Heft261 – 04/2024
Für einen neuen Haushaltspolitischen Zukunftsdeal!
#meinung #debatte #spw

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Dr. Wiebke Esdar ist direkt gewählte Abgeordnete für den Wahlkreis 132 (Bielefeld und Werther). Sie ist seit 2017 Mitglied des Bundestages und gemeinsam mit Dirk Wiese Vorsitzende der NRW-Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion.

Foto: © Oliver Krato
Achim Post ist direkt gewählter Abgeordneter für den Wahlkreis 134 (Minden-Lübbecke I). Er ist seit 2013 Mitglied des Bundestages und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Weiterhin ist Achim Post seit 2023 Landesvorsitzender der NRWSPD und stellv. SPD-Bundesvorsitzender.
VON Wiebke Esdar und Achim Post
Vor uns liegt die größte Transformation unserer Wirtschaft und Arbeitswelt seit Beginn der Industrialisierung. Nach über 200 Jahren, in denen unser Wohlstand darauf gründete, Kohle, Öl und Gas zu verbrennen, muss uns in sehr kurzer Zeit der Übergang von einer fossilen Industriegesellschaft zu einer klimaneutralen und innovativen digitalen Wirtschaft gelingen.
Zugleich fordert auch uns der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die Ukraine finanziell massiv: für die wirtschaftliche, militärische und humanitäre Unterstützung der Ukraine, für die ukrainischen Geflüchteten sowie wegen der Auswirkungen auf unsere Energieversorgung und deren finanzielle Folgen stellen wir Milliarden Euro zur Verfügung. Hinzu kommen die notwendigen Investitionen, um unsere äußere Sicherheit gewährleisten zu können.
Von der Industrialisierung im 19. Jahrhundert über den Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg bis hin zur Deutschen Einheit waren die mit den historischen Umbrüchen einhergehenden wirtschaftlichen Umbrüche stets von besonderen fiskalpolitischen Maßnahmen begleitet. Wie den Marschall-Plan brauchen wir auch heute Instrumente, um die enormen Investitionsbedarfe zu bewältigen, um so den Wohlstand für künftige Generationen zu sichern und gute Arbeitsplätze zu erhalten.
Mit einem gerechteren Steuersystem, das 95 Prozent der Steuerpflichtigen entlastet und dafür die höchsten Spitzeneinkommen und Millionenvermögen stärker an der Finanzierung der Zukunftsaufgaben beteiligt, wollen wir eine dauerhaft solide und gerechte Finanzierungsbasis unseres Staates sicherstellen. Um die enormen Investitionsbedarfe zu decken, sind darüber hinaus aber zusätzliche Investitionsimpulse erforderlich, die nicht zulasten anderer wichtiger öffentlicher Güter wie etwa der Rente oder der Infrastruktur erfolgen dürfen.
So wie jedes Unternehmen notwendige Investitionen auch über Kredite finanziert, gehören Staatsanleihen zu den üblichen Instrumenten, um den Staat zu finanzieren. In Deutschland wird diese Möglichkeit durch Schuldenregeln im Grundgesetz begrenzt. Über 15 Jahre nach Einführung der derzeit geltenden Fiskalregeln zeigt sich: Die aktuelle Schuldenregel ist zu starr und nicht auf der Höhe der aktuellen investitions- und transformationspolitischen Herausforderungen. In Zeiten großer Umbrüche sind fehlende Zukunftsinvestitionen ein Wohlstandsvernichter, den die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Alltag spüren: Sei es der Sanierungsstau bei unserer Infrastruktur – den Brücken, Autobahnen und Schienenwegen –, sei es die sanierungsbedürftige Schule vor Ort, das geschlossene Schwimmbad in der Kommune, der nicht fahrende Bus auf dem Dorf und vieles Weitere. Deutschland braucht ein Investitionsupdate.
Eckpunkte für einen haushaltspolitischen ZUkunftsdeal
Die SPD-Bundestagsfraktion hat im Januar 2024 einen Prozess begonnen, um Eckpunkte für einen neuen haushaltspolitischen Zukunftsdeal für unser Land zu entwerfen. Über 30 Abgeordnete der SPD-Bundestagsfraktion arbeiten in der Begleitgruppe für Zukunftsinvestitionen und der Schuldenbremse mit. Die ersten Zwischenergebnisse dieses breit angelegten Prozesses haben wir im Sommer auf der Klausurtagung der Bundestagsfraktion dargelegt und wollen sie in diesem Beitrag skizzieren.
Die Investitionsbedarfe sind gewaltig. Trotz der im laufenden Bundeshaushalt vorgesehenen Rekordinvestitionen für den Umbau hin zu einer klimaneutralen und digitalisierten Wirtschaft werden in den nächsten zehn Jahren private und öffentliche Investitionen in einem hohen dreistelligen Milliarden-Bereich zusätzlich nötig werden. Hinzu kommen weitere Modernisierungs- und Investitionsbedarfe in zahlreichen Bereichen des öffentlichen Lebens in den Kommunen, in den Ländern und auch im Bund. Zu den zentralen Investitionsbereichen gehören dabei der Ausbau erneuerbarer Energien, der gesamte Gebäudebereich, die Verkehrs- und Digitalinfrastruktur, die Mobilisierung von Wachstumskapital für Zukunftsbranchen und – das ist uns besonders wichtig, zu betonen – ein großer Investitionsbedarf im Bildungsbereich.
