Heft 264 – 03/2025

Der Wirtschaftsliberalismus führt in die Katastrophe

#analyse #spw

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Dr. Arno Brandt, geboren 1955, ist Ökonom und Vorsitzender des Forums für Politik und Kultur in Hannover. Er lebt in Lüneburg.

VON Arno Brandt

Zur Aktualität Karl Polanyis „The Great Transformation1

1. Einleitung

Karl Polanyis „The Great Transformation“ zählt zu den wichtigsten polit-ökonomischen Schriften des 20. Jahrhunderts2 . In seinem kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges 1944 veröffentlichten Hauptwerk untersuchte der ungarisch-österreichische Ökonom Karl Polanyi die Durchset-zung des Kapitalismus im 18. und 19. Jahrhundert, den Einfluss des Wirtschaftsliberalismus in jener Zeit und die Konsequenzen für das faschistische, kommunistische und demokratische Ringen um die Neuordnung der Gesellschaften Europas3. Obwohl das Buch vor 80 Jahren geschrieben wurde, ist es immer noch unverzichtbar, wenn es um das Verständnis der globalen Ökonomie, der transformativen Herausforderungen und deren gesellschaftlichen Folgen im 21. Jahrhundert geht4. In „The Great Transformation“ geht es Polanyi nicht zuletzt um die Frage, ob es eine Alternative zum kapitalistischen Marktsystem geben kann. Die Analysen dieses Buches sind hochaktuell für die politischen Auseinandersetzungen im Kontext neoliberaler Wirtschaftspolitik, wie Joseph Stiglitz in seinem Vorwort zur amerikanischen Ausgabe betont5.

Im Folgenden sollen Polanyis Theorie der „Great Transformation“ in einer kurzen Skizze vorgestellt und seine Kerngedanken herausgearbeitet werden. Da sich Polanyi in diesem Buch als scharfer Kritiker des doktrinären Wirtschaftsliberalismus erweist, geht es mir schließlich darum, Parallelen zum Neoliberalismus der letzten Jahrzehnte aufzuzeigen und den polit-ökonomischen Entstehungszusammenhang des derzeit grassierenden Rechtspopulismus bzw. -extremismus in den Kontext seiner Theorie zu stellen. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage nach der Aktualität der polanyischen Analyse angesichts der Transformationsprozesse, mit denen wir heute konfrontiert sind.

2. Polanyis The Great Transformation

2.1 Worum geht es ?

Polanyi geht es in seinem Werk „The Great Transformation“ um die zentrale Frage, wie es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa zu den politisch-ökonomischen Katastrophen kommen konnte, die die Zerstörung von demokratischen Staaten durch den Faschismus und Stalinismus zum Ergebnis hatten. Eine angemessene Erklärung dieser Frage ist für ihn nur mit Blick auf die gesamte Ära des Kapitalismus möglich. Polanyi zeigt, dass in vormodernen Ökonomen die ökonomischen Beziehungen gesellschaftlich eingebettet und diese nicht durch Markt bzw. Tausch, sondern durch andere Allokationsmechanismen (Reziprozität und Redistribution6) gekennzeichnet waren. Erst durch die gewaltsame Entbettung traditioneller Ökonomien aus ihren gesellschaftlichen Bindungen vollzog sich seit dem 16. Jahrhundert die allmähliche Durchsetzung des Kapitalismus in weiten Teilen Europas7. Seine Analyse der Ursprünge und der Entwicklung der zerstörerischen Verlaufsformen setzt an der Herausbildung des kapitalistischen Marktsystems in England und Schottland im 18. Jahrhundert und dem Bestreben des ideologischen Wirtschaftsliberalismus („des liberalen Kredos“) an, ein sich selbstregulierendes Wirtschaftssystem zu etablieren: „Wenn wir den deutschen Faschismus verstehen wollen, müssen wir uns dem England Ricardos zuwenden.“ (55) Vor diesem Hintergrund geht es Polanyi um den Nachweis, dass das kapitalistische Marktsystem weder „das einzig mögliche Wirtschaftssystem noch notwendigerweise das fortschrittlichste (ist), ferner das es Alternativen gibt, die sowohl die Wirtschaft und Gemeinschaft in Einklang bringen als auch wirtschaftliches Wachstum und individuelle Freiheit garantieren können“.8

