Fritz Bauer: Sozialdemokrat und Rechtspolitiker

#mit recht politisch #spw

5.12.2025

Autorinnebild von Herta Däubler-Gmelin

Foto: © Sebastian Bolesch

RA Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin ist Bundesministerin der Justiz a. D. und engagierte Rechtspolitikerin.

VON Herta Däubler-Gmelin

„Wer war Fritz Bauer? Was wisst ihr von ihm, von seinen Überlegungen und seinen Verdiensten für die Gesellschaft, in der wir heute leben?“

Diese Frage habe ich vor einigen Tagen jungen Jura-Studierenden gestellt. Sie konnten sie nicht beantworten. Nur einige von ihnen – Stuttgarter – erinnerten sich an den Namen, weil Medien gerade berichtet hatten, die Stuttgarter Stadtverwaltung habe einen Antrag auf Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Fritz Bauer mit der Begründung abgelehnt, Fritz Bauer sei zwar eine großartige Persönlichkeit und sein Wirken für die rechtsstaatliche und demokratische Grundordnung der Bundesrepublik bedeutsam gewesen; die Ehrenbürgerwürde aber könne man „nur Lebenden, nicht aber posthum verleihen“.

Dass Fritz Bauer sich sehr intensiv mit Recht und Unrecht und damit auch mit der Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen und der willfährigen Rolle der deutschen Juristen auseinandersetzte und was er insgesamt für die Rechtstaatlichkeit in der Bundesrepublik erreicht hat – davon hatten diese jungen Jura-Studenten nichts gehört. Auch darüber nicht, wie viele der alten Nazi-Juristen aus der Nazizeit auch in den ersten Jahrzehnten der jungen Bundesrepublik in Politik, Verwaltungen, Gerichten und Universitäten Karriere machten und Einfluss hatten: Man wollte nicht mehr darüber reden, mit der Folge, dass der Schutz der Täter und Mitläufer zu Lasten der Nazi-Opfer und ihrer Angehörigen wichtiger war. Diese schändliche Haltung war damals im Kalten Krieg in der jungen Bundesrepublik weit verbreitet. Wer es wagte, in der Öffentlichkeit die „Nazijustiz“ zu benennen und die Verantwortlichkeit ihrer Vertreter einzufordern, die sich längst auch in Universitäten und Gerichten Einfluss verschafft hatten, wurde angefeindet.

Persönlichkeiten wie Fritz Bauer, Richard Schmid oder auch Adolf Arndt gehörten dazu. Sie waren für die Jura-Studierenden meiner Generation „Leuchttürme“ in einem dunklen Umfeld, einer „bleiernen Zeit“. Wir konnten uns an ihnen orientieren; sie haben uns ermutigt, das Grundgesetz und die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger nicht als „neumodischen Firlefanz“ zu begreifen, sondern ernst zu nehmen und für ihre Geltung im Alltag zu arbeiten. Allen Widerständen zum Trotz: Bekanntlich war der BGH erst 1995 zu deutlichen Worten auch zu der schändlichen Rolle der deutschen Nachkriegsrechtsprechung in der Lage. Das BGH-Urteil vom 16.11.1995 – 5 StR 747/94 (ironischerweise zur Haltung von ehemaligen DDR-Richtern) ist lesenswert und ohne die – furchtbar angefeindete – Vorarbeit von Persönlichkeiten wie Fritz Bauer nicht denkbar.

Bauers wichtige Äußerungen zu den Grundlagen unserer Demokratie, auch seine Auseinandersetzungen mit neuen rechtsextremen Strömungen sind heute aktueller denn je. Er hat auch in vielen anderen Bereichen Grundlagen der sozialdemokratischen Rechtspolitik gelegt oder verstärkt. Deshalb führt an ihm und seinem Werk kein Weg vorbei.

Einige Lebensdaten (Fritz Bauer, 1903–1968)

Fritz Bauer ist in Stuttgart und Tübingen aufgewachsen, war Schüler des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums, Mitschüler der Stauffenberg-Brüder. Nach exzellenten Staatsexamina und Promotion wurde er damals jüngster Amtsrichter Württembergs. Mit 17 Jahren trat er in die SPD ein, war u.a. Vorsitzender des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold in Stuttgart, gehörte zu den Gründern des Republikanischen Anwaltsvereins und zu den Beratern von Kurt Schumacher, damals Stuttgarter Reichstagsabgeordneter und politischer Redakteur bei der „Schwäbischen Tagwacht“. Unmittelbar nach dem 23.März 1933 wurde Bauer im Nazi-Gefängnis auf dem Heuberg und dann im KZ Kuhberg (Ulm) gequält und misshandelt.

