Heft262 – 01/2025

Gesellschaftliches Gelingen der Transformation – Die ROlle von Beschäftigten, Betrieben und Gewerkschaften

#analyse #spw

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Vera Trappmann ist Professorin für Comparative Employment Relations an der Leeds University Business School. Sie leitet einen Arbeitsschwerpunkt zu Klimawandel und Arbeit am Centre for Employment Relations,Innovation and Change und gemeinsam mit Dr. Dennis Eversberg das von der HansBöckler-Stiftung geförderte Projekt zu „Just Transition: Aktivitäten im internationalen Vergleich“. Sie ist Mitglied im Executive Committee des Priestley Centre for Climate Futures an der University of Leeds und der Economic Advisory Group on Climate Change Adaptation and Resilience des Climate Change Committees (UK).

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Felix Schulz Postdoctoral Research Fellow am Centre for Employment Relations, Innovation and Change und dem Digital Futures of Work (Digit) Research Centre an der University of Leeds. Er forscht zur sozial-ökologischen und digitalen Transformation. Die Rolle von Gewerkschaften, Gerechtigkeitsimplikationen und Werteorientierungen stehen im Mittelpunkt seiner Arbeit.

von vera Trappmann und Felix Schulz

Die meisten Industrienationen liegen weit zurück bei ihren Klimaanpassungen. Der wirtschaftliche Umbau geht nicht schnell genug voran. Mit den jetzigen Maßnahmen bräuchte Deutschland über 250 Jahre, um schädliche Emissionen auf Null zu reduzieren (Vogel and Hickel 2023). Legt man eine globale Gerechtigkeitsperspektive an, in der das verbleibende globale CO2-Budget anteilsmäßig auf alle Länder verteilt würde, dann stünden Deutschland noch 2.400 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß zu. Mit einem jährlichen Ausstoß von ca. 730 Millionen Tonnen blieben noch drei Jahre, um bei Null anzukommen. Selbst ohne eine solche globale Gerechtigkeitsperspektive stellt sich die dringende Frage, wie der Umbau gelingen kann – nicht zuletzt angesichts einer gesellschaftlichen Polarisierung gegen eine „grüne“ klimafreundliche Politik (Mau u. a. 2024).

Erwartungen an Transformation

Menschen sind vor allem als Bürger:innen und als Beschäftigte von Klimaanpassungsmaßnahmen betroffen. Daher ist es wichtig, ihre Sorgen und Ängste als Arbeitnehmer:innen ernst zu nehmen. Laut eigener Forschung (Schulz/Trappmann 2023) schätzen Beschäftigte die Auswirkungen der Dekarbonisierung zwiespältig ein. Beschäftigte erwarten von der Transformation mehrheitlich Verbesserungen für Gesundheit und Wohlbefinden (59 %), Umweltbedingungen wie Boden- und Wasserqualität (62 %) und Luftqualität (65 %), aber befürchten eine Steigerung der Lebenshaltungskosten (67 %), die Zunahme von Armut und Ungleichheit (51 %) und die Senkung des Lebensstandards (50 %). Anders ausgedrückt: Es wird eine ökologisch nachhaltige und weniger eine sozial nachhaltige Transformation erwartet. Beschäftigte wünschen sich vom Staat daher mehr Regulation und Steuerung. Erwartet werden vor allem Investitionen in erneuerbare Energien, Ausbau der öffentlichen Transportinfrastruktur und Finanzierung der Gebäudedämmung. Allerdings herrscht in Bezug auf die ökonomischen Folgen der Energiewende große Unsicherheit: Beschäftigte wünschen sich die Verknüpfung von staatlichen Fördergeldern an gute Arbeitsbedingungen in Betrieben, vor allem Tarifbindung und Mitbestimmung (Schulz/ Trappmann 2024). Es ist problematisch und kann durchaus den Widerstand gegen die derzeitige Energiepolitik erklären, wenn nur eine Minderheit der Arbeitnehmer: innen in Deutschland davon ausgeht, dass die Energiewende neue Jobs schaffen wird (47 %), oder dass diese gut bezahlt sein werden (36 %). Anhänger:innen der AfD sind dem Ausbau der erneuerbaren Energien am kritischsten gegenüber eingestellt, bei ihnen ist die Sorge um sie sozio-ökonomischen Auswirkungen der Energiewende am stärksten ausgeprägt (Schulz/Trappmann 2024). Für die etablierten Parteien zeigt sich ein Potential, Wähler:innen möglicherweise zurückgewinnen zu können, wenn glaubhaft vermittelt werden kann, dass die Energiewende finanzierbar ist und nicht zu einem sozialen Abstieg führt. Die Befürchtungen zu den Kosten der Klimaschutzmaßnahmen sollten von der Politik mit öko-sozialpolitischen Maßnahmen adressiert werden.

