Heft 260 – 3/2024
Transformation unter Druck – Das Beispiel Bremen
#analyse #spw

Foto: © Arbeitnehmerkammer Bremen
Dr. Carsten Sieling, Beauftragter der Geschäftsführung, Arbeitnehmerkammer Bremen.

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Kevin Rösch, Referent für Finanz- und Wirtschaftspolitik, Arbeitnehmerkammer Bremen.
von Carsten Sieling und Kevin Rösch
Transformation unter Druck – Das Beispiel Bremen
Das Bundesland Bremen hat sich wie so viele andere Bundesländer das ehrgeizige Ziel gesetzt, im nächsten Jahrzehnt klimaneutral zu werden. Die Transformation hin zu einer Klimaneutralität 2038 im Zwei-Städte-Staat erfordert neben technologischen Innovationen und gesellschaftlichen Veränderungen auch erhebliche finanzielle Mittel.
Die Bremer Klimastrategie umfasst eine Vielzahl von Maßnahmen zum Abbau von CO2-Emissionen. Vor allem aber muss die Transformation der Stahlindustrie gelingen: denn das Werk von ArcelorMittal ist für die Hälfte der Emissionen im Land Bremen verantwortlich.
Bremen möchte bis 2038 klimaneutral sein
Der Umbau der Stahlindustrie in Deutschland ist zentral zur Minderung der klimaschädlichen Gase. Stahl wird weiter gebraucht werden – für Windräder und Schienen genauso wie für Bauten und Fahrzeuge. Und weil Stahl Zukunft ist, muss die Produktion umgestellt werden. Sonst wird Stahl aus Weltregionen geliefert, die noch lange nicht kohlenstofffrei produzieren werden. In Bremen soll der erste herkömmliche Hochofen 2026 stillgelegt und durch einen Elektrolichtbogenofen ersetzt werden. Anfang der dreißiger Jahre folgt der zweite Ofen. Erforderlich sind dafür gewaltige Verstärkungen der Stromleistungen und für die zuerst gasbetriebene Direktreduktionsanlage perspektivisch die Nutzung von Wasserstoff. Hier verfügt der Nordwesten Deutschlands über einen großen Standortvorteil, da die bestehende Gasleitungs- und Kaverneninfrastruktur westlich von Bremen Möglichkeiten der Speicherung und auch der Zuleitung in der Nordsee erzeugten sowie importierten Wasserstoffs ermöglicht.
Stahl ist die Zukunft
Dieses Transformationsprojekt ist die größte finanzielle Herausforderung. Die Bundesregierung hat Förderzusagen in Höhe von 800 Millionen Euro gegeben, wobei der Landesanteil Bremens rund 250 Millionen Euro beträgt. Die politischen Voraussetzungen sind erbracht, einzig fehlt noch die definitive Zusage des Mittal-Konzerns. Als Grund für das Zögern werden hohe Betriebskosten vorgetragen, da der Preis für Wasserstoff eine konkurrenzfähige Produktion (noch) nicht möglich mache. Nimmt man die Verkaufs- und Schließungspläne des ThyssenKrupp-Konzerns in Duisburg hinzu, zeigt sich die mangelhafte unternehmerische Verantwortung in diesem monopolistisch strukturierten Markt.
Trotzdem haben Betriebsrat und IG Metall bei ArcelorMittal Bremen mit seinen über 3.000 Beschäftigten auch die Soziale Transformation auf die Tagesordnung gesetzt. Dank der Gestaltungsmöglichkeiten der Montanmitbestimmung konnten Beschäftigungssicherung, strukturierte Weiterbildungsangebote für die Belegschaft sowie eine deutliche Ausweitung der Ausbildung in einem bundesweiten Pilotvorhaben entwickelt werden. Für das Bundesministerium für Arbeit ist das Vorhaben ein Vorzeigeprojekt für die Anwendung des im Sommer letzten Jahres beschlossenen Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung.
Weitere Handlungsschwerpunkte der Klimaschutzstrategie
Die industrielle Transformation hat zwar ökonomisch und ökologisch eine herausgehobene Bedeutung, die Bremer Klimaschutzstrategie setzt aber auch weitere Schwerpunkte. Dazu gehören unter anderem der Ausbau und die Dekarbonisierung der Nah- und Fernwärmeversorgung, die Förderung nachhaltiger Mobilität (insbesondere der CO2-arme ÖPNV sowie der Fuß- und Radverkehr) und die energetische Sanierung von Gebäuden.
