Heft 263 – 02/2025

Die Macht von Konzernen und Staaten gestalten globale Lieferketten

#analyse #spw

Prof. em. Dr. Christoph Scherrer ist Volkswirt und Politologe. Er forscht u.a. als non-resident senior fellow am Kassel Institute for Sustainability und ist Associate fellow of the Global Labour University.

VON Prof. em. Dr. Christoph Scherrer

Die von US-Präsident Donald Trump Anfang April 2025 angekündigten Importzölle haben deutlich gemacht, dass die Ausgestaltung von Lieferketten nicht nur eine Frage unternehmerischen Kalküls ist, sondern auch vom Verhalten der Nationalstaaten abhängt. Auf beiden Ebenen, der unternehmerischen und der staatlichen, entscheiden Machtverhältnisse sowohl über die Ausgestaltung als auch über die Aneignung des in den Lieferketten erzeugten Mehrwerts.

Vielfältige Machtverhältnisse bestehen innerhalb der Lieferketten zwischen den einzelnen Produktions- und Verkaufsstätten sowie zu den Unternehmen, die die einzelnen Kettenglieder verbinden (z.B. Logistikunternehmen), aber auch innerhalb der betrieblichen Glieder zwischen Kapital und Arbeit. An der Herstellung und dem Verkauf eines Produkts oder einer Dienstleistung sind jedoch noch weitere Akteure beteiligt, die nicht direkt in die Kette eingebunden sind, weshalb auch von Produktionssystemen gesprochen wird (Barrientos/Smith 2007). Dazu gehören beispielsweise Finanzinstitute, aber auch Ingenieurbüros oder Wirtschaftsprüfer. So mag das Management eines Textileinzelhändlers mit einer bekannten Marke gegenüber seinen vielen verstreuten Zulieferern mächtig sein, nicht aber gegenüber aktiven Investoren, die unter den Kapitaleignern Verbündete gegen das bestehende Management mobilisieren.

Die Machtressourcen der Konzerne

Die Machtverhältnisse zwischen den Unternehmen eines Produktionssystems lassen sich in einem ersten Schritt mit dem Machtressourcenansatz erklären, der ursprünglich für Gewerkschaften entwickelt wurde. Unternehmen können Marktmacht, Verbandsmacht, institutionelle Macht (Schmalz et al. 2018) und diskursive Macht (McGuire/Scherrer 2015) ausüben.

Die zentrale Ressource ist die Marktposition: Je schwieriger der Markteintritt ist, desto stärker ist die Position der bereits im Markt etablierten Unternehmen. Umgekehrt gilt: Je leichter der Markteintritt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines starken Wettbewerbs, der die Marktposition des einzelnen Unternehmens schwächt. Ursachen für die monopolistische, monopsonistische oder oligopolistische Stellung eines Unternehmens können Skalen-, Netzwerk- und Spezialisierungseffekte sowie Innovationen sein. Diese Ursachen sind jedoch nicht naturgegeben, sondern in spezifische Ermöglichungsstrukturen (institutionelle Macht) eingebettet, die jeweils einen politischen Ursprung haben (Verbandsmacht).

Auch die Machtverhältnisse sind nicht statisch zu betrachten. Sie sind vielmehr das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels von Routinen und Versuchen jeder Seite, ihre Position zu stärken. Wie wir aus dem dritten “Gesicht” der Macht von Steven Lukes (2005) lernen, gehören zu den Strategien auch Versuche, die Interessenwahrnehmung des Gegenübers zu beeinflussen (diskursive Macht).

So beruht die Fähigkeit transnationaler Unternehmen, global zu beschaffen, auf ihrem Rechtsstatus als juristische Personen, auf durch internationale Verträge durchgesetzten geistigen Eigentumsrechten und auf Handelsabkommen, die sie vor Diskriminierung gegenüber lokalen Konkurrenten schützen. Ein liberales Finanzregime, das den freien Fluss von Geld über Grenzen hinweg gewährleistet, sowie eine Vielzahl bilateraler Investitionsabkommen ermöglichen es den Vermögenden im Allgemeinen und Unternehmen mit besonders starker Marktposition, einen überproportionalen Anteil an der Wertschöpfung in den Produktionssystemen zu erlangen.