Klimamaßnahmen im Fokus

Grundsätzlich besteht in der arbeitenden Bevölkerung eine große Bereitschaft, beruflich die Herausforderungen des Klimawandels anzunehmen. 40 Prozent derjenigen, die nicht in einem „grünen Sektor“ arbeiten, äußern Interesse an einem Wechsel in einen „grünen Sektor“ (erneuerbare Energieerzeugung, Umweltschutz und Renaturierung, alternative Brennstoffproduktion, energieeffizientes Bauen, emissionsarmer Transport und Elektrofahrzeuge (EVs), Recycling/Abfallmanagement oder Fachdienstleistungen mit niedrigen CO2-Emissionen). Für sie ist es wichtig, zum Klimaschutz beizutragen und damit einen „sinnvollen“ Job auszuüben. 42 % nehmen an, sehr nützliche Fähigkeiten für einen Wechsel zu besitzen, 35 % immerhin in mäßigem Ausmaß (Schulz/Trappmann 2023).

Weiterhin hält ein Viertel der Beschäftigten es für wahrscheinlich, dass sie ihren Arbeitsplatz wechseln müssen, und jede:r Vierte (41 %) nimmt an, dass sie neue Fertigkeiten erlernen müssen. Auch für Tätigkeiten innerhalb des eigenen Sektors wird die Notwendigkeit zur Fort- und Weiterbildung erwartet (51 %). Hier gibt es jedoch deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede. Frauen glauben weniger an die Kompatibilität ihrer Fähigkeiten. Deutlich weniger Frauen als Männer glauben, dass die Arbeitsbedingungen in den grünen Sektoren gut sein würden. Daher bewerten sie alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Transformation als signifikant wichtiger als Männer. Frauen bemessen der staatlichen Unterstützung in der Transformation mehr Bedeutung zu als Männer.

Insgesamt zeigen diese Befunde, wie wichtig es ist, gezielte Weiterbildungsangebote für die Energiewende im engeren und eine klimaneutrale Wirtschaft im weiteren Sinne zu entwickeln und diese geschlechtergerecht zuzuschneiden. Frauen brauchen möglicherweise gezieltere Anreize zur Weiterbildung für klimafreundliche Berufe. Insgesamt ist das Weiterbildungsangebot in den Unternehmen zu gering, die Mehrheit der Beschäftigten (60 %) hat bisher an keiner Schulung zum Thema Klima oder Dekarbonisierung teilgenommen. Fast drei Viertel der Befragten haben weder eine Weiterbildung noch eine Schulung erhalten, die ihr Wissen in Sachen Klimawandel aufgebaut oder vertieft hätte (Schulz/Trappmann 2023).

Beschäftigte als Agent:innen des Wandels

Dabei ist der Arbeitsplatz ein wichtiger Ort für das Gelingen der Transformation. Beschäftigte haben hier Erfahrungswissen in früheren ökonomisch bedingten Restrukturierungswellen aufgebaut, sie können Agent:innen des Wandels sein und sind unbedingt in den Prozess miteinzubeziehen. Je mehr Partizipation ermöglicht wird, desto wahrscheinlicher ist das positive Gelingen der Transformation. Die Mehrheit der Beschäftigten wünscht sich mehr Mitbestimmung bei der Energiewende (Schulz/ Trappmann 2024).

