Zum Stand eines Antrags auf Parteiverbot gem. Art. 21 Abs. 2 GG gegen die AfD – eine politische Perspektive
#asj #recht politisch #spw
28.11.2025

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Harald Baumann-Hasske ist Co-Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen in der SPD. Er ist Rechtsanwalt und war Abgeordneter im sächsischen Landtag.
VON Harald Baumann-Hasske
Die zunehmenden Erfolge der AfD bei Landtags- und Bundestagswahlen lassen die Forderungen immer wieder laut werden, Bundesregierung, Bundestag und/oder Bundesrat mögen den Antrag nach § 43 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG stellen. Dieses Instrument war auch unter sozialdemokratischen Juristinnen und Juristen lange Zeit umstritten; das KPD-Verbot1 und der Extremistenbeschluss2 der Bundesregierung unter Willy-Brandt hatten in der deutschen Gesellschaft insgesamt, aber auch bei der ASJ kontroverse Diskussionen ausgelöst. Die Erfahrungen in den Verfahren auf das Verbot der NPD sind für viele mit Mahnungen an große Risiken verbunden. Insgesamt war die Position der ASJ eher zurückhaltend.
Art. 21 Abs. 2 GG wurde geschaffen, um Angriffe auf die Menschenwürde, die Demokratie und den Rechtsstaat durch autoritär-populistische Parteien abzuwehren. Die Erfahrung der Nazi-Zeit, als die NSDAP die Mittel der Demokratie einsetzte, um mit Konservativen eine Mehrheit zu erzielen und die gewonnene Macht sodann einzusetzen, um die Demokratie abzuschaffen, hat die Mütter und Väter des Grundgesetzes bewogen, das Instrument des Parteiverbots so auszugestalten. Die hohen Hürden, die das BVerfG aufgestellt hat, weisen darauf hin, dass das Instrument nur eingesetzt werden darf, wenn von einer Partei eine ernsthafte Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ausgeht. Damit muss nicht nur nachgewiesen werden, dass diese Partei darauf abzielt, diese Grundordnung zu beseitigen, sondern sie muss durch ihre Wirkmächtigkeit auch ernsthaft in der Lage sein, dieses Ziel umzusetzen3.
War an der letzten Voraussetzung das Verbot der NPD noch gescheitert, wird man angesichts der Ergebnisse der AfD kaum daran zweifeln können, dass sie die erforderliche Wirkungsmacht hat. Mit dieser Erkenntnis ist zugleich das Eingeständnis verbunden, dass die anderen Parteien es nicht verstanden haben, die AfD erfolgreich zurück zu drängen. Der reguläre demokratische Wettbewerb der Meinungen hat es nicht vermocht, den Wählerinnen und Wählern die erkennbar menschenfeindlichen, sich gegen die Menschenwürde richtenden und die Freiheit der Berichterstattung einschränkenden Ziele und Forderungen dieser Partei deutlich zu machen. Vielmehr scheinen es gerade diese Ziele zu sein, die die AfD interessant machen. Damit entsteht die von Ernst Wolfgang Böckenförde erkannte paradoxe Situation, dass der demokratische, liberale Rechtsstaat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann4.
Während die SPD und andere Parteien der linken Mitte sich mit wenig Erfolg bemühen, den emotionalen Erfolgen der AfD sachlich entgegen zu treten, beharrt die CDU/CSU auf der Behauptung, die AfD mit deren eigenen Argumenten demokratisch schlagen zu können. Dabei wird öffentlich unterstellt, dass die AfD mit rassistischen und xenophoben Behauptungen und Forderungen einem Wählerwillen entspräche, woraus folge, dass diese richtig seien. Man müsse dem mutmaßlichen Wählerwillen entsprechen, um diese Wählerschaft wieder in den Kreis der Parteien zurück zu holen, die sich im Rahmen der Verfassung bewegen. Übersehen wird dabei, dass diese Forderungen verfassungswidrig sind (weshalb bereits laut über Verfassungsänderungen nachgedacht wird) und dass die Wählerschaft mithilfe sozialer Medien in rechtsradikalem Sinne manipuliert wurde und wird. Dieser Manipulation direkt oder indirekt nachzugeben bedeutet, sie zu legitimieren, die Gesellschaft insgesamt deutlich nach rechts zu verschieben und die Lehren aus der deutschen Geschichte von 1933 bis 1945 zu vergessen.
In dieser Situation hat der ASJ-Bundesvorstand seine Zurückhaltung aufgegeben zugunsten eines klaren Statements5: Wenn das Material für ein Verbot ausreicht, sollte der Antrag gestellt werden.