Auf Basis dieser Analyse galt es nunmehr, Lösungsansätze zu thematisieren, die die Investitionsbedarfe im privaten wie öffentlichen Sektor auflösen könnten.
Privates Geld mobilisieren
Beginnen wir mit den privaten Investitionsbedarfen. Dazu gehört zunächst eine klare Aussage: Öffentliche Güter sollen weiterhin aus den öffentlichen Haushalten finanziert werden. Das Gros der erforderlichen Zukunftsinvestitionen in eine moderne Wirtschaft wird allerdings privat finanziert. Uns geht es darum, privates Kapital verstärkt in Zukunftsprojekte zu lenken, die Einnahmen generieren, indem wir diese Projekte für private Investoren attraktiver gestalten. Als mögliche kurzfristige Maßnahmen zur Mobilisierung von privatem Kapital für Zukunftsinvestitionen braucht es neben zielgerichteten steuerlichen Anreizen für Investitionen in Nachhaltigkeit und Digitalisierung nach unserer Auffassung ebenso die Aufsetzung eines Zukunftsfonds 2.0: Auf Basis des Zukunftsfonds könnte zum Beispiel bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau („KfW Capital“) ein wesentlich größeres Vehikel bereitgestellt werden. Ein Fokus könnte dabei auf Wachstumskapital für Startups liegen – durch staatliche Bürgschaften könnte vor allem privates Kapital mobilisiert werden.
Deutschlandfonds für private Zukunftsinvestitionen
Als langfristige Maßnahme wollen wir daneben einen Deutschlandfonds einführen. Das Instrument eines Staatsfonds ist bereits in Partei- und Fraktionsbeschlüssen der SPD angelegt. Es handelt sich um ein staatliches Finanzierungsinstrument, das auch die Möglichkeit für institutionelle Investoren (Versicherungen, Pensionskassen) sowie Bürgerinnen und Bürger bietet, sich an Zukunftsinvestitionen zu beteiligen. Ein Deutschlandfonds bündelt, investiert, lenkt und verteilt Zukunftschancen, beispielsweise durch Bürgschaften, Beteiligungen und Darlehen. Er übernimmt Risiken, vor allem dort, wo rein private Investitionen auch aufgrund von Klumpenrisiken ansonsten unterbleiben oder nicht in einem zukunftsfördernden Maße stattfinden würden. Durch einen klugen Portfolioansatz findet eine Diversifikation der Investitionen statt. Gleichzeitig partizipiert ein Deutschlandfonds aber auch an Gewinnen und schafft so gesellschaftliche Akzeptanz für die vor uns liegende Transformation. Zudem reduziert er Komplexität, verstärkt langfristige politische Ziele und erarbeitet Gemeinwohl am Finanzmarkt. Zur Governance: Angelehnt an bestehende Strukturen (z.B. Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung, KfW) ist es wichtig, dass politische, langfristige Zielkorridore festgelegt und demokratisch gewährleistet sind. Innerhalb dieses Rahmens muss der Deutschlandfonds allerdings unabhängig von direkten politischen Einflussnahmen eigenständig operieren. Neben Zuführungen des Bundes und von privaten und institutionellen Investoren (z.B. Versicherer und Pensionskassen) operiert der Deutschlandfonds auch mit staatlichen Garantien und Bürgschaften.
Äußere, innere und soziale Sicherheit nicht gegeneinander ausspielen
Kommen wir nun zu der Frage, wie die öffentlichen Investitionsbedarfe noch besser gedeckt werden können. Die Welt hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Zahlreiche Krisen und Konflikte mit ihren Auswirkungen stellen die deutsche Gesellschaft wie auch die Wirtschaft vor gewaltige Herausforderungen – im Bund, in den Ländern und in den Kommunen. Es geht darum, gute Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern und gleichzeitig eine nachhaltige und digitale Wirtschaft anzustreben. Es geht darum, den Frieden zu sichern, ein Leben in Freiheit, Wohlstand und Sicherheit zu ermöglichen. Ganz konkret geht es um die Alltagssorgen der Bürgerinnen und Bürger: Sei es eine marode Infrastruktur vor Ort, das Sicherheitsgefühl in der eigenen Fußgängerzone, eine unterfinanzierte Kommune, fehlender Wohnraum für Geflüchtete oder eine sanierungsbedürftige Schule.
Deutschland steht in der Verantwortung, den Menschen Sicherheit zu bieten: äußere Sicherheit, innere Sicherheit und soziale Sicherheit. Für uns steht fest, dass diese Sicherheiten nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen – schon gar nicht in der Haushaltspolitik. Die im Grundgesetz verankerten Fiskalregeln müssen sich an dieser Realität messen. Nicht andersherum. Das ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass wir ein Land in Wohlstand, Sicherheit und Stabilität auch der nächsten Generation vererben können.