2.2 Marktgesellschaft

Ein selbstregulierender Markt erfordert nach Polanyi eine institutionelle Trennung von Markt und Gesellschaft. Die gesellschaftliche Sphäre ist dabei dem Markt untergeordnet. (106) In einer Marktgesellschaft fungiert die Gesellschaft als Anhängsel des Marktes. (88) „Die Wirtschaft ist nicht mehr in die sozialen Beziehungen eingebettet, sondern die sozialen Beziehungen sind in das Wirtschaftssystem eingebettet.“ (88f.) Eine so verstandene Marktwirtschaft funktioniert nur in einer Marktgesellschaft. Letztere ist ein „ökonomisches System, das aus-schließlich von Märkten kontrolliert, geregelt und gesteuert wird“ (102) Dieses System wird den selbstregulierenden Kräften überlassen und muss von staatlichen Eingriffen, vor allem in Hinblick auf den Preismechanismus, verschont bleiben. (103) Der liberale Staat ist Garant dafür, dass die Trennung von Markt und Gesellschaft gewährleistet ist. Zugelassen sind nur solche staatlichen Maßnahmen, die die Selbstregulierung des Marktes absichern und unterstützen. (103) Allein, diese Marktgesellschaft kann nicht funktionieren und muss auf Dauer zu einer gesellschaftlichen und ökonomischen Katastrophe führen.

2.3 Warenfiktion

Die Selbstregulierung des Marktes impliziert, dass nicht nur produzierte Güter, sondern alle Wirtschaftsgüter einschließlich Arbeit (Lohn), Boden (Rente) und Geld (Zins) als Waren fungieren (Warenfiktion). (103 ff.). Arbeit, Boden und Geld werden aber nicht produziert, um verkauft zu werden. Ihre Bezeichnung als Ware ist somit völlig fiktiv. (108) Arbeit, Boden und Geld be-zeichnet Polanyi als fiktive Waren, weil sie nicht für den Markt hergestellt werden können, grundsätzlich nicht handelbar und damit auch keine „echten“ Waren sind, sondern ihnen eine Warenfunktion zugeschrieben wird9. Zu diesen fiktiven Waren könnte man auch andere nicht handelbare Güter wie Wissen hinzufügen, die für die Funktionsweise und Komplexität einer Volkswirtschaft unverzichtbar sind.10

Das mit der Warenfiktion verbundene Postulat, wonach keine Eingriffe zugelassen werden dürfen, die die Funktionsweise des Marktmechanismus beeinträchtigen, kann aber in Bezug auf die fiktiven Waren Arbeit, Boden und Geld nicht aufrechterhalten werden. (108) „Wenn man den Marktmechanismus als ausschließlichen Lenker des Schicksals der Menschen und ihrer natürlichen Umwelt (…) zuließe, dann würde dies zur Zerstörung der Gesellschaft führen.“ (108)

Die Finanzmarkt-, Immobilien- und Klimakrisen der Vergangenheit und Gegenwart mit ihren gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen sind eindrückliche Beispiele der destruktiven Wirkungen einer Vermarktlichung der oben angesprochenen fiktiven Waren Geld und Boden11. Eine Gesellschaft, die nicht vor dem selbstregulierenden Mechanismus des Marktes geschützt wird, ist nicht überlebensfähig (108 f.) Ein selbstregulierender Markt kann „über längere Zeiträume nicht bestehen, ohne die menschliche und natürliche Substanz der Gesellschaft zu vernichten; sie hätte den Menschen physisch zerstört und seine Umwelt in eine Wildnis verwandelt.“ (19 f.)

2.4 Doppelbewegung

Vor diesem Hintergrund sind Gesellschaften unter den Bedingungen des Marktliberalismus zwangsläufig dazu herausgefordert, Maßnahmen zu ihrem eigenen Schutz zu ergreifen. Im 19. Jahrhundert wurde die gesellschaftliche Dynamik daher von einer Doppelbewegung (Pendelbewegung) bestimmt: „Der Markt erweiterte sich ständig, doch stieß diese Bewegung auf eine Gegenbewegung, die die Expansion in bestimmten Richtungen bremste.“ (182) Innerhalb des wirtschaftsliberalen Systems ziehen die infolge der Gegenbewegungen sich durchsetzenden Schutzmaßnahmen die selbstregulierende Funktion des Marktes in Mitleidenschaft. Die Maßnahmen, die zum eigenen Schutz ergriffen werden, „[…] beinträchtigen die selbstregulierenden Funktionen des Marktes, führen zu einer Desorganisation der industriellen Entwicklung und gefährden damit die Gesellschaft auch in anderer Weise.“ (20) In der Folge schlägt das Pendel zurück.