Wenn wir heute fordern, dass die Berechtigten einen Antrag nach Art 21 Abs. 2 GG stellen sollen, heißt das, einzugestehen, dass die Entwicklung mit den üblichen Mitteln unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht eingefangen werden kann. Wenn der Bundesinnenminister das leugnet, muss er erklären, warum er zur Zurückweisung von Asylbewerbern an deutschen Grenzen die auf der Verfassung und den europäischen Verträgen beruhenden Gesetze verletzt, das Recht bricht und dabei entgegenstehende Urteile ignoriert6, um vermeintlich dem Willen der Bevölkerung zu entsprechen. Auf dem Boden unserer Verfassung kann er das offensichtlich nicht; damit macht ausgerechnet er selbst deutlich, dass der Grenzfall des Art. 21 Abs. 2 GG eingetreten ist.
Unsere Forderung bedeutet nicht, dass der Verbotsantrag die demokratische, gesellschaftliche und mediale Auseinandersetzung ersetzen soll; selbst im Falle eines Verbots würden ja Personen nicht plötzlich anders denken, Netzwerke nicht einfach verschwinden. Alle Möglichkeiten müssen weiter genutzt werden, um die Gesellschaft von einem aggressiven und menschenfeindlichen Weg abzubringen.
Die ASJ hat sich seither im Parteivorstand und seinen Gremien konsequent für diese Position eingesetzt und ihren Beitrag geleistet, in den Ländern und im Bund Beschlusslagen herbei zu führen7. Die SPD hat im Juni 2025 auf ihrem Parteitag einstimmig beschlossen, ein Verbotsantrag möge gestellt werden, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen.
Ob diese Voraussetzungen vorliegen, war lange Zeit umstritten. Die Analysen in den zuständigen Ministerien laufen. Es gibt seit Monaten keine prominenten Verfassungsrechtlerinnen mehr, die dies ausschließen. Stattdessen kann man verfolgen, wie die AfD Maßnahmen ergreift, um sich von allzu offensichtlichen Verfassungsfeinden zu distanzieren. Zugleich bekräftigt sie aber ihre Vorstellungen von einer Homogenität der Bevölkerung und Methoden wie „Rückführung“ all jener, die nach Namen und/oder Aussehen ihre Wurzeln nicht in Deutschland haben.
Für Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat ist es an der Zeit, jetzt die vorhandenen Informationen zusammen zu tragen, die seit Jahren gesammelt werden und bereits im Bund und in einigen Bundesländern dazu geführt haben, die AfD als Verdachtsfall einzustufen. Abseits der öffentlichen Debatte geschieht das auch, aber es bedarf der Ergebnisse. Die in Bezug auf die Einstufungen ergangenen Urteile stehen einem Antrag nicht entgegen8. Sollten sich nicht neue, völlig andere Erkenntnisse ergeben, muss jetzt die politische Entscheidung getroffen werden, den Verbotsantrag zu stellen. Auch die CDU/CSU muss sich dazu durchringen, will sie nicht den Verdacht erwecken, eigentlich ähnlich zu denken.
Geschieht das nicht demnächst, ist zu befürchten, dass die AfD im Laufe des Jahres 2026 in einem Bundesland so stark wird, dass sie den Ministerpräsidenten stellen kann. Sollte es dazu kommen, wird vom Instrument des Art. 21 Abs. 2 GG kein Gebrauch mehr gemacht. Dann bleibt die Frage, ob dieses Instrument noch eine Funktion haben kann.
Literatur
[1] BVerfGE 5, 85
[2] BVerfGE 39, 334
[3] BVerfGE 144, 20 [213] [NPD-II-Verbotsverfahren, 2017)
[4] Ernst Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation“ In: Recht, Staat, Freiheit. 2006, S. 112 f.
[5] https://asj.spd.de/aktuelles/aktuelles/news/wenn-es-zu-einem-parteiverbot-verfassungsrechtlich-ausreicht-sollte-der-antrag-gestellt-werden/31/01/2024
[6] LTO: VG Berlin: Zurückweisungen von Asylsuchenden rechtswidrig; Beschl. v. 02.06.2025, Az. 6 L 191/25 u.a.
[7] https://asj.spd.de/aktuelles/aktuelles/news/der-antrag-auf-parteiverbot-der-afd-muss-konkret-vorbereitet-werden/02/05/2025
[8] BVerwG 6 B 21.24 vom 20.05.2025; OVG Münster 5 A 1216/22 vom 13.05. 2024;- VG Köln, VG 13 K 207/20 – Urteil vom 08. März 2022 -; BVerwG weitere Beschlüsse vom. 20.05. 2025: 6 B 22.24 und 6 B 23.24