In einer Mehrheit der Unternehmen (77 %) findet Konsultation und Beteiligung von Beschäftigten durch die Geschäftsleitung statt, zwei Drittel (67 %) berichten, dass sie Einfluss auf die Dekarbonisierungspläne ihres Unternehmens haben (Schulz/Trappmann 2023). Interessant ist hier der Zusammenhang, dass diejenigen, die besorgter sind und eine größere Dringlichkeit von Klimaschutz annehmen, häufiger über den Klimawandel mit Kolleg:innen am Arbeitsplatz diskutieren. Allerdings gibt ein Fünftel der Beschäftigten an, dass in ihrem Unternehmen bisher keine Maßnahmen zur CO2-Reduzierung stattgefunden haben und ein weiteres Fünftel weiß nicht, ob es entsprechende Maßnahmen gab. Hier besteht also noch Nachholbedarf.

Ein weiterer wichtiger Akteur für den Klimaschutz sind die Gewerkschaften. Gewerkschaftsmitglieder sind tendenziell besorgter über den Klimawandel, sind tendenziell besser informiert, diskutieren häufiger darüber und nehmen häufiger an Klimaschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz teil. Sie haben doppelt so häufig an Trainingsmaßnahmen zum Klimaschutz teilgenommen (Schulz/Trappmann 2023). Gewerkschaftsmitglieder bewerten die Nützlichkeit ihrer Fähigkeiten in der grünen Wirtschaft deutlich positiver, gehen eher davon aus, dass neue Arbeitsplätze in ihrer Branche mit besserer Bezahlung und besseren Bedingungen entstehen werden und sehen häufiger die Notwendigkeit für Fort- und Weiterbildungen. Sie nehmen die Potenziale einer „grüneren“ Wirtschaft stärker wahr, sind sich der möglichen Veränderungen und neuen Anforderungen insgesamt ebenfalls bewusster.

Stärker als ihre nicht organisierten Kolleg:innen sind Gewerkschaftsmitglieder offenbar informierte und aktive Beteiligte der Transformation. Gewerkschaften können also einen wichtigen Beitrag für die Gestaltung einer gerechten sozial-ökologischen Transformation unter demokratischen Gesichtspunkten leisten. Für die Politik wäre es daher ratsam, Klimaschutz gemeinsam mit den Gewerkschaften und Unternehmen zu entwickeln.

Literatur
Mau, Steffen, Thomas Lux und Linus Westheuer (2024). Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Suhrkamp.

Schulz, Felix und Vera Trappmann (2023). Erwartungen and die sozial-ökologische Transformation. Hans-Böckler-Stiftung Working Paper Forschungsförderung, Oktober 2023 (Nummer 308).

Schulz, Felix und Vera Trappmann (2024). Wie blicken Arbeitnehmer:innen auf die Energiewende? Eine Analyse entlang politischer Parteipräferenzen. Hans-Böckler-Stiftung.

Vogel, Jefim und Jason Hickel (2023). Is green growth happening? An empirical analysis of achieved versus Pariscompliant CO2–GDP decoupling in high-income countries. The Lancet Planetary Health. 7(9):759–769.

Der vorliegende Text stammt aus dem vom Bundeskanzleramt herausgegebenen Sammelband „ZWISCHEN ZUMUTUNG UND ZUVERSICHT. Transformation als gesellschaftliches Projekt“ (Berlin 2024), den wir mit freundlicher Genehmigung nachdrucken. Download sowie Bestellmöglichkeit unter https://www.publikationen-bundesregierung.de/pp-de/publikationssuche/transformation-gesellschaft-2330508

2025-06-26T18:30:55+02:00
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