Erst Ende 1933 kam er frei. Aus seinem Richteramt war er freilich schon am 24. Mai 1933 davongejagt worden. Lesenswert die voll gleichgeschaltete Begründung des württembergischen Justizministeriums: Bauer könne zwar auch auf der Grundlage des § 3 des Nazigesetzes „Zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933, also aufgrund des „Arier-Paragraphen“ aus dem Amt entfernt werden, weil er ja Jude sei. Gegen ihn käme jedoch wegen seiner Aktivitäten als Sozialdemokrat gegen die Nationalsozialisten „vorrangig die schärfere Bestimmung des Paragraphen 4 zur Anwendung“.

1936 konnte Bauer nach Dänemark fliehen. Nach der deutschen Besetzung gelang ihm die Flucht nach Schweden, wo er u.a. mit Willy Brandt zusammenarbeitete, zu den Gründern der „Sozialistischen Tribüne“ gehörte und schon damals grundlegende juristische Abhandlungen über die Verantwortlichkeit der Naziverbrecher und ihrer strafrechtlichen Verfolgung verfasste.

Fritz Bauer wäre nach dem Krieg sehr gern nach Stuttgart zurückgekommen, was aber nicht gelang. Der Grund dafür? Bekanntlich gab es auch unter den Sozialdemokraten im Exil erhebliche Spannungen, die sich bis in die wiedergegründete SPD im Nachkriegsdeutschland auswirkten. Fritz Bauer wurde von einigen damals wohl einflussreichen, heute nicht mehr bekannten Politikern, wie etwa dem früheren Vorwärts-Redakteur und ehemaligen Reichstagsabgeordneten Heinig als „Quisling“ als „Mann Moskaus“ verleumdet; auf seine jüdische Abstammung sollte wohl die besonders perfide Bezeichnung als „Mann mit der dicken Nase“ hindeuten. Solche Anfeindungen bekam Bauer auch in der späteren Zeit immer wieder zu hören. Bauer wurde erst 1950 Vorsitzender Richter in Braunschweig, dann Generalstaatsanwalt, bis ihn Ministerpräsident Georg-August Zinn als Generalstaatsanwalt nach Hessen holte.

Fritz Bauer: In der Tradition Gustav Radbruchs

Fritz Bauer steht in der Tradition von Gustav Radbruch, der bekanntlich Juristinnen und Juristen in der besonderen Verantwortung sieht, Gesetze immer unter Rückgriff auf die Grundwerte und -rechte der Verfassung zu schaffen, auszulegen und anzuwenden.

Radbruch, und ihm folgend auch Bauer, teilten die Juristen in zwei Gruppen ein: Die einen, die Gesetze aus reinem „Ordnungssinn“ heraus verstehen und anwenden und die anderen, die das „aus Freiheitssinn“ tun. Die Letzteren seien nötig, weil sie sich darum bemühten, Recht und Unrecht zu unterscheiden, die Verfassung mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen und den Rechtsstaat als Mittel zur Wahrung von Freiheit gegenüber der Ordnung zu verstehen. Also Juristinnen und Juristen, die wo nötig, auch Probleme wie Polizeigewalt benennen und anprangern. Juristen, die aus typisch deutscher Ordnungs- und Gesetzeshörigkeit handelten, seien „ein Unglück“. Sie müssten immer durch den „Faktor Mensch“ ergänzt werden.

Mit deutlicher Sprache zieht Bauer die Folgerung aus der Willfährigkeit der Nazijustiz mit ihrer geschmeidigen Anpassung:

„Vom Gesetzesfetischismus führt ein schnurgerader Weg zu den Konzentrationslagern von Auschwitz und Buchenwald“.

Diese Grundsätze durchziehen alle seine Bücher, Aufsätze und auch seine Artikel, die sich in Zeitschriften wie „Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte“ oder auch in der „Kritische Justiz“ finden, zu deren Mitgründern er gehörte.