Ein Indikator für die Macht der Unternehmen ist ihre Profitabilität, z.B. Apple mit 25% Gewinn auf den Umsatz und einer Kapitalrendite von 54,1%.¹

Die Entstehung und Reproduktion dieser Institutionen, die die Macht der transnationalen Konzerne untermauern, wird durch die Anwendung der Gramscianischen Linse sichtbar gemacht. Diese Institutionen sind das Ergebnis von Kämpfen um Hegemonie, die auf dem Zusammenspiel von materiellen Fähigkeiten, Ideen und Institutionen beruhen. Dabei geraten auch untergeordnete soziale Gruppen in den Blick. Dies ist zentral für ein umfassendes Verständnis von Macht in Lieferketten, da deren Konsens über Führung für Hegemonie im Gegensatz zu Herrschaft notwendig ist. Ein relativ stabiler »historischer Block« entsteht, wenn eine Klasse oder Klassenfraktion die Hegemonie erlangt und die wichtigsten wirtschaftlichen, politischen und sozialen Institutionen einigermaßen kohärent sind. Der neoliberale historische Block hat das globale Outsourcing ermöglicht (ausführlich: Scherrer 2021a).

Risse im Neoliberalismus – Aufstieg der Volksrepublik China

Ein historischer Block ist jedoch keine dauerhafte Einrichtung. Er friert die Hegemoniekämpfe nicht ein. Das Ausbleiben des versprochenen Wohlstands für alle, Verschiebungen in den materiellen Möglichkeiten, die Verbreitung neuer Ideen und neuer Widerstandsstrategien gehören zu den Faktoren, die zu einem »kritischen Scheitelpunkt«, zu einer Situation gestörter Kräfteverhältnisse führen können.

Im globalisierten Wettbewerb kann sich nur behaupten und entwickeln, wer seine Ressourcen bündelt, wer kollektiv handeln kann. Staatliche Macht ist dafür die beste Grundlage, wie die erfolgreichste aufstrebende Volkswirtschaft der letzten Jahrzehnte, die Volksrepublik China, gezeigt hat. Unter der Herrschaft der Kommunistischen Partei Chinas wurde nicht nur das immense Arbeitskräftereservoir Chinas für den wirtschaftlichen Aufschwung mobilisiert und zugleich diszipliniert, sondern auch eine Kapitalistenklasse geschaffen, deren Freiheiten dort enden, wo das kollektive Ziel, die wirtschaftliche Macht und Souveränität Chinas, gefährdet ist. Eine solche Gefahr liegt vor allem in den Verlockungen des freien Kapitalverkehrs für die Reichen. Dementsprechend sind dem Transfer von Vermögen ins Ausland Grenzen gesetzt (Zenglein/Kernfelt 2019).

Solange China vor allem als verlängerte Werkbank und Absatzmarkt für US-Unternehmen diente, waren seine Exporte in die USA willkommen. Dies änderte sich jedoch, als deutlich wurde, dass die chinesische Regierung eine Führungsrolle in der Hochtechnologie anstrebte. Auch der chinesische Test einer Hyperschallwaffe, die 2021 die Erde umrundete, hat das US-Militär aufgeschreckt, zumal China für diese Waffe amerikanische Technologie verwendete (Sevastopulo 2023).

Der Aufstieg Chinas hat nun dazu geführt, dass die USA den von ihnen selbst forcierten neoliberalen Ordnungsrahmen der Weltwirtschaft in Frage stellen. Sie waren die treibende Kraft hinter der so genannten Uruguay-Runde im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT), die Importkontingente weitgehend abschaffte, Zölle stark senkte, einige nichttarifäre Handelshemmnisse beseitigte, den Schutz geistigen Eigentums stärkte und 1995 die Welthandelsorganisation (WTO) ins Leben rief. Dabei nutzten die USA einerseits den Zugang zu ihrem großen Markt und andererseits andere Machtmittel (z.B. Entwicklungshilfe). Obwohl das Regelwerk der WTO weitgehend von ihnen geprägt ist, war das Streitschlichtungsverfahren der WTO in den USA von Anfang an umstritten, da es ihre Handlungsmöglichkeiten einschränkt. Es entstand als Kompromiss insbesondere gegenüber den Ländern der kapitalistischen Peripherie, die die Möglichkeit der USA, unilateral Zölle zur Durchsetzung ihrer Interessen zu erhöhen, eingeschränkt sehen wollten. In den ersten 20 Jahren der WTO akzeptierten die USA Schiedssprüche auch gegen sich selbst. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der Volksrepublik China änderte sich jedoch der Blick auf diesen Streitschlichtungsmechanismus. Bereits unter Präsident Obama blockierten die USA den Prozess, indem sie sich weigerten, neue Berufungsrichter zu ernennen. Seitdem ist der Streitschlichtungsprozess gelähmt. Entsprechend konnten die Handelspartner der USA auf die von Trump in seiner ersten Amtszeit verhängten WTO-widrigen Zölle nicht mit WTO-sanktionierten Gegenmaßnahmen reagieren (ausführlich: Scherrer 2021b). Ohne einen funktionierenden Streitschlichtungsprozess gilt im Handelsregime inzwischen das Recht des Stärkeren. Präsident Trump glaubt nun, in seiner zweiten Amtszeit durch hohe Eintrittsbarrieren in den US-Markt den Handelspartnern Zugeständnisse abringen zu können. Wird die Macht des amerikanischen Staates dafür ausreichen? Wie sehen die zwischenstaatlichen Machtverhältnisse in der Handelspolitik aus?

