigste Beispiel dafür. Alle anderen regionalen, internationalen Zusammenschlüsse bleiben weit dahinter zurück. Die BRICS, von den USA argwöhnisch beobachtet, können zwar mit ähnlichen Staatenbünden wie der Afrikanischen Union, der Arabischen Liga, der OECD, dem Mercosur, der ASEAN mithalten. Sie können elitäre Staatenclubs wie der G7 herausfordern oder umfassendere Foren wie die G20 behindern. Eine neue Weltordnung erzwingen können sie nicht, trotz der Mitgliedschaft Chinas oder Brasiliens. Die EU dagegen hat das Zeug, von einer de facto wirtschaftlichen Weltmacht zu einer politischen Weltmacht aufzusteigen, wenn sie die Union vollendet bzw. um die noch fehlenden Teile (Bankenunion, Finanzunion, Steuerunion, Arbeitsmarktunion, Sozialunion, Verteidigungsunion) ergänzen kann. Die Weltmacht Europa könnte durchaus eine neue Weltordnung schaffen und garantieren. Denn die alte Regel gilt noch immer: Staaten, Groß-, Welt- oder gar Supermächten können nur andere Staaten oder Staatenbünde wirksam begegnen.

Auch angesichts des vielfach herbeigeschriebenen US-Niedergangs¹⁷, muss die entscheidende Frage lauten: Kann und will Europa eine Weltmacht werden – und kann Europa als Weltmacht eine hegemoniale Position erringen und behaupten? Auf dem Weg dahin wird Europa sich gründlich verändern müssen, die EU, wie wir sie kennen, ist für diese Rolle im Moment nicht bereit. Noch immer wird das Potential des formell vereinten Europas durch die über alles geliebte Kleinstaaterei gefesselt. Noch immer ist EU-Europa eine unvollendete, durch nationale Eitelkeiten gehemmte Union, als Weltmacht viel weniger handlungsfähig als sie es sein könnte. In der aktuellen Weltlage läuft uns die Zeit davon. Weil die Selbstzerstörung der Weltmacht USA unter der Herrschaft der neuen Isolationisten voranschreitet, fällt Europa die Führungsrolle im Rest-Westen zu, ob es das will oder nicht. Als vergleichsweise sanfter Hegemon mit einer Lebensweise, die kaum an Attraktivität eingebüßt hat, wäre Europa geeignet, die USA abzulösen, wenigstens für einige Zeit. Europas Vergangenheit als Kolonialmacht liegt weit zurück, durch militärische Interventionen ist Europa nach 1945 immer seltener unangenehm aufgefallen. Als Wirtschaftsmacht, als Heimat eines demokratisch verfassten, regulierten Kapitalismus, versehen mit einer ganzen Reihe von Modellen des Wohlfahrtsstaats, die dem Furor der Neoliberalen noch immer widerstehen, so tief sind sie im Bewusstsein und im Alltagsleben der Europäer verankert, wäre das vereinte Europa nicht der schlechteste Kandidat.

