Heft261 – 04/2024
Einleitung zum Heftschwerpunkt (261)
#orientierungsrahmen #spw
Dr. Arno Brandt ist Ökonom (Schwerpunkte: Regional- und Innovationsökonomie sowie Strukturpolitik) und lebt in Lüneburg. Von 1990 – 2012 war er als Bankdirektor in der NORD/LB tätig. In Hannover ist er Vorsitzender des „Forums für Politik und Kultur e.V.“ und Mitglied des Koordinierungskreises der Keynes Gesellschaft Regionalgruppe Nord. Außerdem ist er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des SPD-Wirtschaftsforums und Mitglied der spw-Redaktion.
Folke große Deters ist Mitglied der spw-Redaktion, Vorsitzender der ASJ NRW und lebt in Bornheim-Hersel.
von Arno Brandt und Folke große Deters
Die im Jahr 2021 gestartete Ampel-Koalition, die mit dem Anspruch angetreten war, die sozial-ökologische Transformation voranzutreiben, ist inzwischen Geschichte. Die langanhaltenden Konflikte um die finanzpolitischen Spielräume einer um ihre eigene Handlungsfähigkeit ringenden Regierung waren bereits seit Monaten ein Vorzeichen für den bevorstehenden Zerfall der Dreierkoalition. Der grundlegende Widerspruch zwischen marktliberalen und sozialdemokratischen Gesellschafts- und Wirtschaftsmodellen erwies sich letztlich als unüberbrückbar. Die Illusion, diese Gegensätze in einer sogenannten „Fortschrittskoalition“ zu versöhnen, scheiterte vor allem, als die finanzpolitischen Ressourcen knapper wurden. Je enger die finanzwirtschaftlichen Spielräume wurden, umso stärker gerieten die Modelle in Widerspruch zueinander und führten schlussendlich zum Zerfall der Ampel.
Spätestens nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 stießen die notwendigen Investitionen für eine erfolgreiche Transformation an die Grenzen ihrer Finanzierbarkeit. Besonders die FDP bestand kompromisslos auf der Einhaltung einer Finanzpolitik nach ihren ordnungspolitischen Vorstellungen und verteidigte den heiligen Gral der Schuldenbremse mit Zähnen und Klauen. Schätzungen zufolge werden in den kommenden zehn Jahren Investitionen in Höhe von bis zu 600 Milliarden Euro benötigt, um den Kapitalstock umfassend zu modernisieren und das Ziel der Netto-Null-Emissionen bis 2045 zu erreichen. Ohne eine Reform der Schuldenbremse erscheint die Mobilisierung eines solchen Investitionsvolumens völlig unrealistisch.
Gleichzeitig belasten die verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie die Finanzierung der Ukraine-Hilfen die öffentlichen Haushalte zusätzlich.
Der Zerfall der Koalition hinterlässt die Erkenntnis, dass mit der FDP kein fortschrittlicher Staat zu machen ist. Der Preis dafür ist hoch: Das Projekt der sozial-ökologischen Transformation hat erheblichen Schaden genommen und die Unterstützung in der breiten Bevölkerung für die notwendigen Veränderungsprozesse ist nahezu erodiert. Statt klimapolitischer Fortschritte dominiert eine neoliberale Standortdebatte die öffentliche Diskussion, die an den tatsächlichen strukturellen Problemen des deutschen Wirtschaftsmodells vorbeigeht. Die politische Ökonomie der Zeitenwende erfordert progressive Strukturreformen, die das deutsche Wirtschaftsmodell neu ausrichten und den Kapitalstock modernisieren. Ein Rückgriff auf neoliberale Lösungsansätze ist hingegen keine tragfähige Option (vgl. Tom Krebs). Dabei muss das Ziel von Netto-Null-Emissionen in Einklang mit den Lebensrealitäten der arbeitenden Bevölkerung gebracht werden – industriepolitische Interventionen und sozialpolitische Flankierungen sind unverzichtbar.
Die Schwächen des deutschen Wirtschaftsmodells werden genau in dem Moment deutlich, in dem ein Pfadwechsel hin zur sozialökologischen Transformation notwendig wäre. Doch ob nach der nächsten Bundestagswahl eine politische Allianz entsteht, die Nachhaltigkeit, Resilienz und Souveränität auf nationaler, europäischer und globaler Ebene fördert, bleibt fraglich. Ein nüchterner Blick auf die politischen Kräfteverhältnisse lässt eher eine Fortsetzung der Blockadepolitik befürchten.
Auch auf europäischer Ebene gerät die Transformation zunehmend ins Stocken. Die neuen Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament haben die Dynamik des Green Deals erheblich verlangsamt und Fragen der wirtschaftlichen Prosperität stärker in den Fokus gerückt. Gleichzeitig verschärfen geopolitische Umbrüche, weltwirtschaftliche Krisen und politische Machtverschiebungen – etwa durch den Wahlsieg Donald Trumps – die Herausforderungen. Das deutsche Wirtschaftsmodell wird dabei auch die Entwicklung des europäischen Modells maßgeblich beeinflussen. Vor diesem Hintergrund bleibt die wirtschafts- und finanzpolitische Diskussion zentral, insbesondere für die SPD, deren jüngst verabschiedetes Strategiepapier lediglich eine Zwischenetappe auf dem Weg zu einer konsistenten wirtschaftspolitischen Ausrichtung darstellen kann.
Auf einer Tagung am 14. September 2024 in Hannover, die unter anderem von der spw organisiert wurde, wurden wirtschafts- und finanzpolitische Perspektiven im Kontext der aktuellen Transformations- und Wirtschaftskrise erörtert. Die Beiträge der Referenten dieser Tagung sind in diesem Heft zusammengefasst. Ergänzend analysieren Wiebke Esdar und Achim Post die haushaltspolitische Strategie der SPD-Bundestagsfraktion, während ein weiterer Artikel der Automotive-Expertin Antje Blöcker die derzeitige Krise des VW-Konzerns beleuchtet.