Schuldenregel reformieren
Die Verankerung der aktuell geltenden Schuldenregel im Grundgesetz geschah vor mehr als 15 Jahren. Es zeigt sich: Die Schuldenregel ist in ihrer jetzigen Form keine adäquate Antwort auf Krisen- und Transformationsanforderungen unserer Zeit und der Zukunft.
Weiterhin ist seit dem KTF-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem November 2023 klar, wie die Auslegung der Schuldenregel zu erfolgen hat, nämlich anhand einer strikten Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit. Mehrjährige Krisenbekämpfung ist nicht vorgesehen – ein weiterer Webfehler der aktuellen Regel.
Für Investitionen in die Zukunft ist es sinnvoll, Kredite aufzunehmen, gerade um den nächsten Generationen eben keine massiven Schuldenberge zu vererben – gemeint sind Investitionsschulden: wie die nicht sanierte Brücke, die heruntergekommene Schule, das stillgelegte Schwimmbad, der abgewanderte Arbeitsplatz. Dass all das nicht eintritt, ist wichtiger als eine schwarze Null auf dem Kontoauszug. Eben diese Investitionsorientierung muss die vorrangige Zielrichtung einer Reform der Schuldenbremse sein.
Weiterhin hat der Staat die Aufgabe, durch das Setzen langfristig klarer Investitionsschwerpunkte – und auch das Durchführen langfristiger Krisenreaktionsmechanismen – Planungssicherheit und Erwartungsklarheit in die Gesellschaft und Wirtschaft hinein zu vermitteln. Das ist im Rahmen der derzeit gültigen Schuldenregel nicht möglich.
Ein sozialdemokratischer Ansatz zur Reform der Schuldenregel sollte sich an den hier genannten Kriterien messen lassen. Es geht darum, Geld für unsere Zukunft und unseren Wohlstand zu mobilisieren und zeitgleich Solidität und stabile Staatsfinanzen sicherzustellen.
Etliche der führenden Wirtschaftsinstitute und Ökonomen sowie auch internationale Organisationen wie der IWF oder die OECD haben sich mittlerweile für Reformen an der Schuldenbremse ausgesprochen. Zahlreiche Reformmodelle der Schuldenbremse wurden in jüngerer Vergangenheit von Expertinnen und Experten veröffentlicht.
Für uns zeichnen sich dabei insbesondere diese Elemente als mögliche Leitplanken für einen weiter zu vertiefenden sozialdemokratischen Reformansatz der Fiskalregeln ab:
Es braucht erweiterte finanzielle Spielräume insbesondere für Zukunftsinvestitionen. Es geht um die Frage, wie Zukunftsinvestitionen im Bund, in den Ländern und Kommunen unabhängig von Schuldenregeln getätigt werden können sowie um eine flexiblere Ausgestaltung der Schuldenregel. Nach jetziger Rechtslage ist das strukturelle Defizit des Bundes auf 0,35 Prozent des BIP und das der Länder auf 0 Prozent des BIP begrenzt. Diese Begrenzungen wurden 2009 von einer europäischen Vorgabe abgeleitet, die es seit der jüngsten Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes so nicht mehr gibt.
Nicht aus den Augen verlieren sollten wir aus unserer Sicht jedoch die bereits existierenden Möglichkeiten. Es geht um eine konsequente Nutzung der im Rahmen der Schuldenbremse bestehenden Möglichkeiten für stetige, verlässliche Investitionen, um eine größere Abhängigkeit zu der konjunkturellen Lage sowie der Schuldentragfähigkeit zu ermöglichen.
Bereits heute enthält das Grundgesetz keine numerische Begrenzung der Neuverschuldung, sondern lediglich Prinzipien, nach denen die Kreditaufnahme zu begrenzen ist. Der Gesetzgeber legt diese Prinzipien in einem einfachen Gesetz aus.
Zusätzlich zu den genannten Maßnahmen braucht es eine Reform der Notlagenregelung. Die aktuelle Regelung für ein Überschreiten der Kreditobergrenze im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen ist mit rechtlicher Unsicherheit behaftet, insbesondere, wenn Krisen langwierige Auswirkungen haben. Diese Unsicherheiten sollten reduziert werden, um angemessene, mehrjährige Krisenreaktionen zu ermöglichen.
Wie geht es nun weiter? Jetzt geht es darum, unsere Vorschläge zu konkretisieren. Dafür befassen wir uns derzeit mit dem erst jüngst reformierten europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt, der Ausgestaltung der Instrumente zur Mobilisierung von privatem Kapital sowie ebenso mit der Frage, wie ein Ansatz zur Reform der Schuldenregel konkreter aussehen und umgesetzt werden kann. Wir sind überzeugt, dass es an der Zeit ist, große Schritte zu gehen. Auch wenn eine Umsetzung kurzfristig nicht realistisch ist: Umso wichtiger ist es, dass wir mittel- und langfristig an einem Strang ziehen und dafür werben, dass ein neuer Ansatz für mehr private und öffentliche Investitionen wichtiger denn je ist: Zum Wohle aktueller und vor allem auch zum Wohle zukünftiger Generationen.