¹ Auch wenn einer ihrer Protagonisten, Adorno, häufiger als Sternberg öffentlich, d.h. im Radio, zu hören war. Kaum jemand erinnerte sich damals – wie heute – daran, dass auch der junge Fritz Sternberg in den ersten Jahren des Frankfurter Instituts zu dessen Mitarbeitern gehört hatte. Wolfgang Abendroth dagegen hatte weit größere Mühe, Gehör zu finden, Leo Kofler blieb zeitlebens eine Randfigur, weil er die Kunst, mit den linken Wölfen zu heulen, partout nicht lernen wollte. Siehe zu Sternberg auch Helga Grebing/ Klaus-Jürgen Scherer (Hrsg.), Streiten für eine Welt jenseits des Kapitalismus: Fritz Sternberg – Wissenschaftler, Vordenker, Sozialist, 2017.
² Siehe Fritz Sternberg, Wer beherrscht die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts?, Köln-Berlin 1961. Zu diesem Buch gehört auch ein weiteres: Fritz Sternberg, Wie stoppt man die Russen ohne Krieg? Stuttgart 1950.
³ Fritz Sternberg, Wer beherrscht die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, 1961, S. 331.
⁴ Ein Grund dafür ist die gewachsene Unabhängigkeit vieler treuer Verbündeter der USA, die verstärkt auf ihre Souveränität pochen (vgl. Carlo Masala, Weltunordnung. Die globalen Krisen und die Illusionen des Westens, 8. Auflage, München 2023, S. 79f.
Insofern gilt noch immer die alte Marxsche Einsicht, dass sich auf dem Weltmarkt die verschiedenen Arten des Kapitalismus, kapitalistische Länder mit unterschiedlichem Entwicklungsgrad und unterschiedlicher politischer Gestaltung der Märkte und anderer Basisinstitutionen aufeinandertreffen.
Diese kombinierte Geschichte reicht weiter zurück, bis ins 16. Jahrhundert, in dem der moderne Welthandel (der im sogenannten Mittelalter seine Vorgänger hatte) durch die koloniale Expansion mehrerer europäischer Großmächte hergestellt wurde.
Siehe Michael R. Krätke, Marx und die Weltgeschichte, in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung, Hamburg 2016, S. 133 – 177.
Rudolf Hilferding, Das Finanzkapital. Eine Studie über die jüngste Entwicklung des Kapitalismus, Frankfurt a.M. 1968 [1910].
Dank der neuen hybriden Formen des Kapitals konnten Kapitalisten auf allen Hochzeiten, die der Kapitalismus zu bieten hatte, gleichzeitig mittanzen. Das tun sie noch heute.
¹⁰ Vgl. Michael Krätke, Eine Globalisierung oder viele? Zur langen Geschichte des großen Weltmarkts, in: Marcel van der Linden / Christoph Lieber (Hrsg.), Kontroversen über den Zustand der Welt, Hamburg 2007, S. 131 – 151.
¹¹ Erst spät im 20. Jahrhunderts, in der Nachkriegszeit der dreißig glorreichen Jahre, konnte sich der Glaube an eine „immerwährende Prosperität“, also an die endgültige Überwindung der Krisen, breit machen.
¹² Der sogenannte Big Bang in der City of London, die radikale Deregulierung der Londoner Finanzmärkte, die durch Aufhebung zahlreicher, seit 1956 bestehender gesetzlicher Regeln und Kontrollen am 27. Oktober 1986 erfolgte, gilt als das Ereignis, was die anschließende Welle der globalen Finanzmarktexpansion und der „Finanzialisierung“ des Kapitalismus in Gang brachte.
¹³ Es ist eine sehr deutsche und überaus bornierte Sicht, die von den Merkel-Regierung verbreitet wurde, dass die Finanzmarktkrise rasch wieder vorbei war und sich nie zur großen Krise auswachsen konnte. Die Krise war in Ländern wie Griechenland im Jahre 2009 keineswegs vorbei. Sie dauerte noch viele Jahre an, nicht zuletzt wegen der Folgen der brutalen Sanierungsaktionen, die dem Land aufgezwungen wurden.
¹⁴ Der IWF hat schon vor der Finanzkrise von 2007 eine Datenbank zu den Finanzkrisen der letzten Jahrzehnte erstellt. Darin werden zwischen 1970 und 2007 nicht weniger als 124 Bankenkrisen, 326 Währungskrisen und 64 Staatsschuldenkrisen erfasst, Börsencrashs wurden nicht mitgezählt. Vgl. Luc Laeven/Fabian Valencia, Systemic Banking Crises Database: An Update, IMF Working Paper WP 12 / 163, Washington 2012.
¹⁵ Siehe Ulrich Menzel, Die Ordnung der Welt, Berlin 2015.
¹⁶ Vgl. Ulrich Menzel, Die Ordnung der Welt, Berlin 2015, S. 833ff, 947ff.
¹⁷ Leo Panitch und Sam Gindin haben diesem linken Lieblingsmythos schon vor einigen Jahren energisch widersprochen. Vgl. Leo Panitch / Sam Gindin, The Making of Global Capitalism. The Political Economy of American Empire, London – Brooklyn 2012.

2025-09-14T22:25:14+02:00
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