Fritz Bauer, die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen und das Widerstandsrecht

Schon 1944 hatte Fritz Bauer sein Buch „Die Kriegsverbrecher vor Gericht“ verfasst. 1945 veröffentlicht begründete es die Notwendigkeit, die Verantwortlichen des Nazi-Reichs vor Gericht zu stellen, gegebenenfalls auch vor ein internationales Strafgericht. Diese Überlegungen förderten nicht nur die Diskussionen um die Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse, sondern auch den jahrzehntelangen Kampf gegen die Straflosigkeit, die gerade auch von sozialdemokratischen Rechtspolitikern vorangetrieben wurden. Bekanntlich gelang es dann erst 1998, das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zu verabschieden. Seine Ratifizierung durch die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2002, die darauffolgende Gründung des IStGH in Den Haag und die innovative Schaffung des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs wäre ohne sozialdemokratische Rechtspolitik in der Nachfolge von Radbruch und Bauer nicht möglich gewesen.

Auch Fritz Bauers prägnantes Plädoyer im wichtigen Braunschweiger „Remer-Prozess“ 1952 hatte in der Diskussion der späteren Jahrzehnte der Bundesrepublik nachhaltige Auswirkungen: Der ehemalige Generalmajor und Mitgründer der Nazi-Nachfolgepartei SRP, Ernst Otto Remer, hatte 1951 in einer Parteiveranstaltung die Attentäter des 20. Juli 1944 als Landesverräter beschimpft und des Hochverrats bezichtigt. Der Braunschweiger Innenminister erstattete dagegen Anzeige, stieß zunächst jedoch auf Widerstände, weil der zuständige Staatsanwalt, ein früheres SA- und NSDAP-Mitglied, die Anzeige mit dem Hinweis, sie habe „keine sichere Aussicht auf Erfolg“ nicht annehmen wollte. Der Braunschweiger Generalstaatsanwalt Bauer erteilte diesem Staatsanwalt eine klare Weisung und sorgte für seine Versetzung. Die Vertretung der Staatsanwaltschaft übernahm er selbst. In seinem Plädoyer wies Bauer dieser Verleumdung dann nicht nur zurück. Er stellte vielmehr mit exzellenter juristischer Begründung fest, „der NS-Staat sei kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat“ gewesen, und „ein Unrechtsstaat, der täglich Zehntausende Morde begeht, berechtigt jedermann zur Notwehr“. Das Gericht folgte ihm und verurteilte Remer. Bauer, schon damals erheblich angefeindet, legte mit seiner Argumentation zugleich die Grundlage für die spätere Diskussion, die schließlich 1968 auch im Widerstandsrecht des Art. 20 IV GG ihren Niederschlag fand.

Als Generalstaatsanwalt in Hessen stellte Fritz Bauer – auch hier unter ständigen Kämpfen gegen Politiker wie den Rheinland-Pfälzer Helmut Kohl, die sich vehement gegen die Auseinandersetzung mit den Naziverbrechen wandten, aber auch gegen unwillige Justizangehörige – schließlich die Weichen für den Auschwitz-Prozess, der die Einstellung der Öffentlichkeit zu den Naziverbrechen entscheidend veränderte.

Dass er – in zutreffender Einschätzung der Haltung Konrad Adenauers, dem der Schutz seines Kanzleramts-Staatssekretärs Hans Globke, Mitautor und Kommentator der „Nürnberger Rassengesetze vorrangig war – auch die Ergreifung Adolf Eichmanns und damit den Prozess in Jerusalem ermöglichte, ist heute bekannt, auch das eine ebenso mutige wie großartige Tat, die allerdings nochmals die Anfeindungen gegen ihn verschärfte.

Leider ist Fritz Bauers Engagement zur Strafverfolgung der Verantwortlichen für die Nazi-Euthanasie („T4-Aktion“) bis heute noch nicht ausreichend bekannt und aufgearbeitet. Hier wäre eine Initiative der Bundesministerin der Justiz sicherlich hilfreich.

Fritz Bauer, der Rechtspolitiker

Fritz Bauer hat sich mit zahlreichen Artikeln in höchst qualifizierter Weise auch in die rechtspolitischen Diskussionen seiner Zeit eingebracht. Seine unglaublich vielen Anregungen und Vorschläge sind heute in mehreren Bänden mit einem Umfang von mehr als 1850 Seiten gesammelt und nachzulesen. Sie enthalten noch heute hoch aktuelle Überlegungen zu Strafrecht und Resozialisierung, zur Bekämpfung von Kriminalität auch mit den Mitteln der Gesellschaftspolitik – und vor allem auch zu dem Wahn, den Schutz der Bevölkerung durch präventive Grundrechtseingriffe sichern zu können. KI war zu Bauers Lebzeiten nicht bekannt – die Verteidiger der Anwendung von VerA, von Compas oder anderen KI-Systemen wie Palantir, könnten aus seinen Überlegungen sicherlich eine Menge lernen.