2.5 Die Katastrophe

Die Widersprüche zwischen den wirtschaftsliberalen Ansprüchen einer sich selbst regulieren-den Markt und den Existenzbedingungen der nicht marktfähigen Faktoren lassen sich nicht auf-lösen und führen schließlich zum Niedergang der Marktgesellschaft.12 Das polanyische Pendel „zwischen dem Prinzip des sich selbst regulierenden Marktes und dem „sozialen Schutzbedürfnis der Gesellschaft kann dabei in zwei Richtungen ausschlagen: nach links und dem Endpunkt des demokratischen Sozialismus oder nach rechts zum Faschismus“13. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert mündete das Ende der wirtschaftsliberalen Ära vielerorts im Faschismus. „In vielen Ländern wurde der liberale Staat von einer totalitären Diktatur abgelöst und die zentrale Institution des 19. Jahrhunderts – die Produktion auf der Grundlage freier Märkte – wurde von neuen Wirtschaftsformen verdrängt.“ (51)

2.6 Die Perspektive – Der demokratische Sozialismus

Für Polanyi ist die Perspektive nach dem katastrophischen Ende des Wirtschaftsliberalismus nicht ein fatalistisches Vakuum: „Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass Notlösungen den Keim großer und dauerhafter Einrichtungen in sich tragen.“ (352) Das Ende der Marktgesellschaft bedeutet für ihn keineswegs, dass Märkte keine Rolle mehr spielen, aber ein Ende der fiktiven Waren hielt er für eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft für unabdingbar14. (333) Die Aufhebung der Trennung von gesellschaftlicher und ökonomischer Sphäre bricht mit der Dominanz selbstregulierender Märkte und erfordert die Herausnahme der fiktiven Waren Arbeit, Boden und Geld aus dem Markt. „Das Marktsystem wird nicht mehr selbstregulierend sein, nicht einmal im Prinzip, da es Arbeit, Boden und Geld nicht mehr umfassen wird“. (332) Polanyi schlägt vor die Regulierung der Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten und der Mindestlöhne dem Markt zu entziehen15, ebenso den Boden durch Kommunalisierung, Genos-senschaftsbildung (Kooperativen) und Naturschutzgebiete16. Zur Kontrolle des Geldes geht es ihm um die Einführung von Institutionen der Regulierung von Finanzmärkten (Zentralbanken, Bankenaufsicht und Abschaffung des zu seiner Zeit dominanten Goldstandards):17 „Ansätze zur Kontrolle des Geldes müssen so ausgeweitet werden, dass Geld dem Markt entzogen wird und dass gesamtwirtschaftlich eine Regulierung der Sparquote und eine Investitionslenkung erfolgen“18.

Von zentraler Bedeutung ist für Polanyi die Durchsetzung des Primats der Politik und damit die Inkraftsetzung der politischen Gestaltungsaufgabe, über die Zweckbestimmung und Ausrichtung von demokratiekonformen Märkten zu bestimmen19. Die zukünftige Wirtschaftsform ist die der „industriellen Zivilisation innewohnende Tendenz, über den selbstregulierenden Markt hinauszugehen, indem man ihn bewusst einer demokratischen Gesellschaft unterordnet.“ (311) Karl Polanyi wendet sich nicht gegen die Allokationsfunktion von Märkten, aber für ihn sollte eine klare Unterordnung von Märkten unter gesellschaftliche Dispositive erfolgen. Mit der Einbettung von Märkten in gesellschaftliche Beziehungen ist dabei nicht weniger, sondern ein mehr an Freiheit verbunden: „Die persönliche Freiheit muss um jeden Preis bewahrt werden, auch um den Preis der Effizienz in der Produktion, der Wirtschaftlichkeit in der Konsumption oder der Zweckmäßigkeit der Verwaltung. Eine Industriegesellschaft kann es sich leisten, frei zu sein“. (339). Polanyi ist ein entschiedener Verfechter individueller Freiheit, aber der Wert der Freiheit steht für ihn in enger Beziehung zum Wert der sozialen Gerechtigkeit und kann sich nur in diesem Zweiklang voll entfalten20.