So ambitioniert das Maßnahmepaket auch ist, so wird angesichts der dramatischen Klimaveränderungen natürlich von vielen gesellschaftlichen Kräften eine konsequentere und ambitionierte Klimapolitik mit einem schnelleren Ausstieg aus fossilen Energieträgern gefordert. Die politischen Herausforderungen dafür sind aber selbst von einer rot-grün-roten Koalition auf Landesebene allein nicht zu bewältigen.
Investitionen im Volumen eines ganzen Landeshaushalts
Konzeptionell entwickelt wurde die Transformationsstrategie durch eine Enquetekommission der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) in den Jahren 2020/21. Der Investitionsbedarf, den die Kommission ermittelte beläuft sich auf sechs bis sieben Milliarden Euro, zuzüglich jährlicher Betriebskosten von 200 bis 380 Millionen Euro (alles in Preisen von 2021). Dieses enorme Investitionsvolumen, das dem gesamten Landeshaushalt entspricht, stellt angesichts der finanziellen Situation Bremens eine zusätzliche Herausforderung dar. Daher schlug der Bremer Senat als ersten Schritt im Januar 2023 ein kreditfinanziertes Volumen von drei Milliarden Euro, einschließlich einer halben Milliarde für Mehrausgaben aufgrund des Ukrainekriegs, vor.
Rücklagenbildung und Besonderheiten des „Klimafonds“
Im Gegensatz zu anderen Bundesländern wie dem Saarland wird der „Klimafonds“ in Bremen als eigener Produktplan im Haushalt und nicht als Sondervermögen außerhalb des Haushalts geführt. Dies bedeutet, dass kein separater Wirtschaftsplan erforderlich ist, sondern eine engere Kontrolle und Integration der Klimaschutzmaßnahmen in die regulären Haushaltsprozesse von Landesregierung und -parlament erfolgt.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von November 2023 zu kreditfinanzierten notlagenbedingten Sondervermögen stellt auch in Bremen eine Zäsur für den Klimaschutz dar. Infolge des Urteils wurden die geplanten Rücklagen im Nachtragshaushalt aufgelöst und vielmehr nur kassenwirksame Ausgaben für 2023 in Höhe von 362 Millionen Euro berücksichtigt. Durch eine Einigung der rotgrün- roten Koalition mit der CDU im Frühjahr 2024 auf ein kreditfinanziertes Sondervermögen könnte vor allem die Transformation des Stahlwerks gesichert werden. Es geht dabei um rund 450 Millionen Euro Klimaschutzausgaben, von denen rund 300 Millionen Euro für das Stahlwerk vorgesehen sind. Allerdings hat die FDP beim Staatsgerichtshof des Landes unter Bezugnahme auf eine strikte Auslegung der Schuldenbremse eine Klage gegen diese Finanzierung eingereicht.
Finanzpolitische Herausforderungen
Eine nachhaltige Finanzierung des Investitionsbedarfs ist allerdings mit den jetzt politisch verständigten Maßnahmen nicht gewährleistet. Außerdem steht Bremen durch das Bundesfinanzministerium unter Druck, auf weitere notlagenbedingte Kreditaufnahmen zu verzichten. Auch wenn das Land durch eine positive Einwohnerentwicklung künftig mehr Geld aus dem Länderfinanzausgleich erhält, wird sich die vorherrschende Finanzierungslücke nicht schließen lassen. Hier müssen neben der fundamentalen Reform der Schuldenbremse andere Wege gegangen werden: Eine reaktivierte Vermögensteuer sowie eine angemessene Erbschaftsteuer würden die Landeskassen entlasten. Darüber hinaus sind generell mehr Bundesmittel für Zukunftsausgaben erforderlich und insbesondere die Kommunen als Träger der Transformation müssen finanziell gestärkt werden.1 Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre, kommunale Klimainvestitionen als Gemeinschaftsausgaben im Grundgesetz zu verankern und damit eine gezielte Förderung zu etablieren. Dies würde die beiden Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven, die – anders als Kommunen in den Flächenländern – der Landesschuldenbremse unterliegen, darin unterstützen, das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.