Fritz Bauer wäre in den 60er-Jahren genau der Richtige für die Strafrechtsreformkommission gewesen; auch ein hervorragender Verfassungsrichter wäre er geworden. Andreas Voßkuhle, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat 2013 Fritz Bauer zurecht gerühmt, er habe als Demokrat und Patriot an der deutschen Geschichte mitgeschrieben und sie zum Guten hin beeinflusst.

Alles das scheiterte an den Anfeindungen, die ihm aufgrund seiner klaren Haltung entgegenschlugen. Wie stark und wie persönlich die Anfeindungen gegen Fritz Bauer waren, in den einschlägigen Medien, in den politischen Kreisen, aber auch in der Justiz, kann man heute kaum mehr nachvollziehen. Er hat sehr darunter gelitten und in einem Diskussionsabend mit der Humanistischen Studentenunion der FU Berlin kurz darüber gesprochen. Wir merkten das, weil trotz unserer Einladung nicht einer der Berliner Richter oder Staatsanwälte zu der Diskussion mit dem Hessischen Kollegen erschienen war. Übrigens: Auch keiner der Berliner sozialdemokratischen Politiker.

Fritz Bauer und die SPD

Überhaupt: Aus heutiger Sicht ist der Umgang der SPD mit Fritz Bauer wirklich kein Ruhmesblatt. Georg-August Zinn hat ihn eindrucksvoll gestützt – aber die Bundespartei, auch die Berliner SPD-Fraktion hat dies nicht getan, sie hat ihn, seine großartigen Verdienste und Initiativen viel zu wenig zur Kenntnis genommen.

Fritz Bauer und Adolf Arndt waren durchaus befreundet – was allerdings nicht zu entsprechenden Initiativen führte. Auch in der Frage der Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit und mit den Nazi-Richtern in der bundesrepublikanischen Gerichtsbarkeit waren ihre Auffassungen sehr unterschiedlich. Arndt und die SPD-Spitze wollten in den frühen 60er Jahren die öffentliche Auseinandersetzung vermeiden, die Bauer auch für die Entwicklung unserer rechtsstaatlichen Demokratie für dringend erforderlich hielt. Fritz Bauer hat – sein plötzlicher Todes im Sommer 1968 ist bis heute nicht vollständig geklärt – nicht mehr miterlebt, mit welcher Dreistigkeit und Hinterlist der zuständige Referent im Bundesministerium der Justiz (Eduard Dreher, selbst Jurist aus der Nazizeit) im Herbst 1968 die strafrechtliche Verfolgung von Nazi-Verantwortlichen durch seinen Verjährungstrick im OWIG hintertrieb. Traurig ist, gerade für Sozialdemokraten, dass niemand an der Spitze des Bundesjustizministeriums das bemerkte, trotz der herausragenden und über jeden Verdacht der Manipulation erhabenen sozialdemokratischen Minister und Staatssekretäre; auch das eine Erkenntnis, die sich spätere Rechtspolitiker als Lehre dienen ließen.

Fritz Bauer war ein großer Sozialdemokrat und Rechtspolitiker. Er ist auch in unserer völlig veränderten Welt heute so aktuell wie in seiner Zeit. Seine Mahnung bleibt, dass jeder für unseren demokratischen Rechtsstaat mit verantwortlich ist. Juristinnen und Juristen sowieso, aber auch die Bürgerinnen und Bürger, deren Rechte unsere Verfassung garantiert. In Fritz Bauers Sprache ausgedrückt heißt das: Unsere rechtsstaatliche Demokratie ist nicht für Zuschauer, sie ist

„ein Ruderboot, in dem jeder Mensch mitrudern muss“.

Zum Anschauen und Weiterlesen

Ilona Ziok: Fritz Bauer – Tod auf Raten. Deutschland, 2010. 110 Minuten.

Ronen Steinke: Fritz Bauer, Jurist im Dienst der Humanität, Broschüre des BMJ mit einem Vorwort von Bundesministerin der Justiz Dr. Stefanie Hubig

Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903–1968. Eine Biographie. München: Buxus Edition, 2016. 515 Seiten

Lena Foljanty, David Jobst (Hg.): Fritz Bauer. Kleine Schriften. Frankfurt/New York: Campus-Verlag, 2018. 1853 Seiten in zwei Bänden.

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