3. Aktualität

Auch der Neoliberalismus, der ab den 1970er Jahren seinen vorläufigen Siegeszug antrat, hat mittlerweile wieder eine Pendelbewegung nach rechts ausgelöst. Fast überall kommt es in Europa und in den USA zu einem Anschwellen rechtspopulistischer und rechtsextremistischer Bewegungen. Das Phänomen einer erstarkenden politischen Rechten ist zwar nicht monokausal zu erklären, kulturelle, soziale und ökonomische Ursachen tragen zusammen zur Entstehung und zum Aufstieg dieser Bewegungen und Parteien bei21. Aber ebenso wie der Wirtschaftsliberalismus im 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert durch seine ökonomischen und sozialen Verwüstungen dazu beigetragen hat die Katastrophe des Faschismus hervorzubringen, war der Neoliberalismus der vergangenen Jahrzehnte ein Treiber der Renaissance der äußersten politi-schen Rechten, die nunmehr überall in Europa und in den USA das demokratische Leben bedroht. Die gewachsene und durch den Rückzug des Staates aus vielen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen (Privatisierungen, Liberalisierung, Abbau der Daseinsvorsorge, In-vestitionszurückhaltung bei der öffentlichen Infrastruktur) beflügelte Verunsicherung der Men-schen und der damit verbundene Kontrollverlust über ihre Umwelt ist eine der zentralen Ursachen des aufkeimenden Rechtspopulismus und -extremismus22. Danach sind es insbesondere ökonomische Schocks, die Menschen ungeschützt treffen, starke soziale Verunsicherungen aus-lösen und dem Rechtpopulismus bzw. Rechtsextremismus den Nährboden bereiten.

Vor allem sozial-ökologische Transformationsprozesse, die weitgehend dem Marktmechanismus überlassen werden,23 können enorme gesellschaftliche Anpassungskosten verursachen, die sich auf außerordentlich zerstörerische Weise Geltung verschaffen24. Ebenso gilt für digitale Transformationsprozesse, dass diese ohne gesellschaftliche Einbettungen ihre destruktiven Potenziale freisetzen25. Für Tom Krebs sind solche Anpassungskosten der springende Punkt der polanyischen Analyse . „Die marktliberale Theorie wird zu einer marktradikalen Theorie, welche gesellschaftliche Prozesse einzig aus der marktwirtschaftlichen Perspektive analysiert und interpretiert“26. Polanyis Theorie legt aber auch nahe, dass der Druck von marktradikalen Reformen zu einer demokratischen Gegenbewegung der Gesellschaft führen wird. Erst demokratisierende Eingriffe in die Wirtschaft ermöglichen den Schutz vor den erratischen Ausschlägen und den Verwüstungen der kapitalistischen Ökonomie und die Option einer nachhaltigen Ökonomie27.

4. Zusammenfassung

Polanyi hat in „The Great Transformation“ eine polit-ökonomische Kritik des doktrinären Wirtschaftsliberalismus entwickelt, die auch in der Gegenwart zur Analyse der zerstörerischen Wirkung unregulierter Märkte herangezogen werden kann. Insbesondere bei der Analyse des Ent-stehungszusammenhangs rechtspopulistischer bzw. rechtsextremistischer Bewegungen leistet Polanyis Theorie unverzichtbare Dienste und schafft aus einer historischen Perspektive Anknüpfungspunkte zum Verständnis aktueller Phänomene. Das polanyische Pendel, die Ent- und Einbettung von Märkten und die Rolle fiktiver Waren sind Kategorien der polit-ökonomischen Analyse, die ihre Aktualität insbesondere auch in der Auseinandersetzung über die richtigen Pfade der ökologischen Transformation bewahrt haben. Mit seinem Analysekonzept der fiktiven Waren bietet Polanyi darüber hinaus einen theoretischen Zugang auf die Güter, die im Rahmen einer reformistischen Strategie des demokratischen Sozialismus im 21. Jahrhundert dem Markt weitgehend entzogen werden sollten. Aber auch die Allokation weiterer Gemeingüter, wie z.B. gesellschaftlich notwendige Infrastrukturen und Dienstleistungen, sollten in Zukunft demokratisch koordiniert werden28. Diese notwendigen Eingriffe sind offensichtlich ein Feld für progressive Strukturreformen29.

1 Der vollständige Titel lautet in der deutschen Ausgabe: Polanyi, K. (1978): The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, Frankfurt a.M., in der englischen Ausgabe: Polanyi, K. (2024), The Great Transformation. The political and economic Origins of our time, London. Die Seitenangaben zu The Great Transformation erfolgen im Text in Klammern und beziehen sich auf die deutsche Ausgabe von 1978.

2 Zur Biographie von Karl Polanyi siehe u.a. Block (2001) und ausführlicher Burawoy (2019), S. 45

3 Aulenbacher et al. (2019), S. 11

4 Block, F. (2001)

5 Stiglitz (2001), vii

6 Reziprozität bezeichnet einen Verteilungsmodus, bei dem der Austausch von Gütern und Dienstleistungen nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit (Gabe) auf der Basis symmetrischer Beziehungen innerhalb einer Gemeinschaft erfolgt. Redistribution bezeichnet einen Verteilungsmodus, bei dem der Austausch von Gütern und Dienstleistungen nach dem Prinzip der Zuteilung auf der Basis einer zentralen Verteilungsinstanz innerhalb einer Gemeinschaft erfolgt (Polanyi (1976), S. 66 ff.).

