Heft260 – 03/2024

KURZUM (HEFT 260)

#orientierungsrahmen #spw

Foto: © Larssen

Dr. Uwe Kremer ist Sozialwissenschaftler und Mitherausgeber der spw.

VON Uwe Kremer

Im (mehr oder weniger) linken bzw. progressiv- demokratischen Spektrum der deutschen Gesellschaft ist eine wachsende Demoralisierung und der Verlust von politischen Koordinaten, Hoffnungen und Verbundenheiten zu verzeichnen. Im Kern erklärt sich dies nicht mit der Verzweiflung an der einen oder anderen politischen Thematik oder Organisation, sondern mit der Fragmentierung und Auflösung des linken Spektrums als einem in seiner Vielfalt gesellschaftlich und politisch wirksamen Lager.

Dabei vermittelten die Bewegungen gegen rechts Anfang des Jahres eine schon länger vermisste Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Zusammengehörigkeit über unterschiedliche politische und sozialkulturelle Kontexte hinweg. Aber schon nach kurzer Zeit ist dies wieder durch eine weitere und noch weitaus heftigere rechtspopulistische Welle konterkariert worden. Sie schwappt nicht nur weit ins bürgerlich-konservative Lager hinein, sondern formiert sich offenbar in einem neuen – von der Union geführten – nationalkonservativen Block, dessen Rollback-Konzept mit einem klaren Feindbild verknüpft ist: Schuld an allen gesellschaftlich relevanten Problemen sind die Grünen und die Migration.

Dieser mit Wucht – und den Reichweiten einer noch weitgehend als Volkspartei funktionierenden Union – betriebenen Entwicklung wird man wohl nur begegnen können, wenn sich die Bewegungen gegen rechts in ihrem Blick auf die gesellschaftlichen Problemlagen (und die damit zusammenhängenden „Schuldfragen“ wie auch Alternativen) weiter politisieren. Hierfür muss es Bezüge in den politischen Raum geben – und dies führt uns wieder in die Zukunft eines sich neu formierenden linken bzw. progressiv-demokratischen Lagers.

Bei uns ist das Denken in einer derartigen “Lager-Perspektive“ allerdings völlig unterentwickelt. Die unterschiedlichen Teile des linken Spektrums sind einander recht egal und ihre politische Gravitation jeweils – auch im Falle der Sozialdemokratie – zu klein, um in den sich verschärfenden und noch anbahnenden politischen Großkonflikten bestehen zu können. Dabei zeigt der Blick über die Grenzen, dass eine Formierung eines linken, progressiv-demokratischen Lagers nicht aus der Zeit gefallen ist:

  • Im spanischen Fall fungiert die Sozialdemokratie als führendes Zentrum eines weiten Spektrums politischer Kräfte und soziokultureller Milieus.
  • Im französischen Fall bildet die „neue Volksfront“ ein Lager, das auch ohne ein derartiges Zentrum gemeinsam erfolgreich war.

In beiden Fällen ist zunächst einmal nicht die (recht unterschiedlich ausfallende) „regierungstechnische“ Konsequenz entscheidend, sondern die positive, in gewisser Weise therapeutische Wirkung auf die Motivation und Moral progressiver engagierter Menschen, was wiederum die Wirksamkeit im gesamten gesellschaftlichen Raum verstärkt.

Kurzum: Wir müssen uns auch in unserem Land über Organisations- und „Stammes“ grenzen hinweg für zeitgemäße Lösungen im Zusammenwirken progressiv-demokratischer Kräfte neu beraten und verabreden. Unsere Zeitschrift kann dazu – in der Tradition früherer Crossover-Projekte – einen Beitrag leisten.

2025-06-26T19:09:03+02:00
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