Handelspolitische Machtressourcen

Zur Beantwortung dieser Fragen nehme ich eine analytische Trennung zwischen ökonomischen und politischen Machtressourcen vor. Die entscheidende ökonomische Machtressource ist die Kaufkraft des jeweiligen politischen Wirtschaftsraumes. Länder, die über eine höhere Kaufkraft verfügen, sind in solchen Verhandlungen anderen überlegen, da die Profitabilität der Unternehmen anderer Länder stärker von einem größeren Markt abhängt als umgekehrt. Weitere Quellen ökonomischer Macht sind Produkte, die für andere Länder wichtig und kaum substituierbar sind (z.B. Erdgas oder Mikrochips), infrastrukturelle Macht (z.B. internationaler Zahlungsverkehr) und große Finanzkraft, die anderen Ländern zur Verfügung gestellt oder entzogen werden kann.

Lange Zeit waren die USA der mit Abstand kaufkräftigste Wirtschaftsraum. Diese Kaufkraft wird noch dadurch verstärkt, dass die eigene Währung gleichzeitig den Status einer Weltwährung hat. Dies ermöglicht den USA ein kontinuierliches Handelsbilanzdefizit, d.h. die USA konsumieren mehr als sie produzieren. Im Jahr 2024 wird dieses Defizit mehr als 900 Milliarden Dollar betragen, was etwas mehr als 3% des Bruttoinlandsprodukts entspricht.

Die EU mit ca. 20 Billionen BIP und China mit ca. 19 Billionen BIP werden 2025 zusammen über mehr Kaufkraft verfügen als die USA mit ca. 28 Billionen BIP. Da die EU ähnliche Vorbehalte gegenüber dem chinesischen Wirtschaftssystem hat wie die USA, ist zwar keine gemeinsame Antwort auf Trump zu erwarten, aber die nach dem Amtsantritt von Präsident Biden ausgesetzten Gespräche wurden wieder aufgenommen (Liu 2025).

Chinas Vorbereitungen auf Trump 2.0

Im Vergleich zu den letztlich erfolglosen Strafzöllen der ersten Amtszeit Trumps hat sich die Position Chinas zudem weiter verbessert. Wirtschaftlich hat sich der Abstand zum Bruttosozialprodukt der USA verringert und China ist sowohl bei den Exporten als auch bei den Importen weniger abhängig von den USA (wobei allerdings chinesische Vorprodukte für US-Importe aus anderen Ländern in der Statistik nicht auftauchen). Umgekehrt ist die Welt einschließlich der USA stärker von China abhängig geworden, insbesondere bei der Entwicklung und Nutzung erneuerbarer Energien (z.B. Batterietechnologie).

Angesichts der Finanzsanktionen der USA gegen Russland hat China seine Bemühungen verstärkt, Alternativen zum Dollar für die Abwicklung von Zahlungen zu entwickeln. So fördert es die internationale Nutzung von Zahlungssystemen auf Renminbi-Basis und reduziert den Anteil von US-Schatzbriefen an seinen Währungsreserven (Scherrer 2023).