7 Polanyi fokussiert in dieser Analyse auf England als der fortgeschrittensten Volkswirtschaft Europas im 18. und 19. Jahrhundert. Dabei war sich Polanyi durchaus bewusst, dass in anderen europäischen Ländern auch andersartige Formen der Anpassung an die Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise möglich waren (Nutzinger, 2016, S. 92). In der historisch materialistischen Analyse der Herausbildung des Kapitalismus bestehen enge Parallelen zum 24. Kapitel „Die sogenannte ursprünglichen Akkumulation“ im 1. Bd. des Kapitals von Karl Marx, S. 741 ff.

8 Drucker, P. (1981), S. 112

9 Polanyi spricht von der fiktiven Ware Arbeit, die von der Ware Arbeitskraft zu unterscheiden ist, vgl. Burawoy (2019b) S. 27 ff.. Die Bildung von Märkten für Arbeitskraft, Boden und Geld bedingen den entscheidenden Umschlag in eine Marktwirtschaft. (…) „Das Organisationsprinzip der Gesellschaft (…) wurde nach dieser (Waren)Fiktion verändert. Die Gesellschaft wurde so umorganisiert, dass sie zu einem Beiwerk der kapitalistischen Wirtschaft wurde. Das ist der entscheidende Umschlagspunkt: Entfremdung tritt ein, die Menschen verlieren die Kontrolle über das Geschehen ihrer Umwelt…“ (Blomert (2015), S. 114)

10 Jessop (2007)

11 Nutzinger (2016), S. 104

12 Blomert (2016), S. 120

13 Ther (2021), S. 18

14 Kalmbach (2011), S. 403

15 Burkart Lutz sieht in der Durchsetzung des Sozialstaates einen wirksamen Mechanismus, um das Lohngesetz außer Kraft zu setzen (Lutz (1984), S. 196)

16 Die Einführung von Erbpacht wäre in diesem Zusammenhang eine mögliche Maßnahme der Einbettung von Boden

17 Es entspricht durchaus der politischen Vorstellungswelt von Karl Polanyi, dass sich sozialistische Elemente auch unter der Dominanz der kapitalistischer Produktionsweise herausbilden. Die Abschaffung des Goldstandards kann in diesem Sinne interpretiert werden. Die Einführung einer Transaktionssteuer oder die Schließung von Steuerparadiesen wären ebenfalls im Sinne von Polanyi. Unter diesem Aspekt zeigen sich auch Parallelen zu J.M. Keynes (Vergesellschaftung der Investitionsfunktion), Keynes (2011).

18 Ebenda, S. 103

19 Dieser Gestaltungsansatz ist vergleichbar mit dem strategischen Konzept von Erik Olin Wright zum Verhältnis von Demokratie und Markt im demokratischen Sozialismus: „Die Frage ist wie verschiedene Formen der Macht das Funktionieren dezentraler Formen des Austauschs innerhalb von Märkten prägen, nicht ob es Märkte gibt“ (Wright (2019), S. 66). Statt einer marktkonformen Demokratie geht es um einen demokratiekonformen Markt, eine Marktwirtschaft, die der Ausübung demokratischer Macht wirksam untergeordnet ist.

20 Zum Freiheitsverständnis von Polanyi siehe Polanyi 2005; S. 137 ff.

21 Heitmeyer (2023), Reckwitz (2019), Bude (2014), Brandt (2005), Mau u.a. (2023), Brandt (2025)

22 Diese Erklärung des Aufstiegs der radikalen Rechte in Europa und in den USA ist in den vergangenen Jahren vielfach von wirtschaftswissenschaftlichen Studien belegt worden, Rodrik (2019), Autor et al. (2016), Südekum (2022)

23 Dafür plädieren wie z.B. Wambach (2022), Grimm et al. (2024) und Bayaz, Fücks (2023). Zur Theorie des Neoliberalismus siehe Biebricher (2021), Appelbaum (2020), Slobodian (2025)

24 Stiglitz (2017)

25 Urban (2019)

26 Krebs (2024), S. 11

27 Streek (2024), S. 203 f.

28 Wright (2019), Kremer et al. (2024), Streeck (2019)

29 Kremer et al. (2024)

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2025-12-01T17:39:06+01:00
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