Auch bei den politischen Machtmitteln hat China aufgeholt. Während die Trump-Administration selbst die engsten Verbündeten mit hohen Zöllen belegt und beschimpft, hat China die Zusammenarbeit mit den BRICS-Staaten intensiviert und weitere Länder in die Gruppe aufgenommen. Die Minister Chinas, Japans und Südkoreas haben sogar ihren Wirtschafts- und Handelsdialog nach fünfjähriger Pause wieder aufgenommen.

Auch innenpolitisch ist China besser gewappnet. Die Bedrohung von außen dient als Deckmantel für die wirtschaftliche Neuausrichtung auf Technologieführerschaft und das Streben nach mehr wirtschaftlicher Eigenständigkeit statt allgemeinem Wirtschaftswachstum. Um die Auswirkungen auf kleine Unternehmen abzufedern und Arbeitslosigkeit zu vermeiden, ergriff die KPCh gezielte fiskal- und geldpolitische Maßnahmen. Zudem schuf sie rechtliche Grundlagen für Vergeltungsmaßnahmen (Liu 2025).

Angesichts dieser chinesischen Vorbereitungen ist es fraglich, ob es Trump gelingen wird, China am weiteren technologischen Auf- und Überholen zu hindern. Ob die offiziellen Ziele der Trumpschen Hochzollpolitik, neben der Schwächung Chinas die Stärkung des verarbeitenden Gewerbes in den USA und zusätzliche Steuereinnahmen, die Motive für diese Politik abdecken, ist allerdings fraglich. Vielmehr ist zu vermuten, dass die Zölle auch dazu dienen, das US-Kapital, durch die Gewährung bzw. Verweigerung von Ausnahmen von den Zöllen, Trump gefügig zu machen (Scherrer 2025).

Die Werktätigen bleiben am unteren Ende der Lieferketten

Im neoliberalen Zeitalter lag die Gestaltungs- und Aneignungsmacht in den globalen Lieferketten vor allem in den Händen von Konzernen mit starker Marktposition sowie kollektiver, institutioneller und diskursiver Macht. In Zeiten geopolitischer Spannungen versuchen die Regierungen der mächtigen Nationen, die Lieferketten so zu gestalten, dass ihre jeweilige wirtschaftspolitische Souveränität gestärkt wird. Dies führt jedoch nicht dazu, dass diejenigen, die durch ihre Arbeit die Produkte herstellen oder Dienstleistungen erbringen, innerhalb der Lieferketten an Macht gewinnen und ihren Anteil an der Wertschöpfung erhöhen. Im Gegenteil: Für den wieder erstarkten nationalen Wettbewerb sollen sie Lohnzurückhaltung üben, höhere Verbraucherpreise dulden und auf eine Sorgfaltspflicht in der Lieferkette verzichten.

Literatur

Barrientos, S. /Smith, S. 2007: Do workers benefit from ethical trade? Assessing codes of labour practice in global production systems. Third World Quarterly 28(4), 713-729.

Liu, Z.Z. 2025: How China Armed Itself for the Trade War. https://www.foreignaffairs.com/china/how-china-armed-itself-trade-war

Lukes, S. ([1974] 2005): Power: A Radical View. London.

McGuire, D. /Scherrer, C. 2015: Providing Labor with a Voice in International Trade Negotiations. Philippine Journal of Labor and Industrial Relations 33, 1-23.

Scherrer, C. 2021a: Macht in weltweiten Lieferketten. Hamburg.

Scherrer, C. 2021b: America second? Die USA, China und der Weltmarkt. Berlin.

Scherrer, C. 2023: Herausforderungen für den US-Dollar und das Währungsregime. PROKLA 213, 53(4) 597-617. https://doi.org/10.32387/prokla.v53i213.2081

Scherrer, C. 2025: Trump’s tariff policy – Disciplining Capital by Granting Exemptions. The Bullet. https://socialistproject.ca/2025/04/trumps-tariff-policy/

Schmalz, S./Ludwig, C./Webster, E. 2018: The Power Resources Approach: Developments and Challenges. Global Labour Journal 9(2), S. 113-134.

Sevastopulo, D. 2023: Technology Remains Core Battle with Beijing. Financial Times. https://www.ft.com/content/68f78a57-c2f4-4382-bbdd-39131630b236

Zenglein, M./Kernfelt, M. 2019: China’s Caution About Loosening Cross-Border Capital Flows. Fear of financial instability will continue to slow the liberalization of the capital account. URL: https://merics.org/

2025-09-14T22:13:39+02:00
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